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Ausgabe:

Dezember/1997

Spalte:

1192–1194

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Samartha, Stanley J.

Titel/Untertitel:

Between two Cultures. Ecumenical Ministry in a Pluralist World.

Verlag:

Geneva: WCC Publications 1996. XIII, 201 S. 8°. Kart. sFr 19.90. ISBN 2-8254-1171-X.

Rezensent:

Hans-Werner Gensichen

Die stattliche Reihe ökumenischer Biographien und Autobiographien aus den letzten Jahren erhält durch diesen jüngsten Zuwachs eine Ergänzung, die sich merklich von den Vorgängern abhebt. Nicht zufällig verschränken schon Titel und Untertitel das chronistische, personale Moment mit dem programmatischen "dialogischen" Anspruch. Diese Verbindung ist gleichsam der cantus firmus, der das ganze Werk durchzieht. Im gesamten ökumenischen Geschehen, an dem der Vf. jahrelang an wichtiger Stelle teilgenommen hat, sieht er eben dies "dialogische Prinzip" am Werk: Beschlüsse, Vorschläge, Ideen, Lehrerklärungen treten zurück vor den Menschen, die sie konzipieren und damit überhaupt erst dem "gemeinsamen Wagnis" zum Durchbruch verhelfen, auf das es für den Vf. ankommt (114 f.): das Bemühen um einen interreligiösen Dialog in der pluralistischen Welt von heute, mit dem die Glaubwürdigkeit des Christentums steht und fällt. In drei Hauptteilen mit insgesamt vierzehn Kapiteln wird ein Entwurf entfaltet, der Rückschau auf Leben und Werk, Analyse und Ausblick zugleich bietet:

Zwanzig Lehrjahre in Indien, USA und der Schweiz (1933-1952) bereiten die steile Karriere des theologischen Dozenten und schließlich Principal des Serampore College vor. "Haltepunkt" (so mag das schwer übersetzbare "sojourn" umschrieben sein) im biographischen Ablauf und Schwerpunkt im Hauptteil der Darstellung ist die zwölfjährige Dienstzeit beim Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) in Genf. Auf der ÖRK-Vollversammlung in Uppsala 1968 erhält der Vf. zunächst den Auftrag, als beigeordneter Sekretär in der Studienabteilung das bereits 1955 eingeleitete Studienprojekt über "Das Wort Gottes und der moderne nichtchristliche Glaube" weiterzuführen (der deutsche Titel gibt den englischen Wortlaut nicht adäquat wieder: The Word of God and the Living Faiths of Men).

Für den Vf. ist allerdings von Anfang an klar, daß er sich nicht in den "engen Rahmen" (43) der Studie würde einfügen können. Sein Stichwort lautet "wider ecumenism". Es geht ihm also nicht nur um die auf christliche Kirchen begrenzte Gemeinsamkeit, sondern um die Ökumene aller bedeutenden Religionen. Daß der Vf. damit in Genf nicht sogleich auf Gegenliebe stößt, erfährt er schon gleich im Anfang (29), besonders unzweideutig seitens des früheren Generalsekretäars W. A. Visser’t Hooft (44 f.). Sowohl seine Interpretation des Weltgeschehens, wie sie sich ihm auf zahlreichen Reisen aufdrängt, als auch seine Erfahrungen mit den asiatischen Gliedkirchen des ÖRK bestärken ihn jedoch in der Überzeugung, daß die Fortführung des Studienprojekts von 1955 nicht sinnvoll sei, da sie in ihren Voraussetzungen nicht von der in Tambaram 1938 fixierten und noch 1961 in New Delhi und 1963 in Mexico City nicht aufgegebenen unheilvollen Dichotomie von "christlich" und "nichtchristlich" zu lösen sei (39 ff.). Auch der Versuch seines Landsmannes M. M. Thomas, die "weitere Ökumene" im Sinn einer säkularen "common humanity" zu verstehen (40 f.), scheint dem Vf. allenfalls als Notbehelf akzeptabel, nicht als der "entscheidende Durchbruch" (43), der endgültig über die leidigen Fixierungen der Nach-Tambaram-Epoche hinausführen könne.

Der Vf. setzt diesen Durchbruch nicht, wie man denken könnte, bei der vom ÖRK veranstalteten Konsultation von Kandy (Sri Lanka) über "Christen im Dialog mit Menschen anderen Glaubens" (1967) an. Er erkennnt zwar an, daß dort erstmals orthodoxe und katholische Experten vertreten waren (43); aber die Ergebnisse erwähnt er nicht, obwohl man sie, trotz der Abwesenheit von Teilnehmern aus nichtchristlichen Religionen, zu Recht als "landmark of interfaith dialogue" gewürdigt hat (S. Wesley Ariarajah, Dictionary of the Ecumenical Movement, 284). Der förmliche Schritt des ÖRK in Richtung auf den interreligiösen Dialog im Sinne des Vf.s ist faktisch erst mit einem Beschluß des Zentralausschusses von Canterbury 1969 getan worden, in dem für die Zukunft multilaterale Gespräche "mit uneingeschränkter Teilnahme" von Vertretern anderer Religionen ins Auge gefaßt wurden (41 f.).

Wie der Vf. sich dabei durchzusetzen vermochte, zeigt bereits im Frühjahr 1970 die Konsultation von Ajaltoun (Libanon), von ihm zu Recht nicht nur als "a new beginning", sondern auch als völlig verschieden von der Methodik der Wort-Gottes-Studie bezeichnet (50). Drei Hindus, vier Buddhisten, drei Muslime, 28 Christen, mit H.-J. Margull als Moderator, konnten erstmals einen freien "Dialog über den Dialog" führen, ohne daß man der von manchen befürchteten Gefahr synkretistischer Experimente nachgab, ohne daß man aber auch so brisanten Themen wie dem des Gottesdienstes in den verschiedenen Religionen auswich. Vollzähligkeit der Gesprächspartner war zunächst nicht zu erreichen; nicht nur auf jüdische Teilnehmer, sondern auch auf Vertreter afrikanischer Stammesreligionen mußte verzichtet werden. Ajaltoun war also "der Dialog einiger weniger, stellvertretend für die vielen" (54); aber das allein reichte aus, um, wie es der Muslim Hasan Askari ausdrückte, der "commonness of the feeling of Divine presence" gewiß zu werden (60).

Der Vf. verschweigt nicht, daß ihm die Reaktion auf Ajaltoun in den ökumenischen Gremien zaghafter erschien als beispielsweise das, was das zweite Vatikanum bereits zum Umgang mit nichtchristlichen Religionen gesagt hatte. Er fühlte sich auch von zwei Seiten zu Unrecht angegriffen: einerseits von evangelikalen und anderen "Traditionalisten", für die interreligiöser Dialog ein Verrat an der Mission war, andererseits wegen des Verdachts, daß sich hinter der Dialog-Fassade lediglich ein neuer Trick christlich-imperialistischer Arroganz verberge (77) ­ Mißverständnisse, die nur allmählich, auch dann nicht völlig und für immer, von der neu gegründeten und vom Vf. geleiteten Unterabteilung für interreligiösen Dialog innerhalb der Abteilung für Glaube und Zeugnis im ÖRK in geduldiger Arbeit, unterstützt von der ebenfalls neuen Arbeitsgruppe für Dialog, ausgeräumt werden konnten. ­ Der Anteil, den die vom Vf. geplanten und durchgeführten bilateralen und multilateralen Konsultationen an diesem Prozeß gehabt haben, ist und bleibt auch insofern bedeutungsvoll, als die Auswirkungen auf die theologische Vergewisserung neuer Dimensionen des christlichen Zeugnisses in einer Welt der Pluralität deutlicher hervortraten. Die Gewissenhaftigkeit, mit der der Vf. im übrigen stets gerade die schwierigen Phasen der weiteren Entwicklung registriert und analysiert (beispielhaft sind die Fragen der Einbeziehung der Ideologien und der Spiritualität in das Dialogprogramm), beeindruckt ebenso wie die Beharrlichkeit, mit der er seine Ziele verfolgt hat. Wie kontrovers die Materie trotz alledem blieb, sollte sich anläßlich der fünften Vollversammlung des ÖRK in Nairobi 1975 erweisen (übrigens der ersten Vollversammlung, an der der Vf. teilnahm). Auch hier waren nicht weniger als fünf hochrangige offizielle Gäste als Vertreter anderer Religionen eingeladen, nach Meinung des Vf.s freilich nicht genügend anerkannt und respektiert.

Bedauerlich ist, daß sich der Vf. hier gelegentlich auf anonyme Zeugen beruft, z. B. einen "Missionswissenschaftler aus Nordeuropa", der alle nichtchristlichen Religionen pauschal als "dämonisch" denunziert haben soll (107); die nichtchristlichen Gäste werden dagegen namentlich ausgiebig zitiert. Auch der Vf. selbst fühlte sich in Nairobi anscheinend zeitweise unverstanden (108, 110). ­ Der Bericht der Dialog-Abteilung wurde immerhin der Abteilung zur Revision zurückgegeben und erhielt dann eine Präambel, die den Bedenken eines nicht unbedeutenden Teils der Delegierten Ausdruck gab. Von der nächsten Dialog-Konferenz in Chiang Mai (Thailand) 1977 konnte der Vf. dann freilich sagen, daß sie "dazu beitrug, etwas von den Belastungen und Zweifeln der Zeit nach Nairobi zu überwinden und der Fortsetzung der Arbeit am ’Dialog in der Gemeinschaft’ eine klare Ausrichtung zu geben" (129). Tatsächlich ist die Zielsetzung "seeking community" auch der zentrale Punkt der in Chiang Mai konzipierten Richtlinien für den künftigen Dialog geworden, mit deren Annahme der ÖRK-Zentralausschuß 1979 dem nunmehr nicht nur interimistischen, sondern auf Dauer angelegten Konsens Ausdruck gab (130), so daß der Vf. guten Gewissens aus Genf nach Indien zurückkehren konnte.

Der Schlußteil unter dem Titel "Heimkehr" (132 ff.) nimmt das Thema "Zwischen zwei Kulturen" nochmals auf, nun mit spezifischem Bezug auf die indische Situation, ohne allerdings dem interreligiösen Dialog den Rücken zu kehren. So entsteht ein gehaltvoller Epilog, mit dem Akzent auf einem "Kontext, der nicht mehr nur die christliche Mission einer ’nichtchristlichen’ Welt" umfaßt, sondern christliches Zeugnis in einer religiös pluralen Welt sein will (137). Drei abschließende Kapitel führen noch darüber hinaus ­ zunächst zur Frage der "Einzigartigkeit" (uniqueness) Christi, die im Sinne von Paul Knitter interpretiert wird und, vor allem um des Gesprächs mit Hindus willen, den Schritt vom "Christomonism" zum "theocentrism" erforderlich macht. Auch dieser weist jedoch letzlich darüber hinaus, nämlich auf die Gegenwart des Heiligen Geistes auch in der Begegnung ­ nicht Konfrontation! ­ mit Menschen anderen Glaubens; denn "die Verheißung, daß der Geist die Menschen zur Fülle der Wahrheit und des Lebens führen wird, muß künftig auch im interreligiösen Dialog viel ernster genommen werden als bisher" (185), wenn das Gespräch nicht auf die Bemühung um ein "Welt-Ethos" beschränkt bleiben soll, so richtig und wünschenswert dies auch sein mag. Der Vf. ist sich dessen bewußt, daß er sich hier auf weithin unerforschtes Gebiet begibt, nimmt aber das Risiko auf sich, damit zumal in der christlichen Mission ein Zustand erreicht werde, in dem Menschen anderen Glaubens nicht mehr als Objekte der Bekehrung betrachtet und behandelt würden (185).

Leider fehlen Personen- und Sachregister. Die sparsamen bibliographischen Angaben lassen nicht ahnen, daß der Vf. bis heute ein literarisches Werk von über zwanzig Büchern und etwa 150 Aufsätzen aufzuweisen hat. Dazu kommen 25 Abhandlungen über ihn, darunter die 380seitige Studie von Eeuwout Klootwijk, Commitment and Openness. The Interreligious Dialogue and Theology of Religions in the Work of Stanley J. Samartha, Zoetermeer 1992 (mit ausführlicher Bibliographie).