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Ausgabe:

November/2007

Spalte:

1245–1247

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Holzschuh, Sabine

Titel/Untertitel:

Raum und Trauer. Eine praktisch-theologische Untersuchung zu Abschiedsräumen.

Verlag:

Würzburg: Echter 2006. 322 S. m. Abb. gr.8° = Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge, 65. Kart. EUR 30,00. ISBN 3-429-02775-6.

Rezensent:

Eberhard Winkler

Diese 2005 von der Katholisch-Theologischen Fakultät in Regensburg als Dissertation angenommene Arbeit erwuchs aus dem von Konrad Baumgartner geleiteten Projekt »Trauerforschung und Trauerbegleitung«. Den Hauptteil bilden empirische Untersuchungen ausgewählter Abschiedsräume in zwei Krankenhäusern und einem Bestattungshaus unter der Fragestellung, wie Hinterbliebene die räumlichen Gegebenheiten beim Abschied von Verstorbenen erleben, wie sich die Raumerfahrungen auf die Trauer auswirken und wie das christliche Sinndeutungsangebot im jeweiligen Raum präsent ist, was an religiöser Raumaneignung beim Abschied geschah und welchen Einfluss das auf die Trauer hat.
Die auf qualitativen Interviews beruhende Untersuchung be­zieht außer der primären Zielgruppe der Hinterbliebenen die Raumplaner und die Begleiter ein.
Die Ergebnisse überraschen nicht. Raumerfahrungen sind subjektiv, doch lässt sich generalisierend sagen, dass der Raum als »Ab­schiedsbegleiter« wirkt. Er wird nicht nur zum Entlastungs-, sondern auch zum Begegnungsraum, was die Hinterbliebenen als hilfreich erfahren. Die räumlichen Gegebenheiten sind mit den sozialen verwoben. Im günstigen Fall verschränken sich positive Raumerfahrungen mit dem Bewusstsein, für den Verstorbenen aktiv etwas getan zu haben. So leistet der Raum Hilfe zur Trauerarbeit.
Vor die Analyse der empirischen Untersuchung stellt H. grundsätzliche Gedanken zur Bedeutung des Raumes für die Praktische Theologie, zum Verhältnis von Mensch und Raum, wobei sie hauptsächlich Bollnow folgt, zum Raumerleben in der Trauer und zu den Themen »Auferstehung« als Hoffnungsperspektive für Verstorbene und Trauernde sowie »Würde des Abschieds« als Würde für Verstorbene und Trauernde. So plausibel die auch von anderen Autoren wie R. Uden (Wohin mit den Toten? Totenwürde zwischen Entsorgung und Ewigkeit, 2006) dargelegte Verbindung mit der Menschenwürde ist, so klärungsbedürftig bleibt der Raumbegriff in der Rede vom »Verstehensraum eschatologischer Aussagen« (68). Offensichtlich wird »Raum« hier metaphorisch verstanden. Wenn H. über die Vorstellungsmodelle »Auferstehung im Tod« und »Auferstehung am Ende der Welt« nachdenkt, fällt es schwer, diese Ge­danken mit einem konkreten Abschiedsraum zu verbinden. Dass die biblisch-christliche Hoffnung in eschatologischen Bildern zum Ausdruck kommen muss und letztlich unvorstellbar bleibt, ist klar, doch ist zu fragen, inwieweit die Gestaltung eines Ab­schieds­raumes für sehr unterschiedliche Menschen adäquate Ausdrucksmöglichkeiten hat, und zugleich, ob und wie die Trauernden sie in der Situation des Abschieds wahrzunehmen vermögen.
Der empirische Teil der Arbeit ist klar und übersichtlich aufgebaut. H. erläutert die Kriterien für die Auswahl der Räume und der interviewten Personen sowie die mit der Untersuchung verbundenen Probleme. Die Raumrecherche erwies sich als mühsamer und interessanter Prozess, der bei der Überprüfung der Kriterien und des Interview-Leitfadens half. Zwölf Interviews wurden mit Raumplanern, 14 mit Begleitern und 17 mit Hinterbliebenen geführt. Ob­wohl fast die Hälfte aller Todesfälle in Krankenhäusern stattfindet, fehlen vielerorts angemessene Abschiedsräume. Die drei ausgewerteten Räume gelten dagegen als vorbildhaft. Aufschlussreich ist, wie im Markus-Krankenhaus der Diakonie in Frankfurt a. M. die Existenz eines unwürdigen Abschiedsraums zur Neugestaltung motivierte und wie das Vorhaben in einer gemeinsamen Aktion des Seelsorge-, Pflege-, Verwaltungs- und Leitungspersonals ausgeführt wurde. Im Interesse einer interreligiösen Raumkonzeption wurden Kontakte zu einem islamischen Bestatter hergestellt und Informationen über jüdische Bestattungen eingeholt. Von jüdischer Seite wird der Raum jedoch nicht gebraucht. Im Streit um die Anbringung eines Kreuzes setzten sich die Befürworter durch. Muslime nahmen im Unterschied zu manchen Christen keinen Anstoß am vorhandenen Kreuz!
Die Befunde der Interviews werfen ein Licht nicht nur auf die Motive für die Gestaltung von Abschiedsräumen und das Verhältnis von objektiver Gestaltung und subjektivem Erleben, sondern sie dienen auch dem Verstehen der verschiedenen Menschen, die privat oder beruflich mit Verstorbenen zu tun haben. In dem Stuttgarter Bestattungshaus, dessen Raum in die Untersuchung Aufnahme fand, nutzten rund 75 % der Hinterbliebenen das Angebot, Abschied zu nehmen. Diese hohe Quote zeigt, dass die andererseits in unserer Gesellschaft zu beobachtende Entsorgungsmentalität nicht einseitig zu sehen ist. Außerdem zeigen die Interviews, dass die Angstschwellen auch bei denjenigen hoch liegen, die das Angebot annehmen. Als vorbildlich erweist sich die sensible Raumgestaltung und persönliche Begleitung im Stuttgarter Bestattungshaus. Wichtiger als der Raum war für die Hinterbliebenen der Ein druck der verstorbenen Person, doch der Raum nahm darauf Einfluss.
Wie bereits angedeutet, bleibt fraglich, inwieweit der Raum über das Erleben von Wärme, Ruhe und Würde hinaus eine inhaltliche Botschaft mitteilen kann. H. möchte die religiöse Wirkung der Abschiedsräume erfassen, indem sie danach fragt, wie deren »Sinndeutungsangebot« von den Trauernden angenommen wird. Die Interviews zeigen, dass die Entschlüsselung der vorhandenen Zeichen davon abhängt, welches Vorverständnis die Einzelnen mitbringen. Die der Untersuchung vorangestellten theologischen Gedanken zur Es­chatologie lassen sich nur teilweise mit den Überlegungen zum Raum verbinden. Der Raum kann die Hoffnungsperspektive der Auferstehung nicht von sich aus kommunizieren, zumal wenn Nicht- und Andersgläubige durch vorhandene Zeichen nicht ausgeschlossen werden sollen. Zusammen mit der menschlichen Begleitung bringt der Raum die Würde zur Geltung, die den Verstorbenen zukommt und in der die Lebenden ihnen begegnen. Solche Begegnung in Würde ist notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die Kommunikation der christlichen Hoffnung.
In der Oberösterreichischen Landesnervenklinik in Linz wurde die plausible Lösung gewählt, gemäß der jeweiligen Religionszugehörigkeit austauschbare zentrale Zeichen zu verwenden. Die gestaltende Künstlerin wählte das sonst oft als kalt empfundene Blau zur dominanten Farbe, da es die Verbundenheit zum Göttlichen symbolisiert. So unterschiedlich die farblichen Ge­staltungen der verschiedenen Räume sind, stimmen sie darin überein, dass der Lichtwirkung jeweils große Beachtung zukommt, zumal das Licht auch eine metaphorische Bedeutung hat.
Nicht zu verstehen ist die wiederholte Erklärung H.s, dass »menschlich gesehen mit dem Tod alle Beziehungen abgebrochen sind« (200; vgl. 77). Vielmehr weist die Arbeit eindrucksvoll nach, wie stark trotz aller gegenläufigen Tendenzen das Bedürfnis lebt, den über den Tod hinaus bleibenden Beziehungen Ausdrucksmöglichkeiten zu geben. Die Bedeutung dieser Arbeit liegt darin, dass sie zeigt, wie wichtig dabei die Gestaltung der Abschiedsräume ist und was dafür aus sorgsam ausgewählten positiven Beispielen zu lernen ist. Im Anhang stellt sie die an die Raumplaner, Begleiter und Hinterbliebenen gerichteten Fragen zusammen, druckt Merkblätter der Frankfurter Diakoniekliniken und die im Rahmen der Untersuchung versandten Briefe ab und bietet farbliche Abbildungen aus den drei Bestattungsräumen, die den anschaulichen Cha­rakter der gesamten Arbeit unterstützen.