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Ausgabe:

November/2007

Spalte:

1212–1214

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Frost, Stefanie

Titel/Untertitel:

Nikolaus von Kues und Meister Eckhart. Re­zeption im Spiegel der Marginalien zum Opus Tripartitum Meis­ter Eckharts.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2006. XXX, 298 S. m. Abb. gr.8°. Kart. EUR 45,00. ISBN 978-3-402-04030-0.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Die Arbeit wurde als Dissertation von der Theologischen Fakultät in Göttingen (Betreuer und Gutachter: E. Mühlenberg und J. Ringleben) 2005 angenommen. Sie ist dem Cod. Cus. 21 gewidmet, der Handschrift, die die lateinischen Werke Eckharts – und zwar alle bekannten Teile des Opus tripartitum – enthält. Die Handschrift wurde erst 1886 von H. Denifle gefunden und stellt den wohl wichtigsten Textzeugen für die lateinischen Werke von Meister Eckhart dar. Offensichtlich hat Nikolaus von Kues sie selbst anfertigen lassen. Schon aus dieser Tatsache ergibt sich, dass die Werke von Eck­hart ihm besonders wichtig waren.
F. gibt in ihrer Arbeit zunächst einen Forschungsbericht und erläutert darauf Absicht und Gliederung ihrer Arbeit. Dann beschreibt sie den Codex (19–48) und schließlich die Marginalien, die Nikolaus von Kues bei der Lektüre angebracht hat (49–172). Sie stellt die »Explizite Rezeption« dar (173-219) und gibt eine Schlussbetrachtung (221–223). Anschließend ediert sie die Marginalien (225–290) und fügt einige Abbildungen von Blättern des Codex bei.
Es ist eine Kärrnerarbeit, die F. geleistet hat. Indem sie alle Marginalien auflistet und in ihrem Zusammenhang beschreibt, gibt sie sowohl der Eckhart- als auch der Cusanus-Forschung das Material an die Hand, um damit das Verhältnis beider Denker zueinander zu erforschen, auch wenn bisher schon bekannt war, dass Nikolaus von Kues Meister Eckhart kannte und hochschätzte. Aber F. listet nicht nur die Marginalien auf, sie legt auch eine Arbeit vor, die die Bedeutung der Texte für Nikolaus von Kues einzuschätzen versucht. Dabei stellt sie fest, »daß die von Cusanus angestrichenen Stellen kaum verarbeitet worden sind«, er aber andererseits häufig »unmarkierte Stellen übernommen« hat (216). Man erwartet natürlich, dass anhand der von Nikolaus von Kues annotierten Stellen abgelesen werden kann, »welche Gedanken Cusanus neu kennenlernte, aus denen er dann seine eigene Philosophie entwickelte und in Schriften darlegte«. Aber es zeigt sich, dass »die Marginalien kein Garant dafür« sind, welche Gedanken Nikolaus von Kues bei seiner Lektüre neu kennenlernte (13.15).
In der Forschung war bisher umstritten, wie bestimmend der Einfluss von Eckhart auf Nikolaus von Kues gewesen ist, ob durch Einzelaussagen oder durch ein übergeordnetes Thema (wie etwa die sog. Negative Theologie). Weniger umstritten war, dass »die von Eckhart (und auch Cusanus) vertretene Mystik keine irrationale Erlebnismystik ist, sondern eine spekulative Mystik, philosophische Mystik – wie auch immer zum Ausdruck gebracht werden soll, daß der Intellekt des Menschen beteiligt ist« (9). – Eine Schwierigkeit bestand für Nikolaus von Kues darin, dass Meister Eckhart 1329 kirchlich verurteilt worden ist und es deshalb gefährlich war, sich auf ihn zu berufen. Nikolaus von Kues’ scharfer Kritiker Johannes Wenck hatte genau das ihm vorgeworfen. Aber F. weist darauf hin, dass für Theologen, die nicht zu den »simplices« gehörten, wohl nur Gefahr bestand, wenn sie Eckhart »pertinaciter« verteidigten (29). Nikolaus von Kues hat Eckhart selten in seinen Werken mit Namen zitiert, doch hat er sich nicht gescheut, dies an einigen Stellen zu tun, so vor allem in drei Brixener Predigten zwischen 1453 und 1456.
Die meisten der 406 Annotationes des Nikolaus von Kues finden sich in der dem Opus tripartitum beigefügten Predigtsammlung Meister Eckharts, doch hat er offensichtlich alle im Codex enthaltenen Texte gründlich gelesen. Es zeigt sich, dass ihn vor allem die »Aussagen zu der Beziehung Gott-Welt in Form von Seinsverleihung und zu dem Verhältnis verschiedener Ursachen« interessierten, weniger moralische Fragestellungen (60.164). Er »notiert Aussagen zu grundsätzlichen gnoseologischen Fragen scholastischer Theologie, im wesentlichen zu Fragen nach Wesen und Vorzüglichkeit des Intellekts und zu dem Verhältnis von Denken und Sein« (135, zu Meister Eckharts Sermo XXIX). Schwerpunkte der Annotationes sind Gott in seinem Sein und Wirken, Gott im Verhältnis zum Geschaffenen und Schöpfung und Wesen des Menschen. Zum letzteren Themenkreis gehört das Verhältnis von Gnade und Erkennen.
Nikolaus von Kues ist Eckhart nicht sklavisch gefolgt, das zeigen schon die unterschiedlichen Interessen beider Denker. Vor allem will Nikolaus von Kues »einer Festlegung Gottes auf präzise Termini entgehen«. Er stimmt wohl mit Eckhart in vielen ontologischen Aussagen überein, aber es ist, über ihn hinausgehend, Ni­kolaus von Kues »wichtig zu betonen: Wir sind erst auf dem Weg – aber dieser Weg führt zu Gott« (209). Wiederum ist der Unterschied beider auch so zu beschreiben: Eckhart ist mehr »an der Liebe in ihrer ontischen Funktion als diejenige Größe, die die Einheit der Gemeinschaft schafft, interessiert ..., während Cusanus Liebe tatsächlich als konkrete Antwort nennt auf die Frage, wie man in die Gemeinschaft ... gelangt« (214).
Zwar war Nikolaus von Kues vorsichtig, wenn er Gedanken von Meister Eckhart verwendet. Charakteristisch ist, dass er dessen Ge­danken »in ›dogmatische‹ Formulierungen« und in »scholastisch-thomistische« Begrifflichkeiten überführt. So gelingt es ihm, eck­hartsche Gedanken zu entschärfen und nachzuweisen, dass sie rechtgläubig sind; außerdem gibt er ihnen eine »christologische Zuspitzung« (218). Beiden gemeinsam ist als letztes Ziel ihres Denkens das Sein bei Gott, doch blickt Nikolaus von Kues länger auf die geschaffene Welt und den menschlichen Geist als Eckhart. Nikolaus von Kues hat Eckhart nicht gelesen und annotiert, weil »er in ihm eine Materialsammlung sah. Cusanus hat Eckhart annotiert, weil er in ihm einen Denker gefunden hat, der die Beziehung von Gott und Welt dargestellt hat« (223).
F. hat eine subtil gefertigte Arbeit vorgelegt. Nur wenige Fehler sind stehen geblieben. Nikolaus von Kues hat nicht von der »una fides in rituum varietate« gesprochen, sondern von der »religio una...« (4; vgl. De pace fidei, n. 6). Ob Nikolaus von Kues zeitweise bei den Fraterherren in Deventer gelebt hat, bleibt Spekulation (179). F. redet mehrfach vom Pantheismusvorwurf (so auch 181). Der Sache nach hat Johannes Wenck diesen Vorwurf erhoben, aber den Begriff gab es weder im 14. noch im 15. Jh. Doch das sind letztlich Kleinigkeiten. F. hat mit ihrer Arbeit sowohl die Eckhart- als auch die Cusanus-Forschung bereichert.