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Ausgabe:

November/2007

Spalte:

1251 f

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Kuschel, Ulrike

Titel/Untertitel:

»Ich find’s einfach gut, dass ma’ auf der Erde ist!« Eine empirische Studie zur Weltdeutung von 10- bis 13-Jäh­rigen.

Verlag:

Hamburg-Münster: LIT 2006. 383 S. m. Tab. 8° = Jugend in Kirche und Gesellschaft, 2. Kart. EUR 34,90. ISBN 3-8258-9390-1.

Rezensent:

Helmut Hanisch

Bei diesem Werk handelt es sich um eine systematisch klug aufgebaute Arbeit, die danach fragt, von welcher Weltdeutung bei 10- bis 13-Jährigen auszugehen ist. Das besondere Augenmerk liegt dabei auf der religiösen Interpretation alltagsweltlichen Geschehens. Warum sich die Vfn. auf die angegebene Altersgruppe beschränkt, ergibt sich aus der aktuellen Forschungslage. Während es differenzierte Studien sowohl zu den Lebensphasen »Kindheit« und »Ju­gend« als auch über den Statusübergang von der einen Lebensphase in die andere gibt, gibt es kaum wissenschaftliche Erkenntnisse über die religiöse Vorstellungswelt der 10- bis 13-Jährigen.
Um diesem Mangel abzuhelfen, unternimmt die Vfn. eine em­pirische Untersuchung, bei der sie sich der qualitativen Methode be­dient. Insgesamt interviewt sie 15 Mädchen und Jungen im Alter von 10 bis 13 Jahren, wobei zwei von ihnen die Hauptschule, sieben die Realschule und sechs das Gymnasium besuchen.
Die den Interviews zu Grunde gelegten Fragestellungen ge­winnt sie vor dem Hintergrund der Lebensweltkonzeption von Alfred Schütz bzw. Alfred Schütz und Thomas Luckmann. Sie bildet den theoretischen Rahmen ihrer Untersuchung. Konstitutiv für die Forschungsergebnisse der genannten Autoren ist die Überlegung, dass der Mensch seine Welt dadurch deutet, dass er Erlebnisse sprachlich strukturiert und in einen gesellschaftlichen Ge­samtzusammenhang einordnet, die dadurch »Sinn« erhalten (vgl. 356). Die Zuschreibung von Sinn geschieht nicht allgemein und pauschal, sondern im Kontext verschiedener »Sinnbereiche«. Diese Sinnbereiche sind u. a. die Lebenswelt des Alltags, die Phantasiewelt des Tagträumens oder des Spiels oder die Welt religiöser Erlebnisse.
Die entscheidende Frage ist nun, was den Anstoß gibt, von einem Sinnbereich in den anderen zu wechseln. Welche Motivati­onen führen beispielsweise dazu, vom Sinnbereich der Lebenswelt des Alltags in die Phantasiewelt oder in die Welt religiösen Erlebens überzuwechseln? Anzunehmen ist, dass Irritationen und Grenzerfahrungen zu Krisen führen, die den Wechsel hervorrufen.
In sog. problemzentrierten Interviews im Anschluss an Andreas Witzel gewinnt die Vfn. die Daten, die es ihr ermöglichen, differenziert über die Weltdeutung der von ihr Befragten Auskunft zu ge­ben. Bei der Datenerhebung fragt sie u. a. nach den alltäglichen familiären und außerfamiliären Beziehungen, den Krisenerfahrungen, den Phantasiewelten und nach religiösen Sinndeutungen im Sinn von Transzendenzerfahrungen.
Ausführlich stellt sie auf mehr als zwei Dritteln ihres Buches sechs Fallstudien vor, die einen anschaulichen Einblick in den Alltag der einzelnen jungen Menschen und deren Erlebniswelt geben. Dabei ist es ihr besonderes Interesse, den Zusammenhang von Alltagserleben und religiöser Sinndeutung herauszuarbeiten, was auf Grund des Eingehens auf erlebte Krisensituationen der Befragten und deren psychische Verarbeitung methodisch geschickt realisiert wird. Deutlich wird dabei, dass die Probandinnen und Probanden ihre je eigentümlichen religiösen Deutungen vornehmen, die die Vfn. im letzten Kapitel ihres Buches typologisch unter den Stichworten »getragene und meisterbare Welt« (348) bzw. »brüchige, unsichere Welt« (349) zusammenfasst. Diese Typisierung ist das Ergebnis präzisier und sensibler Analyse der vorliegenden Daten, wobei die »getragene und meisterbare Welt« auf ein tiefgreifendes Vertrauen verweist, das auf die Vorstellung einer unterstützenden Transzendenz zurückgeht. Sie fördert das Zutrauen in die eigene Person und ermutigt zur Übernahme von Verantwortung (vgl. 348). Im Unterschied dazu lässt der Typus einer »brüchigen, unsicheren Welt« nicht erkennen, dass die religiöse Deutung kraftvoll dazu dienen könnte, Krisen zu meistern. Insgesamt mangelt diesem Typus auf Grund brüchiger Beziehungen das grundlegende Vertrauen (vgl. 349).
Abschließend haben wir zu fragen, was diese Studie leistet. Zum einen ist hervorzuheben, dass es sich um eine sorgsame, gewissenhafte und methodisch überlegte Forschungsarbeit handelt, die exemplarische Einblicke in grundlegende Sinnbereiche alltagsweltlicher Erfahrung der Alterskohorte der 10- bis 13-Jährigen ge­währt. Zum anderen verdeutlicht sie, wie junge Menschen Transzendenzvorstellungen im biographischen Kontext entwickeln, die je nach der Gesamtlebenslage der einzelnen Menschen lebensfördernd oder irrelevant sein können. Lohnend wäre es vor diesem Hintergrund, von der Vfn. zu erfahren, welche Bedeutung den dargestellten Ergebnissen religionspädagogisch zukommt.