Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

November/2007

Spalte:

1202–1204

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kloppenborg, John S.

Titel/Untertitel:

The Tenants in the Vineyard. Ideology, Economics, and Agrarian Conflict in Jewish Palestine.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2006. XXIX, 651 S. m. Abb. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 195. Lw. EUR 129,00. ISBN 978-3-16-148908-2.

Rezensent:

Kurt Erlemann

Die umfang- und detailreiche Studie des kanadischen Neutestamentlers John S. Kloppenborg enthält neun Kapitel (350 Seiten) Text- und Realienanalyse und weitere 230 Seiten Quellen zum antiken Weinbau und Pachtwesen. Der Ansatzpunkt der Studie ist ein ideologiekritischer: K. präsentiert die Wirkungs- und Auslegungsgeschichte des Gleichnisses von den »bösen« Winzern als Ergebnis einer »powerful ideological manipulation« (VIII). Zum einen wird die Festigung staatlicher Macht als Leitmotiv der Auslegung ab der Konstantinischen Wende herausgearbeitet. Zum anderen seien bereits die synoptischen Varianten des Gleichnisses Zeugnisse einer ideologischen Sichtweise – der christologischen und (latent) antijüdischen Vereinnahmung eines ursprünglich ganz anders ausgerichteten Gleichnisses.
Damit ist bereits die Grundthese K.s benannt: Die geläufige Lesart als Gleichnis von den »bösen« Winzern ist eine Umkehrung der ursprünglichen Textintention, die in EvThom Log 65 konserviert sei – als Gleichnis, das die Torheit eines reichen Großgrundbesitzers, der am Ende alles verliere, demonstriere. Historischer Ausgangspunkt der folgenschweren Umdeutung sei die nachösterliche Deutung des Gleichnisses auf das Geschick Jesu und der Juden. Traditionsgeschichtlich entspricht dem nach K. die allegorisierende Verknüpfung des Gleichnisses mit dem Weinberglied Jes 5,1–7.
Mit dieser These sind mehrere Problemkreise verknüpft: 1. die gleichnistheoretische Frage nach der »Urform« des Gleichnisses, 2.die Frage nach dem historischen Jesus, 3. die synoptische Frage unter Einschluss des Thomasevangeliums, 4. die Frage nach der »Realistik« des Gleichnisses. Letztere Problemstellung, die den Hauptteil des Buches ausmacht, hängt unmittelbar mit der erstgenannten zusammen.
Bei der Frage nach der ursprünglichen Intention des Gleichnisses orientiert sich K. an Adolf Jülichers Unterscheidung »echter« Gleichnisse im Munde Jesu, die auf dem einfachen Vergleich fußen und keiner Deutung bedürfen, und der literarischen Endgestalt der Gleichnisse, die sich durch allegorische Zusätze ausweise und sehr wohl der Deutung bedürfe. Sofern man mit Jülicher diesen Ansatz teilt, wird man die weitere Entfaltung der These K.s als folgerichtig einstufen dürfen; die konsequente Frage nach der Realis­tik des Erzählten und der synoptische Vergleich mit dem Thomas evangelium dienen letztlich dem Ansinnen, eine allegoriefreie, rea­listische, in sich geschlossene Ur-Version des Gleichnisses zu kon­statieren, die als solche aus dem Munde Jesu stammen dürfte (276).
Als allegorische Züge in Mk 12,1–12 parr erkennt K. zuerst die Anspielung auf Jes 5, die in der Folge eine Identifizierung der Metaphern »Herr« und »Weinberg« evoziere. Die Rede vom »geliebten Sohn«, das Motiv der Vernichtung der Winzer und das Zitat aus Ps 117 werden ebenfalls als (unrealistische bzw. christologische) se­kundäre Allegorisierungen bestimmt (2). Diese Züge fehlen in EvThom Log 65, die Nachbarschaft zu EvThom Log 66 (Zitat Ps 117, 22) bleibt für K. ohne Belang (nicht so die Nachbarschaft zu Log 63 und 64, die die machtkritische Tendenz der Thomas-Version bestätige). EvThom ist damit für K. der Kronzeuge einer allegoriefreien Version, die unabhängig von den synoptischen Varianten und möglicherweise sogar früher als diese entstanden sei (gegen Schrage, 242 ff.). Diese Version lasse eine gegensätzliche, da system- und machtkritische Ideologie erkennen, die sich weitaus besser ins Ge­samtbild des historischen Jesus einpassen lasse als Mk 12 parr (48). Damit ist die synoptische Lesart für K. als unplausibel entlarvt (31). »Schuld« an dieser Fehlentwicklung sei aber nicht Markus selbst gewesen, der durch das Gleichnis lediglich seinen Erzählplot wei­terführen wollte. Allerdings habe er mit der christologischen Einbettung des Textes späteren Auslegern eine Steilvorlage für eine »monarchistische« Vereinnahmung des Gleichnisses gegeben (41).
Mit Blick auf die allegorisierende Bezugnahme auf Jes 5,1–7 stellt K. fest, dass Mk 12 sich am Wortlaut der Septuaginta orientiert und daher diese Anspielung nicht aus dem Munde des aramäisch sprechenden Jesus stammen könne (151 ff.). Die verwendeten Begriffe in Mk 12,1 entsprächen ägyptischer, nicht palästinischer Weinkultur (172).
Für die Unabhängigkeit von EvThom 65 von der synoptischen Tradition spricht nach K., dass diese Version keine der als redaktionell bzw. allegorisierend erachteten Elemente aus Mk 12 parr übernimmt (271). Die gemeinsamen Elemente in Mk 12 und EvThom Log 65 seien die einzig realistischen Elemente der Erzählung (Pachtwesen, Abwesenheit des Großgrundbesitzers, Konflikt zwischen Besitzer und Pächtern, Sendung des Sohnes als letzter Versuch, den Konflikt im Sinne des Besitzers zu lösen).
Für diese Feststellung bietet K. eine Vielzahl sozialgeschichtlicher und realienkundlicher Quellen auf. Demnach war der »Herr« ein subaristokratischer Investor, dessen Nichtanwesenheit auf dem Gut nichts mit seinem Status als »Ausländer« zu tun hat (303. 316). Die soziale Lage der Zeit Jesu habe Konflikte zwischen Herrn und Pächtern vorprogrammiert, wie historische Belege zeigen. In diesen Konflikten konnte sich der Besitzer oft, aber nicht immer durchsetzen (325). Das überraschende Moment der ursprünglichen Parabel war nach K. gerade darin zu sehen, dass der Herr am Ende alles verliert – den Weinberg und den Erben (326). Das entspricht der Thomas-Fassung des Textes. Dagegen seien die markinischen Zu­sätze (Rede vom neu angelegten Weinberg, Hoffnung der Pächter auf »Ersitzung«, persönliches Kommen des Herrn am Ende) alle­samt unrealistisch – Hinweis auf die Intention des Markus, das Gleichnis einem aussagefremden Kontext unterzuordnen (349).
K. gelingt es, den subtilen Zusammenhang zwischen Auslegung und Ideologie an einem markanten Beispiel in extenso zu verdeutlichen. Ebenfalls ist die Einbeziehung des Thomasevangeliums in die Diskussion um Mk 12,1–12 parr zu begrüßen – einschließlich der Annahme einer von den Synoptikern unabhängigen Tradition. Nicht zuletzt ist die umfassende realienkundliche und sozialgeschichtliche Aufarbeitung der Erzählung ein nicht zu unterschätzender Dienst an der Exegese von Mk 12,1–12 parr.
Die Studie K.s ist von großer innerer Geschlossenheit und Konsequenz. Sie steht und fällt freilich mit Jülichers Voraussetzung, wonach die ursprünglichen Gleichnisse im Munde Jesu realistische Erzählungen waren, die keiner Deutung bedurften. Teilt man diese Prämisse nicht, scheinen die Versuche K.s zum Teil ins Leere zu laufen. Die Rekonstruktion einer gemeinsamen Urform von Mk 12 und EvThom Log 65 (276) erscheint dann äußerst hypothetisch. Hinzu kommt, dass die Komposition des Thomasevangeliums, insbesondere von Log 63–66 (!), nicht reflektiert genug erscheint – eine der Schwächen und Inkonsequenzen der vorliegenden Studie. Auch die Annahme, wonach ein Text wie Jes 5 nur über wörtliche Übereinstimmungen assoziiert werden konnte, erscheint fraglich. Dem­gegenüber wäre die Rolle des Gleichniserzählers Jesus im Assoziationsprozess stärker zu gewichten und die Frage zu diskutieren, unter welchen Voraussetzungen Jesus selbst über sein Geschick (vorab) hat reflektieren können. Schließlich führt die Diskussion zur weiterführenden Frage, ob Gleichnisse wie das hier diskutierte, wie etwa Wanderlogien auch, zu unterschiedlichen Anlässen je neu »in Form« gebracht werden konnten. Das könnte zu einer alternativen Erklärung des Nebeneinanders von Mk 12 und EvThom Log 65 führen.