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Ausgabe:

November/2007

Spalte:

1217–1219

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Frank, Günter, u. Stephan Meier-Oeser [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Konfrontation und Dialog. Philipp Melanchthons Beitrag zu einer ökumenischen Hermeneutik.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2006. 275 S. gr.8° = Schriften der Europäischen Melanchthonakademie, 1. Kart. EUR 28,00. ISBN 978-3-374-02433-9.

Rezensent:

Stefan Rhein

Eine neue Institution stellt sich mit dem ersten Band ihrer Schriftenreihe vor. Und dies vorweg: Der Beginn ist ambitioniert und vielversprechend. 2004 wurde die »Europäische Melanchthon-Akademie« gegründet, wie ihre Initiatorin, das Melanchthonhaus, in Bretten beheimatet, mit einem Aufgabenspektrum, das ein Zentrum im ökumenischen Profil Philipp Melanchthons besitzt und ebendieses nicht nur erforschen, sondern auch für die aktuellen Diskussionen fruchtbar machen will. Die Zielsetzung ist program­matisch weit gefasst: »Die Melanchthon-Akademie verfolgt deshalb in gesamteuropäischer wie ökumenischer Perspektive das Ziel, die interkonfessionellen, interreligiösen und interkulturellen Dialoge der Gegenwart durch Grundlagenforschung zu fördern und historisch wissenschaftlich zu fundieren« (14).
Der Band fasst die Beiträge des ersten Kolloquiums (01.–03.12.2005) zusammen. Während Melanchthons bekanntester Eh­rentitel »Prae­­ceptor Germaniae« seit 1889, seit Karl Hartfelders eindrucksvoller Monographie gleichen Namens, vielfältig illustriert und expliziert ist, wartet das wohl erst 1960 geprägte, zunehmend häufiger benutzte epitheton ornans »größte ökumenische Gestalt der Reformationszeit« noch auf seine umfassende Darstellung. Bausteine dazu lieferten Beiträge vor allem zum 450. Jubiläumsjahr der Confessio Augustana (1980) und zum 500. Geburtsjahr Melan­chthons (1997). Die elf Aufsätze des neuen Sammelbandes illustrieren, dass sich das Forschungsparadigma »Melanchthon als Ökumeniker« als tragfähig, zumindest als überaus anregend erweist (wenn auch bisweilen ex negativo, da häufig die konfessionelle Ab­grenzung sich deutlicher zeigt). Der Bogen der Zugänge ist dabei weit gespannt: Michael Plathow zeigt für Melanchthon die Bedeutung des Consensus de doctrina evangelii auf, der in Weiterführung humanistischer Denkformen und der gemeinsamen apostolischen Tradition den Fundamentalkonsens mit den Altgläubigen begründet (unter Absehung der nicht-fundamentalen Vielheit unterschiedlicher Aussageformen und Gebräuche). Dissent bleibt die Begründung für die Autorität der Feststellung des Consensus (päpstliches versus gegliedertes evangelisches Lehramt). Einem Streitpunkt der heutigen Debatte, der Frage nach dem Kirchenverständnis, widmet sich Athina Lexutt; sie untersucht die einschlägigen Texte (Loci Communes, CA, Tractatus de potestate Papae, De ecclesia etc.), die die eindeutige und uneingeschränkte Priorität des verbum divinum festhalten und zunehmend die ecclesia visibilis betonen, immer aber als Gemeinschaft der Glaubenden im reformatorischen Sinne: also Melanchthon anti-ökumenisch mit Blick auf die römisch-katholische Ekklesiologie.
Melanchthons Ordinationsverständnis stellt Konrad Fischer vor, ebenfalls (vor allem nach der CA) eher ein Thema der Abgrenzung als der Verständigung. Theodor Dieter stellt bei Melanchthons Verständnis der Synode ›evangelische‹ Forderungen heraus (Wahrheit nicht durch Konsens, sondern durch Korrespondenz mit der Heiligen Schrift; Teilnahme auch nicht ordinierter Personen), belegt aber auch dessen Furcht vor »große grausame Unruh aus den Synodis«, also dessen eher problematisches Verhältnis zu Synoden. Der katholische Kirchenhistoriker Vinzenz Pfnür unterstreicht durch eine Prüfung der historischen Diskussionen im Augsburg des Jahres 1530 den weitgehenden Konsens in der Lehre, dem Kontroversen in den Kirchenbräuchen (Abendmahl unter beiderlei Gestalt, Zölibat) entgegenstehen, und beschreibt Melanchthons theologische Methode (Ausrichtung auf Frömmigkeit, Verzicht auf Reizworte, Meidung unnützer Fragen etc.) als impulsgebend für die heutige ökumenische Debatte. Auch der zweite katholische Beitrag (von insgesamt drei) stellt sich mit positivem Ergebnis dem »Ökumeniker« Melanchthon: Burkhard Neumann nimmt die CA und die Apologie als Dokumente der Verständigung und der Bewahrung der Einheit ernst, vor allem auch in ihrer Berufung auf die kirchliche Tradition (vor allem Kirchenväter). Melanchthons Bildungsreform betrachtet Markus Wriedt auf ihr ökumenisches Potential hin. »Die humanistischen Grundlagen der melanchthonischen Vermittlungsbemühungen« untersucht Stephan Meier-Oeser und sieht diese vor allem in der Scholastikkritik und in der humanistischen Sprachkonzeption (Verbindung von Eloquenz, Erudition und moralischer Integrität), die Melanchthon auf die Gesprächsbereitschaft der viri doctri et boni und auf einen Ge­sprächsmodus der Konzentration auf das Wesentliche hoffen ließ. Den Ökumene-Begriff weitet Risto Saarinen ins Allgemein-Menschliche aus, wenn er Melanchthons berühmte Sentenz: »Denn das heißt Christus erkennen: seine Wohltaten erkennen« mit Senecas Verständnis von Wohltat als Gunst (im Sinne der Einstellung des Gebers), nicht als Gabe (also ist Gunst die eigentliche Gnade) und mit Melanchthons medizinischer Metaphorik von der therapeutischen Funktion der Theologie verknüpft. Melanchthons Confessio Saxonica, als consilium für das Trienter Konzil begonnen, avancierte zu einem wichtigen protestantischen Bekenntnistext mit intensiver Rezeption in Siebenbürgen, so Günther Wartenberg. Ebenso der binnenprotestantischen Ökumene widmet Herman Selderhuis seinen Beitrag, indem er die Heidelberger Irenik eines Pareus und Junius als Fortsetzung des ökumenischen Denkens Melanchthons darzustellen sucht.
Dem Stoßseufzer Melanchthons ist angesichts der aktuellen ökumenischen Skepsis vielleicht Naivität, gewiss aber die auch heute nötige Portion Gottvertrauen zu attestieren: »Möge Gott uns seine Gnade geben, dass wir mehr das lehren in der Kirche, was aufbaut, als das, was Hass und Streitigkeiten entzündet« (120).