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Ausgabe:

Oktober/2007

Spalte:

1083–1085

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Moreschini, Claudio, and Enrico Norelli

Titel/Untertitel:

Early Christian Greek and Latin Literature. A Literary History. Transl. by M. J. O’Connell. 2 Vols.

Verlag:

Peabody: Hendrickson 2005. Vol. 1: From Paul to the Age of Constantine. XXIII, 455 S. Vol. 2: From the Council of Nicea to the Beginning of the Medieval Period. XXV, 734 S. gr.8°. Geb. £ 57,99. ISBN 1-56563-606-6.

Rezensent:

Katharina Greschat

Die hier zu besprechende eindrucksvolle Literaturgeschichte des frühen Christentums der beiden namhaften Gelehrten Moreschini und Norelli erschien 1996 zunächst auf Italienisch, im Jahre 2000 auf Französisch und liegt nun in englischer Übersetzung vor. Das Werk will keineswegs eine Theologie-, Religions- oder Kirchengeschichte sein, sondern einen Überblick über die griechische und lateinische Literatur der frühen Christen geben. Was dazu zählt, wird im ersten, die vorkonstantinische Zeit umfassenden Band pragmatisch nach dem Inhalt bestimmt. Dieses Kriterium greift jedoch nicht mehr für die Literatur der Folgezeit, wie explizit hervorgehoben wird: »… we would fall prey to serious optical illusions if we continued to isolate the study of Christian literature because of its content« (II, 12). Denn die christliche Literatur auszusondern, hat entweder aus antichristlichen Erwägungen dazu geführt, sie mit dem Vorwurf der Dekadenz zu belegen oder aber ihr in apologetischer Absicht eine besondere Innovationskraft zuzuschreiben. Beides wollen die Vf. vermeiden, wenn sie mit der neueren Forschung das Bild einer Kultur der Spätantike zeichnen, die von einer »rhetoricization« und »spiritualization« (II, 10 f.) bestimmt war und sämtliche Schriftsteller – »Christian, half-Christian, and non-Chris­tian« (II, 11) – geprägt hat. Allerdings markiert die konstantinische Zeit in dieser Hinsicht keine absolute Zäsur. Erst am Ende des 6. Jh.s habe sich diese Kultur aufgelöst, womit zugleich der Endpunkt für das vorliegende Werk bezeichnet ist.
Schon diese Konzeption zeigt, welchen Wert die Vf. darauf legen, die Leser auch über die Forschungslage zu informieren. Jeder noch so kleine Abschnitt wird in die aktuelle Diskussion eingeordnet und mit einer knappen, wenn auch bisweilen etwas zufälligen Auswahlbibliographie versehen, die erfreulicherweise italienische, französische, englische und deutsche Publikationen gleichermaßen berücksichtigt.
Zugleich macht diese Konzeption deutlich, dass bewusst auf nachträglich entstandene und wertende Gliederungsparameter verzichtet werden soll. So beginnt die christliche Literatur nach einer Einführung in die Gattung des Briefes selbstverständlich mit dem Corpus Paulinum und wendet sich dann den gegenwärtigen Diskussionen um die »Gospel Tradition« zu, bevor die frühesten Apokalypsen sowie weitere Briefe, Abhandlungen in brieflicher Form, frühe Kirchenordnungen und Homilien vorgestellt werden. Konsequenter als ältere Literaturgeschichten verabschieden sich die Vf. von der traditionellen Einteilung in die Schriften des Neuen Testaments, der Apostolischen Väter, der Apokryphen, der häretischen und antihäretischen Literatur etc. »These are corpora that were established a posteriori and were dictated by theological and not historical or literary considerations. Literary history focuses on the development of literary forms in relation to the development of institutions and ideas, and this is the norm that has guided us« (I, XIII). Dementsprechend gibt es auch keine gnostische Krise des 2. Jh.s, die von kirchlichen Schriftstellern heraufbeschworen wurde und seither für die Darstellungen maßgeblich erscheint, sondern vielmehr ein Kapitel, in dem im Rahmen von »problems of tradition and authority« (I, 158–192) neben Papias, dem Hirt des Hermas und Hegesipp auch die gnostischen Zeugnisse, die antimarcionitischen Schriften und die Auseinandersetzung mit den Montanisten behandelt werden. Spätestens an dieser Stelle dürfte offenkundig werden, dass das Werk auch eine vorzügliche historisch-theologische Einführung bietet. In einer Literaturgeschichte im engeren Sinne wäre Marcion, von dem nicht ein einziges Wort zweifelsfrei überliefert ist, kaum vorgekommen. Die Vf. halten ihn aber dennoch für wichtig: »His place in the history of literature is small, given the loss of his writings, but he is very important in the history of theology« (165).
Nach Kapiteln über die griechischen Apologeten, die frühe griechische Literatur über Märtyrer und die Anfänge der Poesie werden Irenaeus and Hippolytus, Clemens von Alexandria, Origenes und andere griechische Schriftsteller des 3. Jh.s behandelt. Anschließend richtet sich der Blick nach Westen, wobei vorab Probleme der lateinischen Bibelübersetzungen erörtert werden, bevor dann Tertullian vorgestellt wird, von dem der erstaunte Leser erfährt, er sei »probably the greatest Christian writer in Latin language« (I, 353). Die nächste große Wegscheide markiert »The Age of the Tetrarchs and of Constantine« (I, 388–429). Dieses Kapitel schafft einerseits die Verbindung zum zweiten Band und gibt andererseits Gelegenheit, mit einem von Lorenzo Perrone verfassten Abschnitt über Euseb von Cäsarea, den man bei den griechischen Autoren bisher vergeblich gesucht hatte, die Signatur dieser politisch und religiös wichtigen Epoche herauszuarbeiten.
Auch im zweiten Band liegt der Schwerpunkt zunächst auf der griechischen Literatur. Die Schriftsteller des arianischen Streites bilden zwar den Auftakt, doch geht es auch um andere theologische Kontroversen in den regionalen Zentren, um liturgische Literatur und Kirchenordnungen und es werden die vielfältigen Auseinandersetzungen um eine asketische Lebensführung angesprochen. Die Kultur der Spätantike wird insbesondere im Kapitel »Christian­ity and Ancient Education« (II, 178–192) plastisch, das die enge Verknüpfung zwischen philosophischer Schulung und Glauben bei Synesios von Cyrene, Nonnus von Panapolis und anderen explizit macht. Demgegenüber steht der Abschnitt »Developments in Apoc­ryphal Literature« (II, 200–235) vollkommen quer zur eingangs beschriebenen Konzeption. Schließlich bezeichnet die Zusammenstellung neutestamentlicher Apokryphen ein künstliches Produkt der modernen Wissenschaft: »The present chapter has inevitably followed a rather anomalous logic in the setting of a literary history, for the works considered here are not connected with one an­other by a process of historical and literary development, nor by a common setting in which they were produced, nor by a shared set of generative problems, but only by the common label of ›Chris­tian apocrypha‹« (II, 232). Zwar lassen sich diese Texte als auf Ereignisse oder Personen der christlichen Frühzeit bezogen beschreiben, aber nur schwer wirklich sinnvoll abgrenzen. Dass auf sie erst hier eingegangen wird, spiegelt die aktuelle Forschung, die die Kanonfrage nicht länger im Rahmen des 2., sondern vornehmlich des 4. Jh.s diskutiert. Damit hat vermutlich auch zu tun, dass auf den gegenwärtig stark umstrittenen Canon Muratori nur zweimal hingewiesen (I, 164 und II, 204), er aber nirgends eingehender besprochen wird.
Die Beschäftigung mit dem lateinischen Westen nimmt ebenfalls bei den antiarianischen Schriftstellern ihren Ausgang und spannt den Bogen über Augustin, dessen Person und Werk in besonderer Weise im Zeichen der »rhetoricization« der Spätantike steht, zu seinen Schülern und Widersachern bis hin zur Literatur der barbarischen Königtümer. Anschließend wenden sich die Vf. den Debatten von der Zeit des Konzils von Ephesus bis zum Konzil von Konstantinopel 553 zu und stellen auch weniger bekannte Autoren vor. Die Stärke dieser Literaturgeschichte liegt einmal mehr darin, auch die Spiritualität, Dichtung, Exegese und Liturgie in den Blick zu nehmen und so die Vielfalt christlich-literarischer Äußerungen hervortreten zu lassen.
Die Verfasser haben eine Literaturgeschichte vorgelegt, die auf dem neuesten Stand der Forschung den Reichtum der literarischen Hinterlassenschaften der frühen Christen zuverlässig erschließt. Es wäre zu wünschen, dass jeder, der sich intensiver mit ihr befassen möchte, zu diesen Bänden greift, die sich durch Abkürzungsverzeichnisse, allgemeine bibliographische Hinweise und ein Stellenregister zudem gut erschließen lassen. Ein Namenregister und vielleicht auch ein Sachregister wären zusätzlich hilfreich gewesen.