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Ausgabe:

Oktober/2007

Spalte:

1085–1087

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Beutel, Albrecht [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Luther Handbuch.

Verlag:

Tübingen: Mohr Sie­beck 2005. XIV, 537 S. gr.8°. Kart. EUR 44,00. ISBN 3-16-148267-0.

Rezensent:

Gerhard Müller

Mit diesem Band wurde eine neue Reihe begonnen, in der kirchen- und theologiegeschichtliche Forschung in »einer kompendien­haften Zwischenbilanz« erschlossen werden soll. Zunächst sollen »zentrale Personen, später auch ... Epochen der Kirchengeschichte« behandelt werden. Der Herausgeber dieses Bandes ist auch der Herausgeber der gesamten neuen Reihe.
A. Beutel und 24 weitere Autoren haben sich vorgenommen, in insgesamt 60 Themen »die wichtigsten Dimensionen von Leben, Werk und Wirkung Martin Luthers kompetent« zu analysieren. Der aktuelle Stand der Erforschung dieses Reformators soll den Le­sern vermittelt werden. Betont wird, dass »keine Luther-Enzyklopädie« erwartet werden möge, sondern ein »schlichtes Hilfsmittel zur Aufnahme und Vertiefung eines eigenen wissenschaftlichen Umgangs mit Luther«. Angesichts der Gliederung und der zahlreichen Autoren wird betont, dass »thematische Überschneidungen nicht nur in Kauf genommen, sondern als Ausdruck der Komple xität, in der sich die geschichtliche Bedeutung Luthers darstellt, bewußt kalkuliert« wurden. »Insofern dürfte das Handbuch zu­gleich auch ein Abbild der die gegenwärtige Lutherforschung auszeichnenden methodischen und materialen Differenziertheit geworden sein.« Es gibt heute keine alles dominierende Theolo-genschule, die allein das Sagen über Luther in Anspruch nehmen könnte. Diese Zeiten sind angesichts der internationalen und der römisch-katholischen Bemühungen um Luther vorbei, woraus dann das Beste gemacht wurde – allerdings unter Verzicht auf Forscher aus eben diesen Bereichen.
Gegliedert wurde in vier Kapitel: »Orientierung«, »Person«, »Werk« sowie »Wirkung und Rezeption«. Im ersten Kapitel geht es um Lutherausgaben, Hilfsmittel zum Lutherstudium und die »Lutherforschung am Beginn des 21. Jahrhunderts«. Diese Einführung erleichtert den Umgang mit Leben und Werk Luthers. Das zweite Kapitel über die »Person« informiert in vier Abschnitten über »Traditionen«, »Aneignungen«, »Beziehungen« und »Prägungen«. Unter den Traditionen werden die Voraussetzungen Luthers behandelt. Hier geht es etwa um die spätmittelalterliche Religiosität, die Kirchenreform, das Mönchtum, die Mystik oder den Hu­manismus. Während die Religiosität und die Kirchenreform des 15 .Jh.s in ihrer Bedeutung für Luther schon länger erkannt worden sind, zeigen die übrigen Themen die Veränderungen in der Forschung: Das Mönchtum bleibt für den Menschen und den Theologen Luther dauerhaft wichtig. Auch die Mystik, auf die früher nur »Außenseiter« hinwiesen, ist inzwischen zu einem Thema geworden, das diejenigen Forscher nicht mehr ausgrenzt, die es ansprechen. Schließlich ist inzwischen auch der Humanismus in seiner Bedeutung für Luther weitgehend anerkannt worden. Schwierig finde ich den zweiten Abschnitt: Unter »Aneignungen« werden nämlich Luthers Lebenslauf, seine »religiöse Leitidee« sowie sein »Geschichtsbild und Selbstverständnis« behandelt. Eignet man sich einen Lebenslauf an? Und gehörten nicht religiöse Leitidee sowie Geschichtsbild und Selbstverständnis zu den Themen seines Denkens, die erst viel später dargestellt werden?
Der dritte Abschnitt »Beziehungen« behandelt übersichtlich 15Themen wie das Papsttum, die Bauern, das Reich, die Juden oder die Türken. Hier wie überall verweisen am Ende eines jeden Abschnittes Angaben zur Literatur auf die Möglichkeit, sich über diese Beziehungen noch ausführlicher zu informieren. Der vierte Ab­schnitt widmet sich den »Prägungen« Bildung, Musik, bildende Kunst und Sprache. Hier wird deutlich, dass Luther geprägt wurde und geprägt hat. Natürlich war sein persönlicher Bildungsgang wichtig. Aber er hat auch die Bildung seiner Zeit stark beeinflusst. Diese Doppelgesichtigkeit kommt bei allen behandelten Themen schön zum Ausdruck.
Im dritten Kapitel befassen sich die Autoren unter der Überschrift »Werk« mit »Gattungen«, »Themen« und »Strukturen«. Im Abschnitt »Gattungen« wird teilweise formal und teilweise thematisch gegliedert. So erfahren wir etwas über Luthers Bibelübersetzung, seine »Programm-«, »Streit-« und »Erbauungsschriften«, aber auch über seine Dichtungen oder Disputationen. Wo aber fängt eine Programmschrift an, wo geht sie möglicherweise in eine Streitschrift über? Als erste Programmschrift werden »Die 95 Thesen im Ablassstreit« behandelt. Warum wird nicht mit Luthers erster Disputation »De viribus et voluntate hominis sine gratia« von 1516 oder – mindestens! – mit der nächsten »Contra scholas­ticam theologiam« vom September 1517 eingesetzt? Die Ablassthesen kommen dann natürlich auch bei dem Abschnitt Disputationen vor – mit Recht! So kommt es zu Überschneidungen, die vermeidbar gewesen wären, wenn man nur formal klassifiziert hätt e– oder wenn man trocken chronologisch vorgegangen wäre und sich gezwungen hätte, dadurch alle wesentlichen Fragen zu be­achten.
Bei den »Themen« werden in neun Abschnitten »Theologische Prinzipienfragen«, »Wort Gottes«, »Leben in der Welt« oder »Christliche Hoffnung« behandelt. Mir ist aufgefallen, dass das Thema Trinität nicht eigens aufgenommen wurde. Natürlich kommt es im Sachregister mit Verweis auf vier Seiten vor. Aber Luther hat bekanntlich in seinen Bekenntnissen seine Zustimmung zur altkirchlichen Trinitätslehre so deutlich formuliert, dass man sie nicht mehr gering achten sollte, nachdem schon seit Jahrzehnten darauf hingewiesen wurde, dass er von diesem theologischen Fundament ausgegangen ist. Natürlich werden Gott als Schöpfer, die Christologie und auch das Werk des Heiligen Geistes behandelt. Jedoch hätte die Bedeutung des Bekenntnisses Luthers zur Dreieinigkeit einen eigenen Abschnitt verdient gehabt. Besonders gelungen ist der dritte und letzte Abschnitt »Strukturen« des Kapitels »Werk«: »Theologie als Schriftauslegung, ... als Unterscheidungslehre (und) ... als Erfahrungswissenschaft«. Man kann diese Ausführungen als eine Zusammenfassung der wesentlichen Anliegen Luthers lesen. Vielleicht könnten diese »Strukturen« bei einer Neuauflage als Einführung vor den »Themen« stehen und diese er­schließen – eventuell (zusammen mit den Themen) als ein selbständiges Kapitel unter der Überschrift »Theologie«.
Im vierten Kapitel geht es um »Wirkung und Rezeption« Lu­thers. In vier Abschnitten werden zunächst die »lutherische[n] Bekenntnisbildung« und die lutherische Orthodoxie behandelt. Es folgen Pietismus und Aufklärung, zu deren Zeiten neue Lutherbilder erarbeitet wurden, die im 19. Jh. eine erhebliche Vermehrung erfuhren. Im 20. Jh. versuchte man, Luther »aus seiner Wirkungsgeschichte« zu befreien (G. Ebeling). Durch neue Quellen wurden neue Themen wichtig.
In einem straffen Überblick wie dem vorliegenden kann nicht alles so ausgebreitet werden, wie man sich das wünschen möchte. Aber ein Quellen- und Literaturverzeichnis gibt Anregungen für weitere Arbeit, wie auch die Register zu den zitierten Werken Luthers, zu den erwähnten Personen und Sachen hilfreich für das Studium sind. Im Verzeichnis der zitierten Werke Luthers sollte sein auf S. 300 erwähnter »Sermon von der Bereitung zum Sterben« von 1519 zukünftig nicht fehlen. Auch Luthers Äußerungen zu Wirtschaftsfragen verdienten Beachtung. Aber sicher wird dies neuartig angelegte Handbuch als hilfreich empfunden und beachtet, so dass sich eine Fortschreibung ermöglichen lässt.