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Ausgabe:

November/2007

Spalte:

1204–1206

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Roose, Hanna

Titel/Untertitel:

Eschatologische Mitherrschaft. Entwicklungslinien einer urchristlichen Erwartung.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht; Fribourg: Academic Press Fribourg 2004. 376 S. gr.8° = Novum Testamentum et Orbis Antiquus. Studien zur Umwelt des Neuen Testaments, 54. Geb. EUR 54,00. ISBN 3-525-53955-X (Vandenhoeck & Ruprecht); 3-7278-1464-0 (Academic Press Fribourg).

Rezensent:

Marco Frenschkowski

Die Studie ist Teil 2 einer Heidelberger Habilitationsschrift, die im Oktober 2001 eingereicht wurde. Die alttestamentlich-jüdische Vorgeschichte des Motivfeldes (Teil 1) ist bearbeitet als separate Monographie und unter dem Titel »Teilhabe an JHWHs Macht. Endzeitliche Hoffnungen in der Zeit des zweiten Tempels« (Münster: Lit 2004) erschienen. In klarer Gedankenführung wird das Mo­tiv einer eschatologischen Mitherrschaft der Christen mit Chris­tus traditionsgeschichtlich durch das frühe Christentum verfolgt. Mit dem Jesuslogion Mt 19,28* (= Q 22,28.30 nach heute üblicher Zählung) spricht schon der historische Jesus dem Zwölferkreis exklusiv (nicht stellvertretend für eine größere Gruppe) die heilvolle Herrschaft über Israel als messianische Beauftragung zu (30–95). Er knüpfe dabei vielleicht an die alttestamentliche Tradition der zwölf Stammesfürsten (der Phylarchen) an. Unter Einfluss der Tradition vom leidenden Gerechten und Märtyrer wird das Motiv in der frühchristlichen Gemeinde zur Verheißung eines eschatologischen Lohnes (so Lk 22,28–30). Mk 10,35–45 zeigt, dass diese Hoffnung auch Konflikte auslösen konnte. Die Offb (3,21 u. ö.) verallgemei­nert das Motiv, indem sie »in allen Christen potentielle Märtyrer sieht und ihnen als Siegern eschatologische Herrschaft zusagt« (311). Dabei ignoriere sie die Gemeindeleiter und dämonisiere weltliche Macht (169–209). 2Tim 2,12a verlängere die innergemeindlich entstehenden Leitungsfunktionen sozusagen ins Eschaton (209–231). Polykarp, Phil 5,2 korrigiere 2Tim 2,12a, indem nicht mehr die Martyriumsbereitschaft der Leiter, sondern allgemein gottgefälliges Leben für eschatologische Herrschaft ausschlaggebend sei. Mt vermittele zwischen den Ansprüchen der Wanderradikalen, denen die Herrschaft vorbehalten bleibt (19.28), doch erhalten alle gleichen »Lohn« (20,1–16). Zur Gnosis tendierende Quellen (EpJak, EvThom u. a.) verbinden Erwartungen von »Herrschaft« und »Ru­he« mit anderen Motiven zu einer Hierarchie der Konsequenzen wahrer Erkenntnis (240–257). Während bei diesen Autoren es­chatolo­gische Mitherrschaft Lohn ist, akzentuiere Paulus sie als Geschenk an alle Gläubigen (260–294). Noch wenig deutlich in 1Kor 4,8; 6,2 f., aber massiver dann in Röm 5,17 werde das Herrschaftsmotiv in die paulinische Soteriologie eingetragen. Herrschen ist nicht mehr Lohn, sondern Geschenk auf Grund der Heils­tat Christi. Vielleicht stehen im Hintergrund Diskussionen auf dem Apostelkonzil. Eph 1,20–23; 2,5 f. sieht über Paulus hinaus in der Mitherrschaft der Glaubenden einen Zustand der Gegenwart und konkretisiert ihn mit der Leib-Metapher (294–308).
Es ergibt sich ein klares und plausibles Bild der Traditionsgeschichte des Motivfeldes. Gedanken Gerd Theißens sind allenthalben zu spüren, wobei manches aus dessen Ansätzen präzisiert wird (etwa zu Theißens »Gruppenmessianismus«-These). Zum Jesuslogion Q 22,28.30 wäre über R.s Ausführungen hinaus vielleicht noch deutlicher zu fragen, wer Jesus als derjenige ist, der seinen Jüngern königliche Throne zusagt. Im Rahmen monarchischer Symbolik wird er damit zum »König der Könige«, ein orientalisches Weltherr schaftsinterpretament, demgegenüber die römischen Kaiser in neu­testamentlicher Zeit eher Zurückhaltung geübt haben. Dies ist m. E. die eigentliche verborgene Mitte des Logions: Wer ist derjenige, der diese Herrschaft vergibt? Anders S. 77: Rückschlüsse auf das Selbstverständnis Jesu seien nicht zu ziehen. Aber vielleicht wird hier die Bildlogik unterschätzt. Wie R. richtig sieht, ist eine semantische Nähe von »Richten« und »Herrschen« dabei auch sachlich gegeben (vgl. den Exkurs, 53–57, zur Übersetzungsfrage). Fergus Millar hat vor Jahren gezeigt, dass auch die imperiale Herrschaft des Kaisers primär als Ausübung von als wohltätig erlebten Ge­richts- und Schiedsfunktionen verstanden wurde. »Richten« in diesem weiten Sinn hat offenbar den größten Teil der kaiserlichen Arbeitszeit gefüllt. Auch dies gehört zum Verständnishintergrund des Logions. Die besondere Bedeutung des Paulus für das Motiv-feld besteht nicht zuletzt darin, dass seine beiläufige und paränetisch zuspitzende Einführung des Motivs in 1Kor 6,2 f. (Chris­ten werden über die Engel richten) zeigt, dass hier ein Stück früh­christlicher arkaner Mythologie vorliegt, dessen Details ohne Frage zu den sozusagen nur geflüsterten Interna der Gemeinden ge­hört haben.
In zwei weitere Blickrichtungen bedarf die Arbeit einer Ergänzung durch künftige Untersuchungen. Einmal wird die religionsgeschichtliche Umwelt weithin auf das antike Judentum enggeführt. Damit tritt aber die Frage nach der Bedeutung des Motivs im Kontext der Konkurrenz antiker Missionsreligionen kaum in den Blick. Dabei geht es nicht um »Einflüsse«, sondern um signifikante Parallelen, die auf vergleichbare Missionssituationen reagieren. Das frühe Christentum der vorliegenden Studie bewegt sich in einem merkwürdig umgebungslosen Raum, in dem ausschließlich Jüdisches die religiöse Vorstellungswelt prägt. Was jedoch waren die Verstehensbedingungen heidenchristlicher Menschen für das Motivfeld? Das »Sitzen auf Thronen« bietet hier einen Ansatzpunkt. (Um nur ein weniger bekanntes orientalisches Beispiel zu nennen: Yascht 15 wird den kultischen Verehrern Vayus das Sitzen auf goldenen Thronen versprochen.) Epiktet, Enchiridion 15 sagt, der stoische Weise werde nicht nur Tischgenosse der Götter, sondern ihr Mitherrscher sein. Solche Texte fehlen bei R. völlig. Daher bleibt auch bei Auflistung der Funktionen des Motivfeldes (316 f.: paränetisch, politisch, ekklesiologisch und heilsgeschichtlich) der Gedanke einer Wirkung im Missionskontext außen vor. Dies widerspricht der Idee, dass es sich hier partiell um christliche Arkandisziplin handelt, nicht: Gerade Gerüchte über das Verheißungspotential tragen zum Faszinans neuer Religionen bei. Daher wäre es auch heuristisch wertvoll, die Untersuchung anhand heutiger neuer religiöser Bewegungen, d. h. heute neu entstehender Religionen zu sensibilisieren. Weltherrschaftsphantasien für die Anhängerinnen und Anhänger spielen ja in zahlreichen neuen Kirchen und Religionen eine erhebliche, wenn auch nach außen oft nur angedeutete Rolle. Auch an Koran, Sure 37,44 ist zu denken, falls hier »Throne« zu übersetzen ist.
So bleibt bei aller geleisteten Arbeit der Eindruck, dass die Brisanz religiöser kompensatorischer Herrschafts- und Weltherrschaftsphantasien nicht völlig in den Blick gerät. Das frühe Christentum verdankt vielleicht zumindest einen Teil seiner Attraktivität für Menschen der Antike dem Versprechen, dass diese als Christinnen und Christen einmal die Macht des Kaisers übernehmen würden. Diese gedankliche Ungeheuerlichkeit muss erst noch eingehen­der religionsgeschichtlich und religionspsychologisch verstanden werden, ehe wir daran denken können, sie etwa sy­stematisch-theo­logisch zu reflektieren. Vielleicht wird sie dann so zu interpretieren sein, dass es um eine Wiedergewinnung der königlichen Würde des Menschen in der Nachfolge des Messias Jesus geht. Die vorliegende Studie bietet das frühchristliche Material hierzu in exemplarisch klarer und präziser Sichtung.