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Ausgabe:

Oktober/2007

Spalte:

1109–1111

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Knight, Douglas H.

Titel/Untertitel:

The Eschatological Economy. Time and the Hospitality of God.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2006. XXI, 286 S. gr.8°. Kart. US$ 29,00. ISBN 978-3-8028-6315-7.

Rezensent:

Matthias Remenyi

Das Programm, das der in London lehrende anglikanische Theologe Douglas H. Knight hier vorlegt, ist ehrgeizig und selbstbewusst. Eine gleichermaßen trinitarische wie israel-sensible Gotteslehre will er schreiben, eine weit gespannte geschichtstheologische und dramatische Schau der Gott-Welt-Beziehung noch dazu. Ein großer heilsgeschichtlicher Entwurf soll es werden, angelehnt an die Paideia-Konzeption des Irenäus von Lyon und mit ähnlichen theologischen Implikationen: Die Menschheit ist noch nicht fertig, sondern unterwegs durch die Zeit in einem von Gott initiierten und getragenen Erziehungsprozess. Dem sündhaften Widerstand des Ge­schöp­fes gegen seine Transformation hin zu immer größerer Vollendung (sanctification) setzt Gott einen die geschöpfliche Freiheit achtenden, neuschöpferischen Rekapitulationsprozess entgegen, der mit Israel beginnt und in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi – der »recapitulation by the second Adam« (116) – seinen Höhepunkt erfährt.
Diese Sicht auf Gott, Welt, Mensch und Geschichte wird kon­tras­tiert mit säkularer Welterfahrung. Einer sich von Gott lossagenden Ökonomie des autonomen Subjekts (economy of modernity) stellt K. die eschatologisch ausgerichtete, heilsgeschichtliche Ökonomie Gottes (eschatological economy) gegenüber – nicht, um theo­logische Rede auf die Pflege individueller Innerlichkeit zu verkürzen, sondern ganz im Gegenteil um die politischen und gesellschaftlichen Realitäten humaner und im christlichen Geist zu gestalten. Wenn K. Ontologie, Epistemologie und Ethik als Gegenstand der Eschatologie bedenken will (vgl. 229), so dient das nur dem einem Ziel, Welt, Mensch und Geschichte im Licht ihrer Erlösung zu sehen und auf diese Weise die eschatologische Hoffnung auf die Menschenfreundlichkeit und Weltzugewandtheit Gottes (hospitality of God) zum intensiven ideologie- und gesellschaftskritischen Stimulans werden zu lassen.
Die philosophische Grundlegung des Entwurfes sucht K. in einer Metaphysik der Person, die er als partizipative Ontologie (participative ontology) versteht: »We have to think of being as personal« (5). Die Zerrissenheit westlichen Gegenwartsdenkens zwischen Sein und Tun, Wesen und Aktion, Geist und Körper, Einheit und Vielheit soll in einer »doxological ontology« (5.6.26 u. ö.) zusammengeführt werden, die in der wechselseitig freisetzenden Anerkennung der Personen ihr Fundament findet. Entsprechend dieser trinitarisch orientierten sozialen Ontologie ist personale Identität nicht intrinsisch, sondern in Interpersonalität und Relationalität verortet.
Zeit und Raum dienen nicht wie bei Kant, der als Protagonist der sog. »Western tradition« (109.193 u. ö.) die immer präsente Negativfolie bildet, als leere Anschauungsformen, sondern sind Funktionen der göttlichen Heilsökonomie: Zeit als »product of the hospitality of God« (21), Raum als »moral concept« (52). Die Hauptrolle in dem heilsgeschichtlichen Drama, das sich auf dieser Bühne abspielt, kommt dabei zweifelsfrei Israel zu. Denn Israel ist in seiner Bundesgeschichte nicht nur Realsymbol, sondern auch vermittelndes Medium der »Paideia« Gottes (35 ff.), indem es stellvertretend für die Völker in Liturgie und Kult die ganze Schöpfung in das vom Geist geleitete Rekapitulationsgeschehen mit einbezieht. Einhergehend mit der Deutung von Tempel und Kult als ein Völkerwelt und Schöpfung repräsentierender »microcosm« (150.158) kommt es zu einer starken Betonung der heilsgeschichtlichen Rolle Israels: »It is for Israel to lead the gentiles. Israel must bring them into the house of its Lord« (97); »Israel is the guarantor and medium that there will be a future for the nations« (208). Ebenfalls damit verbunden ist die Loslösung des Opferbegriffs aus einer individualisierenden und mythologischen Engführung – Manipulation eines Individuums durch ein anderes im Vollzug eines Gewaltaktes (vgl. 108) – und seine weite Interpretation als Werk ganz Israels, das in Treue zum Bund und in Erfüllung des Gesetzes den Dienst der Heiligung vollzieht: »sacrifice as the whole story of Israel« (111), als »the whole economy of Israel’s action« (199).
Gemäß K.s hermeneutischer Basisprämisse, das Alte und das Neue Testament als eine Einheit zu lesen, ist das Erlösungswerk Jesu Christi in Selbsthingabe und Kreuz in Israels stellvertretende Opfer-Existenz mit einbezogen: »The cross is a compressed symbol for the temple« (133). »The crucifixion ... is the completion of the single testament of the one God« (138). Außer Frage steht für K. aber, dass der Nazarener nicht nur der Messias aus Israel, sondern auch für Israel ist. Jesus Christus ist der eine Sohn, der die Sohnschaft Israels vollendet: »If Jesus is Christ, all Israel now is in Christ« (139).
Gerade die Schlusskapitel des Buches zeigen nochmals in aller Deutlichkeit, dass es K. mit diesen Ausführungen auch um eine Fundamentaltheologie im ganz klassischen, apologetischen Sinn geht: Das Christentum soll nicht nur gegen Einwände von außen in seiner immanenten Vernünftigkeit und Plausibilität erwiesen, sondern darüber hinaus einer sich selbst entfremdeten Moderne als die bessere – denkerische wie existentiell-praktische – Alternative präsentiert werden. Dabei ist nicht an das fundamentalistische Konzept vom heiligen Rest zu denken, sondern eher an die Bilder der Bergpredigt vom Salz der Erde, vom Licht der Welt und von der Stadt auf dem Berge (Mt 5,13–16).
Zentrale Anfragen an das Projekt ergeben sich jedoch in dreifacher Hinsicht: zunächst hinsichtlich der Rolle von Theologie und Kirche in einer säkularen Gesellschaft. Es steht doch sehr zu be­zweifeln, dass K. mit seiner These bezüglich fehlender Selbstkonzepte bei unseren nichtchristlichen Zeitgenossen im Recht ist: »[O]ur contemporaries do not have any means of their own by which to establish who they are« (XXI). Deutlich rabiater klingt das Folgende: »Rather, it is the task of theology to commandeer every modern concept in turn and bring it under the discipline of Scripture and the doctrine of the church« (170). Angesichts solcher Töne ist der Hinweis, dass das säkulare Gewaltmonopol des Staates nicht angetastet werden soll, mehr als nur eine rhetorische Floskel (vgl. 248).
Zweitens wird bei dem (unbedingt notwendigen) Versuch, christliche Theologie wieder neu an ihre jüdischen Wurzeln anzubinden, das gegenteilige Selbstverständnis und Selbstzeugnis Israels schlicht übergangen: Kein orthodoxer Jude würde wohl der These einer »unity of Christ and Israel« (71) im von K. gebrauchten Sinn zustimmen. Natürlich ist unbestritten, dass K. nichts weniger will als eine triumphalistische Ekklesiologie, die den heilsgeschichtlichen Beruf Israels substituiert. Aber gerade deshalb ist zu fragen, ob Behauptungen wie die folgende zweckdienlich sind: »The ancestor through whom all Israel must march is not Abraham, but Jesus« (123). Dabei bleibt insbesondere das Verhältnis von christlicher Trinitätslehre und Israel-Theologie ungeklärt.
Drittens sind die ständigen Invektiven K.s gegen die neuzeitliche, aufgeklärte Philosophie oftmals pauschalisierend und simplifizierend. Man wird beispielsweise dem Gewicht des kantischen Einwands von der Unvertretbarkeit des Subjektes, der sich gegen christliche Stellvertreter- wie Erbsündentheologie gleichermaßen wendet, einfach nicht gerecht, wenn man unter Rückgriff auf eine relationale Ontologie (Person ist Interaktion) die alttestamentlichen öffentlichen Sühne- und Opferrituale als die Lösung des Problems präsentiert (vgl. 80 ff.).
Gleichwohl ist dieses Buch lesenswert. Nicht nur wegen des ganz berechtigten Impulses, christliche Theologie aus ihrer Bin­nenfixierung zu befreien und in ihrer politischen und gesellschaftlichen Relevanz deutlich werden zu lassen, sondern es ist lesenswert, weil K. den Mut hat, in Umsetzung des heilgeschichtlichen Schemas auch große thematische Bögen zu spannen – ein Mut, der (vielleicht nicht zuletzt wegen der Sorge vor allzu kritischen Rezensionen) gerade der deutschen akademischen Theologie mit ihren vielen Spezialuntersuchungen bisweilen abhanden gekommen zu sein scheint.