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Ausgabe:

November/2007

Spalte:

1206–1208

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schenke, Ludger

Titel/Untertitel:

Das Markusevangelium. Literarische Eigenheit – Text und Kommentierung.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2005. 357 S. gr.8°. Kart. EUR 22,00. ISBN 3-17-018938-7.

Rezensent:

Eve-Marie Becker

Ludger Schenke, emeritierter Professor für Neues Testament an der Katholischen Fakultät der Universität Mainz, knüpft mit dieser Monographie an frühere Arbeiten zum Markus-Evangelium an (z. B. Auferstehungsverkündigung und leeres Grab, Stuttgart 1968; Das Markusevangelium, Stuttgart etc. 1988). Unter Zurückstellung diachroner und Betonung literaturwissenschaftlicher Methoden geht es Sch. bei der vorliegenden Arbeit darum, das MkEv als »literarisches Werk« zu verstehen, »durch das der Autor als ein anderer die Leser zu Teilnehmern an der Welt und am Lebensweg des Gottessohnes Jesus machen will« (7).
Die Monographie versteht sich im Wesentlichen als einen Kommentar zum MkEv und ist wie folgt untergliedert: Ein erster Teil (8–42) widmet sich unter der Überschrift »Die literarische Eigenart des Markusevangelium« den Einleitungsfragen im weitesten Sinne. Der zweite Teil des Buches (43–353) bietet den »Text« und die »Kommentierung« des MkEv von Mk 1,1–16,8. Eine vierseitige Bibliographie (354–357) schließt den Band ab.
Nun zu den beiden Teilen im Einzelnen, zunächst zum ersten Teil: Sch. bearbeitet die Einleitungsfragen unter vier Aspekten: 1.der Gattung (8–21), wo »Topographie« und »Zeit«, also ›Erzählzeit‹ und ›erzählte Zeit‹, sowie die Nähe des MkEv zum Mythos diskutiert werden. Der 2. Aspekt der Einleitung nimmt die unter 1.3. getroffene Entscheidung (»Markusevangelium als Mythos«, be­son­ders 15 ff.) auf und fragt nun nach dem ›Inhalt‹ dieses Mythos (21–25) – der Begriff ist vor allem durch P.-G. Klumbies (2001) in die Mk-Diskussion eingebracht worden. Dabei versteht Sch. Mk 12,1–11 als Schlüsseltext oder ›fundierende Geschichte‹ (21), die bereits die zentralen Themen: »Situation der Menschen und Israels«, »Ratschluss Gottes« und die »Umsetzung des Planes Gottes durch den Sohn« in Rätselform enthalte.
Der 3. Aspekt der Einleitung nimmt den Autor des MkEv – vorwiegend im Sinne des literarischen Verfassers oder des Erzählers – in den Blick (26–29). Die Kategorie des Autors wird auf der Basis literaturwissenschaftlicher Diktion einerseits als ›allwissender Erzähler‹, andererseits als ›realer Autor‹, i. e. als historischer Verfasser, zu umschreiben versucht. Im 4. Teil seiner Einleitung beschäftigt sich Sch. schließlich mit den Lesern des MkEv (30–42). Dabei werden das »Leserbild« des Erzählers sowie Fragen zur Entstehungszeit des MkEv diskutiert: Sch. sieht besonders in Mk 13,2; 15,38 keinen Rück­blick auf die Tempelzerstörung und datiert das MkEv daher zeitlich vor 70 n. Chr. (34). Abschließend fragt Sch. nach der Situation der historischen Leserschaft (35 ff.) und dem Ort des Evangeliums (40 ff.): Sch. tendiert hierbei dazu, eher Antiochien oder Phönizien/Syrien als Rom für den Abfassungsort des MkEv zu halten (42). Bei diesen Überlegungen bezieht Sch. die Rezeptionsbedingungen mit ein: Der Abfassungsort muss auch »die rasche Verbreitung des MkEv, die das MtEv und das LkEv bezeugen, erklären können« (ebd.).
Der kommentierende Teil des Buches ist in sieben Teile gefasst, die Sch.s Ansatz zur Gliederung des MkEv widerspiegeln: a. Buchtitel (Mk 1,1) (43–44), den Sch. als ›Metatext‹ versteht (43), aber kaum von der Funktion der Evangelienüberschrift unterscheidet. In Teilb.: »Vorspiel im Himmel und auf Erden« (Mk 1,2–13) (45–57) greift Sch. auf H.-J. Klaucks Terminologie zurück. Die exegetische Dis­kussion etwa über die Herkunft des Mischzitats in Mk 1,2 f. wird kaum geführt. Die nächsten vier Abschnitte werden als ›Erzählbögen‹ gefasst. Bei dieser Untergliederung verknüpft Sch. topographische und theologische Aspekte: So steht Teil c. (Mk 1,14–3,6) unter der Überschrift ›in Galiläa‹ (59–98), Teil d. (Mk 3,7–8,26) lautet ›rund um den See Galiläa‹ (99–196). Teil e.: Sch. charakterisiert Mk 8,27–10,52 (197–254) als Passionsvorbereitung (›auf dem Weg‹), fasst in Teil f. Mk 11,1–15,47 als ›Jerusalemer‹ Einheit (255–349) und in Teil g. – komplementär zu Mk 1,2–13 – Mk 16,1–8 als »Epilog« (350–353). Besonders die als ›Erzählbögen‹ gefassten Teile c. bis f. untergliedern den Mk-Text weiter und sind dabei jeweils parallel aufgebaut: Auf einen ›analytischen‹ Teil, der die Abgrenzung, Verweisstrukturen im Text sowie dessen Aufbau diskutiert, folgt der ›auslegende‹ Teil, der mit einer Textübersetzung beginnt und dann weitere Unterabschnitte des Mk-Textes deutet. Sch. verfährt hier insgesamt im Sinne der Interpretation, weniger im Sinne der Text-exegese: Der Mk-Text wird fortlaufend kommentierend erläutert, nicht jedoch in Einzelvers-Exegese, die u. a. Textkritik einschließen würde, philologisch analysiert. Das Genus des Kommentars wird dadurch verflüssigt.
Zur Gesamtwürdigung: Das Verdienst von Einleitung und Kommentar ist ein Doppeltes: Sch. nimmt erstens die Perspektiven, die die Literaturwissenschaften (besonders G. Genette) in terminologischer und methodischer Hinsicht für die Interpretation neu­tes­tamentlicher Texte eröffnen, konsequent in den Blick. Damit kommt Sch. teilweise zu interessanten Textbeobachtungen, die vor allem die Wahrnehmung des MkEv als narrativer Gesamtkomposition schärfen. Zugleich wird das Instrumentarium zur Deskription der narrativen Struktur des MkEv sinnvoll erweitert, was allerdings inzwischen bereits zum Standard neutestamentlicher Proseminare gehört. In biographischer Hinsicht ist zweitens bemerkenswert, dass und wie ein umfassend ausgewiesener Exeget wie Sch. sich explizit zu einem exegetischen Paradigmenwechsel be­kennt (7).
Doch zeigt die Monographie deutliche Schwächen: Das Literaturverzeichnis ist eigenwillig begrenzt und lässt wichtige, besonders historisch-kritisch ausgerichtete Untersuchungen zum MkEv vermissen – dazu zählt nicht nur der Kommentar von Joel Marcus, sondern auch Arbeiten zur synoptischen Tradition (etwa G. Theißen). Dafür ist eine deutliche Betonung literaturwissenschaftlich orientierter Beiträge zu erkennen: Sch. stellt diesen Kommentar – ohne eine deutlich erkennbare Auseinandersetzung mit der Forschungsgeschichte – offenbar also als literaturwissenschaftliches ›Programm‹ in die gegenwärtige Situation der Mk-Exegese hinein. Allerdings ist hier nach dem intendierten Leserkreis zu fragen: Der Verzicht auf Fußnoten und ein Register sowie die nur sehr knapp gehaltenen Hinweise auf Referenzliteratur im Fließtext weisen den Kommentar als kaum geeigneten Beitrag für den gegenwärtigen wissenschaftlichen Diskurs aus. Sofern dieser Le­serkreis primär nicht intendiert ist – wie dies etwa auch im Kommentar von Wilfried Eckey (1998) der Fall ist –, sind keine Einwände geltend zu machen. Sch. reflektiert jedoch kaum, wo sein Buch forschungsgeschichtlich zu positionieren und an welche Leserschaft es gerichtet sei. Dieser Umstand macht die Benutzung im wissenschaftlichen Diskurs kaum möglich, erschwert aber auch die Lektüre unter interessierten Laien.