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Ausgabe:

November/1997

Spalte:

993–995

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Lubac, Henri Kardinal de

Titel/Untertitel:

Meine Schriften im Rückblick. Mit einem Vorwort von Erzbischof Ch. Schoenborn.

Verlag:

Freiburg: Johannes 1996 589 S. 8° = Theologia Romanica, 21. Pp. DM 67,­. ISBN 3-89411-337-5.

Rezensent:

Wolfgang Beinert

Das autobiographische Werk des 1991 verstorbenen französischen Jesuiten, Theologen und großen Christen ist eine Erinnerungsgabe seines deutschen Verlages anläßlich des 100. Geburtstages im Februar des Vorjahres. Obwohl de Lubac einer der bedeutendsten und wirkungsgeschichtlich einflußreichsten Kirchenmänner des Jahrhunderts ist, ist er wenigstens der jüngeren Theologengeneration kaum mehr bekannt. Der vorliegende Band hilft dem Mangel freilich nur in etwa ab ­ wenigstens auf den ersten Blick.

Der zeitlebens in äußerster Bescheidenheit wirkende, seit einer Kriegsverwundung 1917 gesundheitlich stark beeinträchtigte Ordenschrist bietet in recto weder seine Lebensbeschreibung noch Einblick in seine innere Entwicklung, sondern will eine Art Rückblick auf sein literarisches ‘uvre geben. Weil dieses jedoch keinen systematischen Entwurf zugrunde liegen hat, vielmehr jeweils ad hoc auf aktuelle Herausforderungen Antwort geben wollte oder mußte, entsteht ein farbiges und reiches Gemälde der römisch-katholischen Kirchengeschichte in den letzten beiden Dritteln unseres Jahrhunderts, die der Autor über einen Zeitraum von 50 Jahren maßgeblich mitgestaltet und miterlitten hat. Nicht zuletzt tragen dazu die jedem Kapitel angefügten Annexe bei: Rezensionen, Briefe, Dokumente aus der eigenen oder aus fremder Feder, welche dann doch einen intimen Blick hinter die Kulissen nicht selten zulassen. Eine tabellarische Biographie, ein ausführliches Personenregister, das Verzeichnis der deutschen Werkausgaben erleichtern den Zugang in guter Weise. Man wünschte sich freilich mehr als die äußerst kargen Erläuterungen seitens der Übersetzer: Vielen Lesern bleiben die Zusammenhänge inzwischen mangels Sachkenntnis verborgen.

Der zeitliche Rahmen reicht von der Erstveröffentlichung des Jahres 1930 bis 1981. Dazwischen liegt die zweite Antimodernismuswelle, deren Höhepunkt durch die Enzyklika "Humani Generis" (Pius XII. 1950) bezeichnet wird und deren Hauptzielscheibe die Lyoner Jesuitenfakultät war, an der de Lubac lehrte; dazwischen liegt die Ablösung des neuscholastisch-rationalistischen Systems in der Theologie durch eine aus dem ganzen Reichtum der Tradition schöpfende Glaubenswissenschaft, nicht zuletzt angestoßen durch sein Werk "Surnaturel" und die Herausgabe der Väterschriften in der Monumentalreihe «Sources chrétiennes»; dazwischen liegen endlich das Zweite Vatikanische Konzil und die ersten Auseinandersetzungen um seine Rezeption, mitgetragen auch durch den Konzilsperitus de Lubac. Mit fast allen Akteuren in diesem halben Jahrhundert hatte er Kontakt: Bewegende Seiten sind Freunden und Mitstreitern wie Y. de Montcheuil, P. Teilhard de Chardin, J. Monchanin gewidmet. Wir erfahren über seine Begegnungen mit Theologen wie Y. Congar oder H. Urs v. Balthasar, der ihm dann als Übersetzer, Verleger und Herausgeber den Weg in den deutschen Sprachraum gebahnt hat. Hier haben besonders die eher geistlichen Schriften reussiert, so «Catholicisme» oder «Meditation sur l’église», während in Frankreich naturgemäß die Schriftenreihe "Theologie" mit ihren patristischen und mediävistischen Studien (4 Bände «Exégèse médiévale») und die Werke zum Buddhismus und Humanismus gelesen wurden, zusätzlich zu den eben genannten Werken.

Hinter den vielen Seiten dieses Buches erscheint freilich ­ und das ist seine eigentliche Größe und Bedeutung ­ die Kontur eines bedeutenden Glaubenden, der nicht nur ein großer Gelehrter, sondern ein exemplarischer Christ gewesen ist. An keiner Stelle verliert der Autor seine edle Vornehmheit ­ aber gerade deswegen kann man nur mit äußerster Erschütterung den Leidensweg verfolgen, der ihm von seinem Orden, manchen seiner Kollegen und vor allem von "Rom" auferlegt worden ist. Er schließt Diffamierungen, Denunziationen, Verdächtigungen, aber auch physische Beeinträchtigungen (in Paris muß er dauernd die Wohnung wechseln, da er die Stadt "verseuche": 206) demütigendster Art ein.

Er erlebt, wie sein eigener Ordensgeneral betreffs seiner verwirft, was er selbst zuvor gebilligt hatte. "Keine Autorität der Gesellschaft Jesu ... hat mich jemals ex officio über meine ... Lehrmeinung befragt. Keine Autorität der Kirche ... Nie, kein einziges Mal in meinem Leben. Hingegen gab es zahlreiche Anschuldigungen aller Art ... Keine legitime Autorität hat sich diese je zu eigen gemacht ...". Eine scheinbare Ausnahme bildet eine Anklage des Jesuitengenerals Janssens 1950. "Diese Ansprache stammt nicht von ihm; sie ist voller offensichtlicher Gegen-Wahrheiten. Der hochwst. P. General hat mir in der Folge mündlich wie schriftlich zahlreiche gegenteilige Zeichen gegeben" (575). Das sind die letzten Sätze des Autors in diesem Buch. 1983 hat Papst Johannes Paul II. dem Sechsundachtzig-jährigen den Kardinalspurpur verliehen.

Das letzte Werk des späten "Kirchenfürsten" ist eine unerläßliche Quelle für jeden, der sich mit der Theologie, der Kirchenpolitik und den Kircheninterna des 20. Jh.s befaßt.