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Ausgabe:

Oktober/2007

Spalte:

1125 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Schödl, Albrecht

Titel/Untertitel:

»Unsere Augen sehen nach dir«. Dietrich Bonhoeffer im Kontext einer aszetischen Theologie.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2006. 316 S. gr.8°. Kart. EUR 38,00. ISBN 978-3-374-02436-0.

Rezensent:

Kirsten Busch Nielsen

In seiner von der Augustana-Hochschule in Neuendettelsau im Jahr 2006 angenommenen Dissertation will Albrecht Schödl zu der kritischen Entfaltung vom aktuellen, aber unpräzisen Begriff »Spiritualität« beitragen. Sch. beabsichtigt, eine evangelische Aszetik als Lehre vom christlichen Leben zu profilieren, die wohl ihren Ort in der Praktischen Theologie (und in der Ethik) hat, die aber als eine gesamttheologische Aufgabe betrachtet werden muss. »Aszetische Theologie« definiert Sch. mit Rudolf Bohren in der kurzen Einleitung (13–17) als »die akademisch verorteten Bemühungen, die einer umfassenden Lehre vom christlichen Leben gelten und sich im Gespräch mit biblisch-reformatorischer Theologie entfalten« (14). Sein Vorhaben will Sch. verwirklichen durch eine Untersuchung von der Theologie Dietrich Bonhoeffers. In Bonhoeffers Schriften findet er eine faszinierende Verbindung von Kopf und Herz, Glaube und Erfahrung und – wie es in dem gleich kurzgefassten Schluss­kapitel (281–290) formuliert wird – ein spannungsvolles Zusammenhalten von dem »monastischen« und dem »scholas­tischen« Anliegen der Theologie (288 ff. mit Hinweis auf die Terminologie Oswald Bayers).
Weil die Arbeiten Bonhoeffers aus den Jahren der illegalen Theologenausbildung 1935–1940 hier von besonderer Bedeutung sind, liegt ein Schwerpunkt auf Nachfolge (1937) und Gemeinsames Leben (1939). Sch. interpretiert aber auch Texte aus der frühen und der späten Schaffensphase Bonhoeffers, um eine Kontinuität bei Bonhoeffer aufzuzeigen. Die Erkenntnisse der Finkenwalder Zeit werden seiner Meinung nach schon in der Habilitationsschrift Akt und Sein (1930/1931) und in Bonhoeffers Seminar über Theologische Psychologie (1932–1933), das uns teilweise als Mitschrift, teilweise als Thesen aus Bonhoeffers eigener Hand überliefert ist, vorbereitet, und sie setzten sich in der unvollendet gebliebenen Ethik fort (1940–1943; Sch. konzentriert sich auf das Kapitel »Die Liebe Gottes und der Zerfall der Welt«, 1942). Die Wahl von diesen fünf Arbeiten, die in der bisherigen Bonhoeffer-Forschung mit ungleicher Intensität untersucht worden sind, als Material der Untersuchung ist nicht nur originell, sondern auch sehr gelungen.
Bei der Untersuchung dieser Arbeiten sollen, findet Sch., weder die Differenzen, die die Art und Methode der verschiedenen Arbeiten Bonhoeffers kennzeichnen, noch die Verschiedenheit der biographischen Kontexte von Bonhoeffers Theologie, die von Sch. ganz stark in die Untersuchung einbezogen werden, vernachlässigt werden. So behauptet Sch., dass es »bei allen Differenzen Gemeinsamkeiten [gibt], die sich durch das Gesamtwerk ziehen und in veränderter Begrifflichkeit wieder auftauchen« (281). Es geht ihm darum, dass gezeigt wird, wie eine wissenschaftliche, »scholastische« Arbeit wie Akt und Sein auch »monastische« Elemente hat und wie umgekehrt »die beiden so stark ›monastisch‹ geprägten Finkenwalder Veröffentlichungen ... von subtilen ›scholastischen‹ Unterscheidungen durchzogen [sind]« (289).
Der Titel des Buches ist dem alttestamentlichen »Wir wissen nicht, was wir tun sollen, sondern unsere Augen sehen nach dir« entnommen (2Chr 20,12b). Dabei findet Sch. die Dialektik von glaubendem Schauen und glaubendem Handeln wichtig bei der Interpretation von Bonhoeffers Asketik. Dieser Arbeitsthese entsprechend werden in den Hauptkapiteln 1–5, die man als fünf voneinander unabhängige Einzeluntersuchungen lesen kann, die fünf Texte jeweils exemplarisch aus einer bestimmten »Le­se­perspektive« heraus kommentiert (16). Es wird untersucht, wie Bonhoeffer »in seinen theologischen Reflexionen Glauben und christliches Leben miteinander in Beziehung setzt« (16) und wie er dabei dogmatische, exegetische, praktisch-theologische und ethische Überlegungen miteinander verknüpft. Dabei wird in jedem Kapitel, nachdem der biographische Kontext und der Aufbau der in Frage kommenden Bonhoeffer-Schrift skizziert worden sind (19–23.63–69.109–117.185–200.257–261), eine von den fünf Schriften interpretiert und auf ih­ren biblischen und theologiegeschichtlichen Hin­tergrund geprüft. Je­des Kapitel wird mit einer kritischen Würdigung abgeschlossen (56–62.103–107.175–183.246–256.275–279). Sch. kennt sich in der Bonhoeffer-Forschung gut aus. Doch wundert man sich über eine gewisse Einseitigkeit in der Literaturwahl; so wird die englischsprachige Sekundärliteratur kaum berücksichtigt.
Im Schlusskapitel werden – um Perspektiven aufzuzeigen und weitere Untersuchungen zu ermöglichen – einige von den Themen ganz kurz aufgenommen, die die fünf Kapitel schon mehrmals berührt haben: nämlich Bonhoeffers Theologie als existentiell mo­tivierte Lutherinterpretation, die Bedeutung von der altprotestantischen Distinktion actus directus und actus reflexus, Glaube als Umgestaltung des Glaubenden durch Christus, der »Biblizismus« Bonhoeffers und die Metaphorik des Sehens. Sch. sieht das doppelte Anliegen Bonhoeffers, das »Monastische« und das »Scholastische« zu kombinieren, als analog zur Grundstruktur der Theologie Luthers (288). Leider diskutiert er nicht, ob man hier tatsächlich von einer Analogie zwischen Luther und Bonhoeffer reden kann (vgl. 88, Anm. 12). Er nimmt auch nicht die Fragen auf, die er aus der heutigen »Wiederkehr« der Religion und der dadurch wieder notwendig ge­wordenen theologischen Religions- und Kirchenkritik an sein eigenes Thema hätte stellen können.