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Ausgabe:

November/2007

Spalte:

1255 f

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Lämmermann, Godwin

Titel/Untertitel:

Religionsdidaktik. Bildungstheologische Grundlegung und konstruktiv-kritische Elementarisierung.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2005. 328 S. gr.8°. Kart. EUR 20,00. ISBN 3-17-018748-1.

Rezensent:

Martin Rothgangel

Auf den ersten Blick mag es verwundern, dass der Augsburger Religionspädagoge Godwin Lämmermann neben seinem »Grundriss der Religionsdidaktik« (2. Auflage 1998) gleichfalls eine »Religionsdidaktik« publiziert. Allerdings zeigt sich umgehend, dass letzteres Werk allein dazu dient, die religionsdidaktische Konzeption L.s prononciert darzustellen und sich von daher deutlich vom Vorgängerwerk unterscheidet.
L. stellt sich der gegenwärtigen Kritik am religionspädagogischen Konzeptionsdenken und wendet dagegen ein: »Konzeptlosigkeit sowie Konzeptfreiheit sind selbst ein Konzept« (10). In seinem Ansatz einer konstruktiv-kritischen Religionsdidaktik sieht L. verschiedene Ansätze integriert: Religionspädagogisch werden insbesondere die kritische Religionsdidaktik von G. Otto sowie S. Vierzig und der problemorientierte Ansatz von K. E. Nipkow, dessen Elementarisierungsprogramm und Bildungstheorie hervorgehoben, theologisch die Liberale Theologie, philosophisch die kritisch-spekulative Selbstbewusstseinsphilosophie, ihre materialistische Wendung sowie die Kritische Theorie und schließlich pädagogisch H. J. Heydorn sowie W. Klafki (12).
L. entfaltet seine konstruktiv-kritische Religionsdidaktik konsequent in drei Teilen: Nach einer eingehenden »bildungstheolo­gischen Grundlegung« (15–148) folgt auf dem Hintergrund der kritisch-konstruktiven Didaktik W. Klafkis sowie ideologiekri­tischer Überlegungen sein induktives Elementarisierungsprogramm (149–245), das schließlich anhand exemplarischer Schlüsselprobleme konkretisiert wird (246–314). Die bildungstheologische Grundlegung seiner konstruktiv-kritischen Religionsdidaktik wird mit einer begrifflichen Konturierung des Bildungsbegriffs eingeleitet (16–46). In diesem Zusammenhang erfolgt eine scharfe, zum Teil polemische Auseinandersetzung mit dem ästhetisch akzentuierten Bildungsbegriff Kunstmanns (vgl. z. B. 18 f.), wobei – entsprechend früherer Publikationen L.s – im Hintergrund gleichfalls die Kritik an Schleiermachers Erziehungs(!)theorie steht. Der Begriff »bildungstheologisch« wird mit Bedacht gewählt: Wenn nämlich Bildung als Vermittlung verstanden wird, »dann können theologische Topoi die Grundstrukturen von Vermittlungsprozessen durchdenken und als konvergente, interpretierende Entsprechungen verstanden werden« (17).
Durch die Auseinandersetzung mit den beiden idealtypischen Extremformen einer kybernetischen Erziehungslehre (23 f.) einerseits sowie der Antipädagogik andererseits (24 ff.) werden Extrempositionen markiert: »Während die Erziehungstheorie die objek­tiven Bestimmungen des Menschen, seine Prägung und seine Prägbarkeit einseitig hervorhebt, so dominiert in der Antipädagogik einseitig die subjektive Selbstbestimmung des Menschen« (27). Anhand der Religionspädagogen K. Frör und O. Hammelsbeck arbeitet L. schließlich exemplarisch den »verhängnisvollen Hang der Theologie zu Erziehungsoptionen« (28) heraus. Entscheidend für L. ist ein Verständnis von Bildung als Selbstbildung: »Bildung macht damit Ernst, dass die Gesellschaft, der Staat oder die Kirche für den Menschen da sind und nicht umgekehrt. Mit ›Bildung‹ umschreibt man einen Prozess der selbstverantworteten Aneignung und Gestaltung.« (37)
Im Anschluss an jene Herausarbeitung der Grundstruktur von Bildung erfolgt eine geschichtliche Analyse des Bildungsbegriffs (47–124), da sich dessen Inhalt nicht »per definitionem, sondern nur historisch-genetisch« (21) erschließt. Seine entsprechenden Überlegungen setzen in der Antike ein, führen über Platon, Augustin, Thomas von Aquin und Mystik zu Martin Luther und Philipp Melanchthon, von Comenius über Aufklärung und Pietismus zum Neuhumanismus. Nicht nur in Anbetracht der Seitenzahl stellt schließlich die Gegenüberstellung von F. Schleiermacher und G. W. F. Hegel einen Höhepunkt dieser geschichtlichen Darstellung dar. Ihren Schlusspunkt bildet nach der Diskussion der geisteswissenschaftlichen Didaktik und ihrer Weiterentwicklung (W. Dilthey, H. Nohl, E. Weniger, W. Klafki) die Bildungstheorie Heydorns. L. be­schließt seine Ausführungen zum Bildungsbegriff anhand theologischer Überlegungen zur Bibel als »(k)ein Bildungsbrevier?« (125–131), »zu Bildung als religionspädagogische Option« (131–143) und bündelt den Ertrag seiner bildungstheologischen Überlegungen in Form von 32 regulativen Prinzipien kritischer Bildung (143–148).
Der zweite Teil setzt ein mit Ausführungen »zur Bedeutung der kritisch-konstruktiven Didaktik W. Klafkis« (149–159) sowie zur Elementarisierung als religionsdidaktischem Programm (159–171). Es folgen aufschlussreiche Ausführungen zur »Subjektivität in einer negativen Anthropologie« (171–182), die eine mit Verve vorgetragene Auseinandersetzung mit postmodernem Denken und dem vermeintlichen Ende des Subjektgedankens beinhalten. Im folgenden Abschnitt »Ideologiekritik in konstruktiver Absicht« (182–226) finden sich hilfreiche begriffliche Distinktionen wie zwischen ignoranter, verneinender sowie bewahrender Kritik. In diesen Teilen setzt sich L. auch mit neueren Trends der Religionsdidaktik auseinander, z. B. mit der sog. Performativen Religionsdidaktik im Zusammenhang »synästhetischer Erfahrung« (196–202). Die Ge­danken des zweiten Teils münden schließlich in dem Elementarisierungsmodell L.s, das er bereits in verschiedenen Zusammenhängen dargelegt hat und das deshalb an dieser Stelle nicht mehr im Detail vorzustellen ist (226–245). Angemerkt sei lediglich, dass dieses Elementarisierungsmodell theoretisch überzeugend den Primat des Subjekts sowie der Zielentscheidung integriert.
Im dritten Teil werden unter Bezugnahme auf die beiden ersten Elementarisierungsschritte grundlegende Informationen zu den Schlüsselproblemen »Jugendkultur«, »Werte und Normen«, »Friede und Gewalt«, »Tod und Sterben«, »Sexualität«, »Arbeit« und »Ge­rechtigkeit« gegeben. Anhand dieser Schlüsselprobleme sucht L. deutlich zu machen, wie ausgehend von der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler sein Elementarisierungsansatz durchzuführen ist.
Hier stellen sich gewisse Rückfragen: Ist das »Namhaft-Machen« (246) von Schlüsselproblemen wirklich auf der Basis der beiden ersten Elementarisierungsschritte hinreichend oder setzt dies nicht nach Klafki einen Diskurs voraus, in dem die Kriterien leitend sind, dass Schlüsselprobleme erstens für das Individuum sowie für die Gesellschaft und zweitens für die Gegenwart sowie für die voraussehbare Zukunft relevant sein sollen (vgl. 258)? Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob eine Fokussierung auf Schlüsselprobleme nicht eine Engführung religionsdidaktischer Themen darstellt, da zum einen im Sinne Klafkis auch das »Komplementär­programm« einer allseitigen Bildung religionsdidaktisch zu integrieren wäre und zum anderen theologische Themen wie die Gleich­nisse Jesu oder Psalmen im Sinne einer domänenspezifischen Bildung bzw. einer religiösen Sprachschulung auch eigens zu behandeln wären. Ungeachtet dessen handelt es sich bei diesem dritten Teil um einen wichtigen Schritt, um das konstruktive Anliegen dieser religionsdidaktischen Konzeption zur Geltung zu bringen.
Alles in allem stellt die Religionsdidaktik L.s eine Publikation dar, deren scharfe Gedankenführung und Diktion herausfordert und zu denken gibt. Gerade im Blick auf die gegenwärtige religionspädagogische Situation, die zwischen der Neuetablierung von Konzeptionen einerseits und der grundsätzlichen Infragestellung von Konzeptionen andererseits steht, stellen pointierte Standortbestimmungen wie die von L. eine weiterführende Lektüre dar.