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Ausgabe:

Oktober/2007

Spalte:

1062–1065

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Mies, Françoise

Titel/Untertitel:

L’espérance de Job.

Verlag:

Leuven: University Press; Leuven: Peeters 2006. XXIV, 653 S. gr.8° = Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium, 193. Kart. EUR 87,00. ISBN 978-90-5867-548-4 (University Press); 978-90-429-1698-2 (Peeters).

Rezensent:

Markus Witte

Hoffnung, von der Chorführerin in der dem Aischylos zugeschriebenen Tragödie »Der Gefesselte Prometheus« (V. 250) als gottge­gebenes großes Gut der Menschen bezeichnet, im Neuen Testament als Wesensmerkmal des christlichen Glaubens (vgl. Röm 8,24; 1Kor 13,13) und als Synonym für Glauben (Hebr 6,11 f.) betrachtet, gehört zu den Zentralbegriffen philosophischer Anthropologie und biblischer Theologie. Gleichwohl steht der hohen philosophischen, religionsgeschichtlichen, theologischen und ethischen Be­deutung der Hoffnung als einem Existential des Menschen die relativ geringe Anzahl bibelwissenschaftlicher, speziell alttestamentlicher Untersuchungen des Begriffs und des Phänomens Hoffnung gegenüber. Während sich die neutestamentliche Forschung, nicht zuletzt im Schatten der existentialen Interpretation Rudolf Bultmanns, auch immer wieder monographisch mit dem Thema Hoffnung auseinandergesetzt hat, ist für den Bereich der alttestamentlichen Wissenschaft mit der Ausnahme einiger weniger Aufsätze und entsprechender Einträge in den einzelnen Darstellungen der Theologie des Alten Testaments weitgehend eine Fehlanzeige zu verzeichnen. Selbst in der TRE fehlt eine Behandlung der »Hoffnung im Alten Testament«.
Die monumentale Studie von Françoise Mies, chercheur qualifié du Fond Nationale de la Recherche Scientifique Facultés Universitaires Notre-Dame de la Paix (Namur), füllt hier nun eine Lücke. Ausgangspunkte der Monographie sind 1. die 1994 erschienene philosophische Disseration von M. über die Faust-Mythe, 2. der von M. in der gegenwärtigen (abendländischen) Gesellschaft diagnostizierte Hang zur Resignation und 3. die wirkungsgeschichtlich feststellbare Bedeutung Hiobs als Symbol für Hoffnung in hoffnungsloser Situation (M. verweist hier exemplarisch auf die Rolle Hiobs im Erleben und Deuten der Shoa sowie in der lateinamerikanischen Befreiungstheologie). In exegetischer Hinsicht verdankt die Arbeit wesentliche Impulse der epochalen Hiob-Studie von Jean Lévêque (Job et son dieu, I–II, ÉtB, Paris 1970), der der »Hoffnung Hiobs« ein eigenes Kapitel gewidmet hat. Methodisch liest M. das Buch Hiob synchron.
Die antiken Versionen, die sie durchgehend berücksichtigt, versteht sie als eigenständige Interpretationen des hebräischen Textes, der in seinem von den Masoreten überlieferten Konsonatenbestand ein sehr hohes Maß an Zutrauen verdiene. Hermeneutischer Gewährsmann wie ständiger Gesprächspartner von M. ist Paul Ricœur, dem gelegentlich Emmanuel Levinas zur Seite tritt. Dementsprechend bemüht sich M. um ein anthropologisches und theologisches Verstehen der Hoffnung Hiobs und um eine synthetische Interpretation, die unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten gleichgewichtig nebeneinander stehen lässt. Zentral für die vorgeführte Analyse ist die Definition von Hoffnung als einer intentionalen Bewegung, die sich einerseits als ein »hoffen, dass ...« artikuliere und sich zeitlich beschreiben lasse (»l’axe temporel«) und die sich andererseits als ein »hoffen auf ...« ausdrücke und sich entsprechend ihrer Bezugsgrößen darstellen lasse (»l’axe relationnel«). Kennzeichen von Hoffnung sind demgemäß ihr Zeitbezug und ihre Dialogizität.
In Teil 1 (»Sémantique de l’espérance«, 13–117) bietet M. eine fast lückenlose Auflistung aller in der Hebräischen Bibel und in den hebräischen Fragmenten des Buches Ben Sira vorkommenden Begriffe für »hoffen« und »verzweifeln«, wobei ein Schwerpunkt der Darstellung auf einem Vergleich der Verwendung dieser Begriffe im Buch Hiob einerseits, der Psalmen, der Sprüche Salomos und Ben Siras andererseits liegt. Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass die Mehrzahl der Hoffnungsaussagen im Alten Testament verbal formuliert ist und dass der Beziehungscharakter dem Aspekt der Zeitlichkeit vorgeordnet ist. Als ein Spezifikum im Buch Hiob arbeitet M. die Häufung von nominal formulierten Hoffnungsaussagen, die Kombination von Begriffen der Hoffnung und der Verzweiflung mit Symbolen der Hoffnung und den Gebrauch von Hoffnungssymbolen zum Ausdruck der Verzweiflung Hiobs heraus. D. h.: Hiob hoffe – nur lasse sich dies nicht anhand der verwendeten Worte zeigen.
Teil 2 (»Symbolique de l’espérance«, 119–204) ist den Bildern der Hoffnung im Buch Hiob gewidmet. Obgleich M. theoretisch zwischen Symbolen, Metaphern und Vergleichen unterscheidet, wendet sie doch einen weiten Symbolbegriff an, wenn sie die reiche Bildsprache der Hoffnung und Verzweiflung im Buch Hiob nachzeichnet. Dabei kann M. zeigen, wie der Dichter des Hiobbuches traditionelle Symbole der Hoffnung rezipiert, sie im Munde Hiobs aber geradezu zum Ausdruck von Verzweiflung gebraucht (be­sonders eindrücklich werde dies am Symbol des Baums in Hi 14,7 ff.; 19,10) und wie er neue Symbole erfindet, worin ein Pendant zu Ricœurs »metáphores vives« zu sehen sei. Im Munde Hiobs konvergieren nach M. Symbole der Hoffnung und der Verzweiflung. Allein das Symbol der Totenwelt, wie es in Hi 3,13 ff. und 14,13 ff. entfaltet werde, drücke entgegen seinem sonstigen Gebrauch im Alten Testament Hoffnung aus.
Teil 3 (»Dramatique de l’espérance«, 205–446), der als das eigentliche Zentrum der Studie bezeichnet werden kann, behandelt zu­nächst die Frage der literarischen Gattung des Buches Hiob. Nach einer forschungsgeschichtlichen Übersicht über verschiedene Be­stim­mungen des Genres des Buches Hiob vom 18. Jh. bis zur Gegenwart (vgl. dazu jetzt auch M. Witte, Die literarische Gattung des Buches Hiob, in: J. Jarick [Hrsg.], Sacred Conjectures, London 2007, 92–123) und der eigenen Klassifikation als weisheitliches Drama beschreibt M. in einem sehr sensiblen Durchgang durch die einzelnen Abschnitte des Buches , wie sich die Hoffnung Hiobs als poetische Figur entwickelt. Dabei vermag sie überzeugend darzustellen, wie sich der Begriff des Dramas sowohl sachlich zum Phänomen des Hoffens als etwas Prozesshaftem als auch literarisch zur Komposition des Buches Hiob als einem aus einer Geschichte, einer durch Reden charakterisierten Handlung und durch narrative In­terventionen bestehenden Werk fügt.
Wesentlich für die vorgeführte Analyse ist die Gliederung des Buches Hiob in die fünf Teile »la première vie« (Hi 1,1–12), »la première brisure du temps« (Hi 1,13–2,10), »la deuxième vie« (Hi 2,11–37,24), »la deuxième brisure du temps« (Hi 38,1–42,9) und »la troisième vie« (Hi 42,10–17). Für alle diese Teile, die im Hiob-Drama als Lebensphasen des Helden gelesen werden, untersucht M. die Hoffnung Hiobs hinsichtlich der Achsen Beziehung und Zeit. Während Hiob im Mittelpunkt der Dichtung auf den Tod, die Scheol, die glückliche Vergangenheit, eine Gerichtsverhandlung, eine Entfernung von Gott, ein Treffen mit Gott und auf die Freunde hoffe, sei nach den Gottesreden die eigentliche Hoffnung Hiobs, nämlich die Hoffnung auf und in Gott, erfüllt (vgl. dann in dieser Linie das Testament Hiobs 37,1 f.). Die Gottesreden können somit als echte Antwort auf Hiobs Fragen verstanden werden, denn Hiob zeige sich in 42,6 zufrieden und getröstet. Theologisch bemerkenswert ist M.s Beobachtung, dass der Epilog nichts von Hiobs Heilung erzählt: Der Held bleibt krank, aber getröstet; Gott bleibt transzendent und frei. Hiob lebe – wie biblisch auch an Jakob (vgl. Gen 32,32) oder Paulus (vgl. 2Kor 12,9) illustriert werde – aus der Gnade Gottes.
Nach den stärker deskriptiv geprägten ersten drei Teilen hat der vierte Teil (»Raison de l’espérance«, 447–573) mit der Frage nach dem Grund, der Motivation, der Rationalität, aber auch des Ethos’ der Hoffnung Hiobs einen stärker reflexiven Charakter. Gegenüber den traditionellen Motivationen von Hoffnung im Alten Testament (der Geschichte, der Weisheit der Väter, der Schöpfung, der heiligen Schrift, der eigenen Lebensgeschichte oder der Gegenwart) bleibe die Hoffnung Hiobs auf Gott, wie sie sich in den Akten (nicht den Worten oder Symbolen) des Hiob-Dramas zeige, ein Rätsel. Dieses lasse sich nur mit der Annahme lösen, dass Hiob ohne Grund auf Gott hoffe (vgl. Röm 4,18). Damit ist letztlich auch die zentrale Frage des Satan aus Hi 1,9 beantwortet: Hiob fürchtet Gott grundlos (ḥinnam). Der einzige Grund von Hiobs Hoffnung sei Gott selbst. Aber nicht nur Hiob sei an Gott gebunden, sondern dieser auch an seinen »Knecht Hiob« (Hi 1,8; 2,3; 42,7 f.).
In einem abschließenden fünften Teil (»Conclusion«, 575–593) benennt M. als drei offene Fragen, die künftiger Forschung am Hiobbuch vorbehalten seien, 1. das Verhältnis von Offenbarung und Hoffnung, 2. die Bedeutung des nichtjüdischen Helden Hiob in einem jüdischen Werk und 3. die Beziehung zwischen der Hoffnung Hiobs auf und in Gott und der Hoffnung Gottes auf und in Hiob, die letztlich die Frage nach der Beziehung zwischen Gott und Mensch sei.
Das Buch von M. stellt die reife Frucht ihrer zahlreichen einschlägigen philosophischen und exegetischen Vorarbeiten dar. Ob es Epoche machen wird, wie Maurice Gilbert SJ, einer der wesentlichen theologischen Lehrer von M. und einer der gegenwärtig besten Kenner der alttestamentlichen Weisheitsschriften, in seinem dem Buch beigegebenen Vorwort prognostiziert, wird sich zeigen. Es stellt jedenfalls ein für die gesamte biblische Theologie wichtiges Werk dar, das neben der hier nur knapp skizzierbaren, sehr anregenden Gesamtdeutung des Buches Hiob auch eine Fülle bedenkenswerter exegetischer Detailbeobachtungen bietet.
Beispielhaft sei auf die das Qere und das Ketib synthetisch betrachtende Deutung von Hi 13,15, die tiefgründigen Auslegungen von Hi 16,18–22 und 19,25–27, die Interpretation von Hi 28 als Stimme aus dem off, die Auslegung von Hi 31,18 als Bekenntnis Hiobs zu seiner Abhängigkeit von Gott oder auf die Interpretation von Behemot und Leviathan in Hi 40,15–41,26 als Mittel, Hiob angesichts des von Gott geduldeten Bösen in der Welt Geduld und angesichts der von Gott zu bezwingenden Gewalt Demut zu lehren, verwiesen.
Beigegeben sind dem Werk, das in hohem Maß zeitgenössische, aber auch altkirchliche und mittelalterliche Hiobauslegungen be­rücksichtigt, eine 783 Titel umfassende, thematisch gegliederte Bibliographie, ein Autoren- und Bibelstellenregister sowie eine Farbabbildung der Hiobskulptur von Nathan Rapoport in Jad Va­shem (299), in der M. das Drama der Hoffnung Hiobs am eindrucksvollsten visualisiert sieht.
Einziger echter Mangel der Studie ist ihre bewusste Konzentration auf die Endgestalt des Buches Hiob und die Ausblendung literar- und religionsgeschichtlicher Fragen. So bleibt es weiterhin ein Desiderat der alttestamentlichen Forschung, die Geschichte der Hoffnung in der Religion des antiken Israel und Juda vor dem Hintergrund der alttestamentlichen Literaturgeschichte und der Religionsgeschichte des alten Vorderen Orients darzustellen.