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Ausgabe:

Dezember/1997

Spalte:

1174–1176

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Agende für evangelisch-lutherische Kirchen und Gemeinden. Hrsg. von der Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands. Band III: Die Amtshandlungen. Teil 5: Die Bestattung. Neubearbeitete Ausgabe.

Verlag:

Hannover: Luth. Verlagshaus 1996. 224 S. 8°. Lw. DM 26,80. ISBN 3-7859-0701-X.

Rezensent:

Wilhelm Gräb

Im Zuge der Neubearbeitung der bisherigen Agende III der VELKD (1964), die sämtliche "Amtshandlungen" in einem Band zusammenfaßte, liegt nun auch für die "Bestattung" ein sehr viel ausführlicherer, eigener Teilband vor. Neu in die Bestattungsagende aufgenommen worden sind liturgische Ordnungen zum "Dienst im Sterbe- und Trauerhaus", zur "Aussegnung" und zur "Abholung" (32-43). Hinzugekommen sind besondere liturgische Ordnungen zum Gottesdienst anläßlich der "Bestattung eines Kindes" (82-97), bei einer "Einäscherung" (98-117), für den "Gedenkgottesdienst" (117), die "Fürbitte im Gemeindegottesdienst" (118-121) besonders anläßlich von "Gedenktag(en) der Entschlafenen" (119-121), sowie zur "Feier des Heiligen Abendmahls im Gottesdienst zur Bestattung" (122-127). Schon diese Erweiterungen zeigen, daß die neue Agende dem in der pastoralen Praxis neu erwachten Sinn für symbolische Inszenierungen und rituelle Begehungen in der kirchlichen Bestattungskultur Rechnung trägt.

Den agendarischen Ordnungen (32-127) und einer umfängliche Sammlung von "Texte(n) zur Auswahl" (128-223) sind einleitend "grundsätzliche Erwägungen zur kirchlichen Bestattung" beigegeben (11-31). Sie reflektieren die veränderte Sicht der kirchlichen Kasualpraxis. Es wird darauf hingewiesen, daß der "Ritus" für die hinterbliebenen Angehörigen, für die versammelte Gemeinde, aber auch für die Pfarrer und Pfarrerinnen "eine wichtige Hilfe" darstelle (13). Der Ritus vermittle durch seine elementaren Gesten, geprägten Worte und vertrauten Texte Halt und Geborgenheit in einer für die Betroffenen fremden Situation. Die liturgische Handlung stelle die spezielle Herausforderung, die in der individuellen Betroffenheit der Trauernden liege, auf begehbare Weise in den Horizont einer transindividuellen Deutung der Todeserfahrung. Die individuelle Erfahrung, die nicht verallgemeinert werden kann, werde in einen Sprachraum gehoben, in dem sich alle, die am Gottesdienst zur Bestattung teilnehmen, in ihrer Trauer, ihrer Lebenshoffnung und Todesangst angesprochen finden können (12).

Die neue Bestattungsagende stellt sich explizit in den Kontext einer Ritualtheologie, die die seelsorgerliche Funktion, welche das Ritual für die Trauernden zu erfüllen vermag, nicht mehr gegen den Zuspruch der Verheißung des christlichen Glaubens meint ausspielen zu müssen. Sie weiß, daß auch die liturgisch geprägten Stücke der Bestattungsfeier die über den Tod hinausweisende christliche Hoffnung wirksam verkündigen und wiederum die einen biblischen Text auslegende Bestattungspredigt Teil desjenigen Rituals ist, das insgesamt "im Hinblick auf das zu Ende gegangene Leben des verstorbenen Gemeindegliedes und im Hinblick auf die hinterbliebenen An-gehörigen" zu gestalten ist (12). Es ist die ritualtheologische Maßgabe der neubearbeiteten Agende, die Liturgie des Beerdigungsgottesdienstes im Sinn der seelsorgerlichen Zuwendung zu den Hinterbliebenen und der Gemeinde zu gestalten. Zu dieser seelsorgerlichen Aufgabe gehört für sie vor allem die sinndeutende Verarbeitung der Todeserfahrung im Horizont der christlichen Auferstehungshoffnung. In diesem Horizont will sie die Hinwendung zur Trauergemeinde und die Erinnerung an die Person des Verstorbenen zusammenführen.

Der neubearbeiteten Agende ist es ­ im Unterschied zu ihrer Vorgängerin ­ entscheidend wichtig, daß bei der Bestattung "die oder der Verstorbene namentlich der Barmherzigkeit Gottes anvertraut" werden (19). Sie stellt fest: "Grundsätzlich sollte, was vom Leben des Verstorbenen zu sagen ist, in die Predigt aufgenommen werden. Sie ist der Ort, dieses Leben als die einmalige Geschichte Gottes mit diesem Menschen zu bezeugen und zu deuten" (19 f.).

Die Voten und Gebete sind dann auch weitgehend so formuliert, daß sie sowohl den Namen des Verstorbenen nennen lassen, als auch die seelsorgerliche Hinwendung zu der Trauergemeinde vollziehen. Sie sprechen den Dank aus für das Geschenk des Lebens des Verstorbenen, erinnern an die Güte, die er erfahren hat, an das, was er schuldig geblieben ist und andere ihm schuldig geblieben sind. Sie artikulieren die Bitte um die Vollendung seines Lebens in Gottes ewigem Reich und trösten die Trauernden mit der Ermutigung zur Hoffnung auf den Gott, dessen Liebe zu seiner Schöpfung im irdischen Tod seiner Geschöpfe nicht endet (vgl. 53).

Behutsam wird in den Gebetsformularen versucht, die Erinnerung an den Toten zu stärken und die schmerzliche Erfahrung des Abschieds religiös, von Gottes schöpferischem, versöhnendem und erlösendem Handeln her zu deuten. In der Behutsamkeit ihrer Sprache geben die Voten und Gebete dem Zweifel und der Anfechtung des Glaubens angesichts der Erfahrung des Todes ebenso Raum wie sie den vorstellungshaften Schwierigkeiten Rechnung tragen, die heute viele mit der christlichen Auferstehungshoffnung haben. Auch in der Auswahl der biblischen Lesungen zeigt sich, daß vor allem solche Texte Aufnahme ins Ordinarium gefunden haben, die ­ wie Ps 39 ­ des Menschen Endlichkeit im Aufblick zu Gott, der die Klage und das Schreien hört, zu bedenken geben (48), bzw. ­ wie Joh 16,33b ­ in der Zuversicht bestärken, daß die Todesangst und Todesverfallenheit, die zu unserem welthaften Dasein gehören, nicht unsere endgültige Bestimmung ausmachen, diese vielmehr in Gottes schöpferischer und bewahrender, Lebensgewißheit wirkender Ewigkeit liegt (47).

Insgesamt ist den Formulierungen der Voten und Gebete, schließlich den für das Ordinarium ausgewählten Bibeltexten anzumerken, daß sie den Pfarrern und Pfarrerinnen zu einer Gottesdienstgestaltung verhelfen wollen, die auch Menschen anzusprechen vermag, "die überhaupt keiner Kirche angehören und so gut wie keine Vorstellung von dem haben, was in einem Gottesdienst zur Bestattung geschehen wird" (12). Das ist gut so. Damit ist diese Angende in unserer heutigen religiös-kirchlichen Lage wirklich hilfreich. Um so unverständlicher ist dann nur, warum daran festgehalten wird, daß "aus der Kirche Ausgetretene ... grundsätzlich nicht kirchlich bestattet" werden (15 ’ Ausnahmefälle werden freilich erwogen ­ vgl. 15 f.). Die tröstliche Wahrheit, zu deren liturgischer Darstellung diese Agende auf sowohl theologisch reflektierte wie ästhetisch ansprechende Weise anleitet, sollte keinem, der im Leben oder im Sterben nach ihr verlangt, verweigert werden.