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Ausgabe:

Oktober/2007

Spalte:

1054–1056

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Günzel, Angelika

Titel/Untertitel:

Religionsgemeinschaften in Israel. Recht­liche Grundstrukturen des Verhältnisses von Staat und Religion.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2006. XXXVI, 342 S. gr.8° = Jus Ecclesias­ticum, 77. Lw. EUR 64,00. ISBN 978-3-16-148707-1.

Rezensent:

Bernd Schröder

Zu besprechen ist eine Doktorarbeit über die Rechtsstellung von Religionen im Staat Israel, die im Sommersemester 2004 vom rechtswissenschaftlichen Fachbereich der Universität Trier an­genommen und von Gerhard Robbers mentoriert wurde. Um es vorweg zu sa­gen: Die Arbeit besticht durch knappe, klar strukturierte Ge­dan­kenführung, hermeneutische Sensibilität, Auf­klärung (rechts-)his­torischer wie rechtlicher Details und Hintergründe, nicht zuletzt durch souveränen Zugriff auf die hebräischsprachige Literatur.
Gegliedert ist die Studie in Einleitung und vier Kapitel sowie ein umfängliches Literatur- und Dokumentenverzeichnis samt Register und Dokumentation ausgewählter Recherche-Briefe (279–342). Die Einleitung (1–3) beschränkt sich auf die Anzeige des Themas und der »Reichweite der wissenschaftliche Aussage« (2): Die Autorin ist sich bewusst, dass ihre Außenwahrnehmung »kollektiver Religionsfreiheit« im Staat Israel Ordnungszwänge zur Folge hat, die sich aus der Binnensicht nicht ergeben würden.
Kapitel 1 behandelt »Grundlagen des Verhältnisses von Staat und Religion« (5–55). Zunächst kommt die historische Genese os­manischen, britisch-mandatarischen und staatlich-israelischen Rechts im Blick auf den Status von Religionen zur Sprache – ein Schritt, der sachnotwendig ist, insofern »die geschichtliche Rechtssubstanz in Israel hinsichtlich des Verhältnisses von Staat und Religion in einem außergewöhnlich hohen Maße fortwirkt« (2). An­schließend werden die »Rechtsgrundlagen« für die Auslotung kollektiver Religionsfreiheit in Israel erörtert: Mangels Verfassung sind dies die richterrechtliche Gewährleistung der Religionsfreiheit (34 ff.) sowie das 1994 erlassene Grundgesetz »Die Würde des Menschen und seine Freiheit«. Allerdings stellt G. letztendlich Art. 82 und 83 der »Anordnungen des Königs im Rat über das Land Israel«, also Bestimmungen aus der Mandatszeit, als diesbezüglich grundlegend heraus – denn allein diese Artikel gewährleisten allgemein gültig Gewissensfreiheit und Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften (49).
Das Kapitel endet mit einem demographischen Überblick, der sich jeder ›konfessionskundlichen‹ Kennzeichnung oder gar Einordnung enthält (50–55). Zum Teil rückt dieses Vorgehen in der allgemeinen Wahrnehmung vernachlässigte Gruppen wie etwa Karäer und Samaritaner in den Blick, zum Teil verunklart es Unterscheidungen, etwa wenn die ›Mormonen‹ den protestantischen Kirchen zugeordnet werden. Diese Fehlgruppierung lässt auf den be­dauerlichen Umstand aufmerksam werden, dass weder hier noch sonst in dieser Studie sog. Sekten oder ›neue‹, fernöstlich inspirierte Religionsformen in den Blick kommen.
Kapitel 2 gibt einen »Überblick über Status und Organisation der Religionsgemeinschaften« (57–120). Zu unterscheiden sind demnach erstens »nicht staatlich anerkannte Religionsgemeinschaften« (dazu gehört etwa der größte Teil der kleineren, in Israel noch relativ jungen christlichen Denominationen wie etwa Lutheraner), zweitens »staatlich anerkannte Religionsgemeinschaften« (von der Griechisch-orthodoxen Kirche bis zu den Bahá’i) und drittens »staatlich anerkannte Religionen« (hier: Juden, Muslime und Drusen). So deutlich die Autorin die drei Gruppen unterscheidet, so nachdrücklich unterstreicht sie, dass mit den verschiedenen Rechtsstellungen in der Praxis kaum signifikante Unterschiede bzw. Vorteile verbunden sind. Der wesentliche Differenzpunkt zwischen staatlich anerkannten und nicht staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften beispielsweise liegt im »organisatorischen Selbstbestimmungsrecht« der Erstgenannten (98). Eine be­merkenswerte Innovation G.s ist hier die Einführung der Ka­tegorie »staatlich anerkannte Religion«. Der Begriff soll festhalten, dass Judentum, Islam und Drusentum im Staat Israel nicht verfasst sind und infolgedessen auch der Staat Israel keine distinkte Organisation anerkennt, sondern lediglich die jeweilige Religion als solche– manifest u. a. in dem Umstand, dass die jeweiligen religiösen Ge­richte unabhängig von Denomination oder Nationalität »für alle Angehörigen« der jeweiligen Religion zuständig sind (73).
Kapitel 3 beschreibt anschließend »Status und Organisation einzelner Religionsgemeinschaften« (121–254) – material handelt es sich um das Kernstück der Arbeit. Es stellt aufs Ganze gesehen vor allem eindrücklich vor Augen, dass auf Grund historischer Um­stände im Grunde jede Religion(sgemeinschaft) gesondert zu betrachten ist. Der Durchgang durch alle anerkannten und die mitgliederstärksten nicht-anerkannten Relgion(sgemeinschaft)en führt ne­ben einem Panorama der rechtlichen Gegebenheiten zu bemerkenswerten Einzelergebnissen.
Hier seien lediglich Beispiele genannt: So verfügt die jüdische Gemeinschaft im Staat Israel seit dessen Gründung »aufgrund des Untergangs der Knesset Jisrael über keine eigene gemeinschaftliche Organisation ... mehr« (148). Allerdings bestehen die aus der vorstaatlichen Zeit stammenden Institute des Oberrabbinats, der Rabbinatsgerichte und der religiösen jüdischen Räte fort; ihnen wurden nach 1948 – um der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, nicht um staatlicher Manipulation willen (260) – vom Staat bestimmte Tätigkeitsfelder u. a. zugewiesen (149). Im gleichen Sinne hat der Staat Israel angesichts des Zusammenbruchs des bis 1948 aktiven »Obersten Muslimischen Rates« schon in den 60er Jahren Treuhänderkomittees für die muslimischen Awak eingesetzt (154 f.) und, wenn auch erst 1995, einen »Religiösen Drusischen Rat« (189).
Im Vergleich zu den drei »staatlich anerkannten Religionen« genießen die »staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften« ein ho­hes Maß an Auto­nomie (164); den nicht anerkannten jüdischen Religionsgemeinschaften hingegen (Karäer, Reform- und Konservatives Judentum) geht diese völlig ab – vor allem deswegen, weil sie eine solche »Anerkennung als Selbstverwaltungskörper« gar nicht erst beantragt haben (209).
Im Blick auf die religiöse Gerichtsbarkeit konstatiert G., dass neben den jüdischen (gemeint ist: orthodoxen) auch die muslimischen und dru­sischen Gerichte »de facto ... den Charakter von Staatsorganen« haben (253). Dabei ob­liegt nicht den Rabbinatsgerichten, sondern den muslimischen Sharia-Ge­richten der größte Zuständigkeitsbereich!

Kapitel 4 bietet eine »Auswertung des Befundes im Hinblick auf das religionsrechtliche System« (255–277). Hier entfaltet G. ihre Kernthese: Das (orthodoxe) Judentum ist »weder formell noch faktisch« Staatsreligion in Israel (276). Zwar gebe es zum Teil enge »Verflechtungen« zwischen Staat und Judentum, doch gebe es eben solche Verflechtungen auch mit muslimischen und drusischen Institutionen und, vor allem, gehe die Verflechtung jeweils »einseitig vom Staat« aus. Es fehle also gerade »an der für Staatsreligionen üblichen institutionellen Einwirkung der Religion auf staatliche Organe« (261). Kurz: »Der Staat Israel ist ... kein religiös-jüdischer, sondern ein säkularer Staat.« (263) G. weiß, dass diese Einschätzung vom Gros israelischer und US-amerikanischer Autoren nicht ge­teilt wird – sie führt diese Differenz nicht zu Unrecht auf die un­ter­schiedlichen hermeneutischen Brillen, hier also: religionsrechtlichen Traditionen ihrer Herkunftsländer zurück.
Das Spektrum der Befunde sowie die abschließende These bereichern das Verständnis des Staates Israel und der dortigen Religionsgemeinschaften. Um die These zu plausibilisieren, wäre es indes m.E. notwendig gewesen, Kriterien einer »Staatsreligion« zu ent­wi­ckeln und dabei über den Rahmen einer strikt rechtlichen Analyse hinauszuschauen. Angesichts der Fülle und Komplexität ihres Stoffes sowie ihres nachvollziehbaren Fokus konnte und musste die vorliegende Arbeit dies nicht leisten – sie schlägt ihre juristische Schneise und harrt komplementärer Untersuchungen, die etwa die politische Einflussnahme, das gesellschaftliche Gewicht und das theologische Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften im Blick auf den Staat Israel analysieren.