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Ausgabe:

Dezember/1997

Spalte:

1185–1187

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Karrer, Andreas

Titel/Untertitel:

Bekenntnis und Ökumene. Erträge aus den ersten Jahrzehnten der ökumenischen Bewegung.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1996. 351 S. gr.8° = Kirche und Konfession ’ 38. Kart. DM 68,­. ISBN 3-525-56542-9.

Rezensent:

Erich Geldbach

Die Suche nach der Einheit im Glauben ist von Anfang der ökumenischen Bewegung an bis in die Gegenwart eng mit der Frage nach dem Bekenntnis verknüpft. Es überrascht, daß bisher nur unzulänglich der Bekenntnisfrage wissenschaftlich nachgegangen wurde. Karrer leistet hier eine überzeugende Korrektur. Er geht von zwei Fragenkreisen aus: "Auf welche Probleme stoßen die Kirchen und müssen sie hinsichtlich des Bekenntnisses stoßen, wenn sie die Einheit der Kirche suchen? Welche Fragen stellen sich ihnen durch das Geschehen der ökumenischen Bewegung für die Gemeinschaft im Bekenntnis und damit für die Einheit der Kirche" (13)? ­ Zum ersten Fragenkreis gehören Inhalte und Strukturen von Bekenntnissen sowie ihre Autorität. Der zweite Fragenkreis ist durch den Umstand hervorgerufen, daß die ökumenische Bewegung sich aus unterschiedlichen Strömungen­ Mission, Glauben und Kirchenverfassung, Dienst, soziales Credo ­ speiste, die anfänglich relativ unverbunden waren.

Das Buch ist in sieben Kapitel gegliedert. Das erste behandelt die Fragestellungen; das zweite geht den Anfängen einer konfessionsübergreifenden Bekenntnisbildung nach, wie sie sich in den Bemühungen der Evangelischen Allianz, der Jugendbewegungen und den ökumenischen Vorstößen seitens der Anglikaner (Quadrilateral) spiegeln.

Das dritte Kapitel zeichnet die Bekenntnisdebatte zwischen 1910 und 1920 nach. Die Kirchen waren als Institutionen zu einer Weltkonferenz eingeladen, so daß sie und nicht Einzelne die Verantwortung für die ökumenische Bewegung übernehmen sollten. Es ging von Anfang an um die ganze Wahrheit der ganzen Kirche, nicht aber um einen kleinsten gemeinsamen Nenner. Man suchte einen Konsens, so daß die Beratungen, die von der Einsicht in die Notwendigkeit von Umkehr, Schuldbekenntnis und Gebet getragen waren, darum kreisen, was gemeinsam ist und was trennt. Es kommt also die berühmte "vergleichende Methode" zum Zuge. Wichtig ist, daß die Orthodoxie mitwirkte, während sich die römisch-katholische Kirche ausschloß. Die evangelischen Landeskirchen in Deutschland lehnten ebenfalls ab, weil Glaubens- und Bekenntnisfragen nicht Gegenstand von internationalen Konferenzen sein könnten. So ist in Deutschland die ökumenische Bekenntnisfrage anfänglich nicht in den Kirchen verankert, sondern ruhte auf den Schultern Einzelner. Von besonderer Wichtigkeit ist die Genfer Vorkonferenz 1920, in der sich zwei grundsätzliche Wege, den Glauben gemeinsam zu bekennen, herausschälten: Entweder der Rückgriff auf die altkirchlichen Symbole oder ein neues, gemeinsames, biblisch geprägtes Kurzbekenntnis. Auf dieser Vorkonferenz war man sich über die Bedeutung von Bekenntnissen klar. Die neue Frage heißt, welchen Zwecken die Bekenntnisse in der wiedervereinigten Kirche dienen sollen.

Das vierte Kapitel systematisiert zum ersten Mal in der wissenschaftlichen Literatur die Antworten der Kirchen auf eine Umfrage, die von dem Fortsetzungsausschuß im Anschluß an die Genfer Vorkonferenz gestartet wurde. Die Fragen sind auf S. 145 aufgeführt. K. fragt nach dem in den Antworten hervortretenden Problembewußtsein und den Impulsen für die Bekenntnisfrage. Nicht nur der vermeintliche Gegensatz zwischen altkirchlichen Bekenntnissen und einem neuen Bekenntnis, sondern auch der Gegensatz von fest formulierten Glaubensbekenntnissen und persönlichem Bekenntnis führten zu Spannungen. Die Antworten sind nach K.s Auswertung stark konfessionell geprägt, so daß er von einer konfessionellen "Selbstgenügsamkeit" spricht. Es zeigte sich ein breites Spektrum dessen, was Inhalt und Zweck eines Bekenntnisses sein soll. Die Überschneidungen und Widersprüche werden ausführlich dargelegt.

Das fünfte Kapitel umfaßt die Jahre 1923-1927. Zuerst wird der Bericht "Der Glaube der wiedervereinigten Kirche" (1923) vorgestellt, der an ausgewählten Bekenntnisfunktionen entlanggeht und nach der "Gemeinschaft im Bekenntnis" fragt.

Es ist der erste Versuch der ökumenischen Bewegung, die disparaten Überzeugungen in einer gemeinsamen Erklärung zusammenzufassen. Die Suche nach einem gemeinsamen Bekenntnis ist zugleich die Suche nach dem konkreten Ort ­ Taufe, Lehre, Gottesdienst, Rechenschaft ­, so daß es mehrere Formulierungen und Formen nebeneinander geben sollte. Das wird als neuer und zugleich programmatischer Ansatz von K. gewertet. Kritisch fragt er, ob es nur die vier Orte oder auch noch andere gibt und ob Ort und Funktion auch Art und Umfang eines Bekenntnisses bestimmen. Wichtig ist für diesen Bericht auch, daß an den altkirchlichen Bekenntnissen festgehalten wird, weil diese die Katholizität und Universalität verkörpern. Das aber schließt eine Neuformulierung der Rechenschaft von der Wahrheit nicht aus.

Als zweites Dokument behandelt K. das Konferenzprogramm des Fortsetzungsausschusses. Hier kommt die Bekenntnisfrage seiner Meinung nach "verengt" zum Zuge, nicht zuletzt, weil man auf die altkirchlichen Bekenntnisse fixiert war.

Die Diskussion lief u. a. auf den Vorstoß hinaus, sich vor allem der Verständigung über das Evangelium zu widmen. Das sollte als Kristallisationspunkt für die Einheit und zugleich als kritischer Maßstab für die Kirchen außer Frage stehen. So verlangten es nicht nur deutsche Vertreter. Insgesamt urteilt K., daß die Debatte um das Bekenntnis der sich einigenden Kirche keine große Breitenwirkung hervorrief. Man war eher auf Verfassungsfragen und Schwierigkeiten in der Kirchen- und Amtsfrage fixiert.

Das sechste Kapitel stellt die Weltkonferenz von Lausanne 1927 dar. Weil aufgrund der Geschäftsordnung die Diskussion sehr disparat war und die Argumente nicht aufeinander bezogen wurden, muß der Vf. ein Ordnungsschema entwickeln, in das er die Diskussion einzeichnet. Es entsteht so ein lebendiges Bild von der Vielfalt, den Schwierigkeiten und den ungelösten Problemen. Allerdings gilt der Konferenz die Verwendung des Bekenntnisses als "nachrangige Frage". Die Konferenz selbst wollte kein neues Bekenntnis abfassen, wenngleich dies durchaus als Ziel vor Augen stand.

Die von der Konferenz angenommenen Berichte konnten "nur den Wert beanspruchen, den sie aufgrund ihrer Qualität in sich trugen" (280). Damit waren die Kirchen und die nachfolgenden Konferenzen am Zuge, eine "Rezeption" und Weiterarbeit einzuleiten. Der Konferenzweg war für die Anfänge der ökumenischen Bewegung der einzig gangbare. Er wurde aber ergänzt durch Gottesdienst, Gebet, gegenseitiges Ernstnehmen, Versuch einer Rechenschaft über den gemeinsamen Glauben und die gemeinsame Tat. Allerdings war von den sogenannten Jungen Kirchen der Ruf nach Einheit nicht als Theorie, sondern als Überlebensfrage unüberhörbar laut in die Debatte geworfen und damit auch die Frage nach der Kontextualität des Bekenntnisses (292).

Das abschließende siebte Kapitel bietet eine sehr ansprechende Zusammenfassung des Dargestellten und verknüpft die in den Anfängen geleistete Arbeit mit den folgenden Projekten der "Kommission für Glauben und Kirchenverfassung" bzw. mit der Entwicklung der anderen Bewegungen für "Praktisches Christentum" sowie der Missionsbewegung und schließlich des Ökumenischen Rates der Kirchen. Hier wird noch einmal alles gebündelt und in überzeugender Weise mit den Entwicklungen und zukünftigen Notwendigkeiten verknüpft.

Die Arbeit ist klar gegliedert. K. macht es seinen Lesern auch noch dadurch leicht, daß er zu Anfang eines jeden Kapitels einführende Sätze schreibt, in denen das, was nachfolgend Gegenstand der Untersuchung ist, vorbereitet wird. Es ist also ein Genuß, das Buch zu lesen.