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Ausgabe:

Dezember/1997

Spalte:

1169–1173

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Neumann, Burkhard

Titel/Untertitel:

Sakrament und Ökumene. Studien zur deutschsprachigen evangelischen Sakramententheologie der Gegenwart.

Verlag:

Paderborn: Bonifatius 1997. 410 S. gr.8° = Konfessionskundliche und kontroverstheologische Studien, 64. Lw. DM 138,­. ISBN 3-87088-946-2.

Rezensent:

Gunther Wenz

Nicht erst seit Y. Congars "Regards et réflexions sur la christologie de Luther" gehört es zu den Standardargumenten römisch-katholischer Kontroverstheologie, den Begriff einer lutherischen "Christologie der Alleinwirksamkeit Gottes" mit der kritischen Annahme einer Unterbestimmung der menschlichen Natur Jesu Christi in der theologischen Tradition Wittenberger Reformation zu verbinden.

N.s Monographie macht in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Das verwundert zwar insofern, als lutherische Theologie gerade im Kontext der Sakramenten-, näherhin der Abendmahlslehre zu christologischen Bestimmungen gelangte, die den Vorwurf einer mangelnden theologischen Würdigung des Menschseins Jesu Christi zunächst als wenig verständlich erscheinen lassen: Immerhin soll nach Maßgabe des genus maiestaticum der Idiomenkommunikation der Mensch Jesus als Mensch kraft der unio personalis göttlicher und menschlicher Natur Anteil haben an den Hoheitseigenschaften der Gottheit einschließlich des göttlichen Vermögens zur Ubiquität bzw. Multipräsenz. Indes hat, wie man weiß, das "Neue Dogma der lutherischen Christologie" (Th. Mahlmann), welches sich aus dem soteriologischen Interesse an der leibhaften Gegenwart des Herrn in seinem Mahl entwickelte, schon zu seiner Zeit manche kritische Einwände auf sich gezogen. Reformierterseits wertete man die raum-zeitliche Entschränkung des Menschseins Jesu Christi als Aufhebung von dessen realer Leibhaftigkeit und ließ den Erhöhten daher gemäß seiner menschlichen Natur certo loco zur Rechten des Vaters sitzen, weil man raum-zeitliches Begrenztsein als Kriterium leibhaften Menschseins meinte werten zu müssen. Katholischer Theologie hinwiederum kam es im wesentlichen darauf an, die aktive, handelnde Rolle der menschlichen Natur Jesu Christi im Versöhnungsgeschehen zu betonen, um diese sodann ihre analoge Entsprechung finden zu lassen im Tun der Kirche als des sakramentalen Leibes Christi, welcher in der eucharistischen Feier sich selbst vorstellig wird. Letzteres Leitmotiv bestimmt, wenn ich recht sehe, in Kritik und Konstruktion auch die Untersuchung von N., die im Wintersemester 1995/96 von der Theologischen Fakultät Paderborn als Dissertation angenommen wurde.

Nach einer einführenden Darstellung der Frage nach dem Sakrament im offiziellen ökumenischen Dialog (18-35) erörtert der Vf. knapp die Problematik eines reformatorischen Sakramentsbegriffs (36-41), um sodann Thema, Auswahl und Methode seiner Arbeit zu begründen (42-52). Ziel der Studie ist es, "exemplarisch vier evangelische Gesamtdarstellungen der Dogmatik bzw. Sakramentenlehre ausführlich (zu untersuchen) und nach dem in ihnen vorgestellten Sakramentsverständnis (zu befragen)" (43). Zur Darstellung kommen die Sakramentenlehre Helmut Thielickes (54-120), diejenige Gerhard Ebelings (121-185), meine eigene (188-250) und zuletzt die Sakramentenlehre Ulrich Kühns (251-372). "Ausgangspunkt des Fragens und Urteilens ist", wie ausdrücklich gesagt wird, "die katholische Glaubenslehre, die das Fundament des theologischen Denkens eines katholischen Theologen bildet" (47). Unbeschadet dieser dezidiert konfessionellen Positionalität ist es dem Vf. gleichwohl um eine, wie es heißt, ",Hermeneutik der Verständigung’ anstelle einer ’Hermeneutik der Abgrenzung’" (50) zu tun. Man kann N. ohne Vorbehalt das redliche Bemühen attestieren, seinen hermeneutischen Maximen zu entsprechen. Im übrigen beeindruckt die insgesamt verständigungsorientierte Untersuchung durch analytischen Scharfsinn und eine ­ nach meinem Urteil zwar nicht stets, aber doch über weite Strecken hin durchgehaltene ­ dogmatische Präzision und Begriffsklarheit. Kurzum: Die Arbeit stellt eine bemerkenswerte Dissertationsleistung dar. Das wird durch einige im folgenden namhaft zu machende kritische Anmerkungen in keiner Weise in Frage gestellt.

Was die systematische Ordnung betrifft, nach der die vier erwähnten evangelischen Sakramentenlehren behandelt werden, so ist sie vor allem durch die Unterscheidung zwischen sakramentstheologischen Entwürfen, "die das Sakrament ausdrücklich unter die Kategorie des Wortes einordnen bzw. es von dieser Kategorie aus deuten" (53), und solchen bestimmt, in denen "die Sakramente ausdrücklich neben das Wort gestellt" werden, um "deren Eigencharakter als von Gott gewollte Heilsmittel besonders (zu betonen)" (187). Der ersten Kategorie werden die Entwürfe von Thielicke und Ebeling, der zweiten mein Entwurf und derjenige Ulrich Kühns subsumiert. Ich lasse es dahingestellt, ob dieses Gliederungsprinzip glücklich gewählt ist, und frage lediglich nebenbei an, ob es um der Vermeidung falscher bzw. mißverständlicher Kontrastierungen willen nicht wesentlich darauf ankäme, im Zusammenhang der Lehre von den media salutis einen solchen theologischen Zeichenbegriff zu entwickeln, der materiale Identität und modale Differenz von verbum audibile und verbum visibile zugleich erkennen läßt. Wie dem auch sei: Weil sich N. von seinem römisch-katholischen Ausgangspunkt her den Repräsentanten der zweiten Kategorie vergleichsweise näher weiß, soll die Perspektive im folgenden ausschließlich auf deren Positionen, so wie sie sich N. darstellen, beschränkt werden. Dabei fällt sogleich auf, daß die Position Ulrich Kühns vor allem deshalb favorisiert und als dem katholischen Standpunkt relativ nahestehend qualifiziert wird, weil sie die Sakramentenlehre von der Grundannahme eines ­ wie es in der Überschrift des einschlägigen Abschnittes heißt ­ "Handeln(s) Gottes in, mit und unter dem Handeln der Gemeinde" (251) her entwickelt. Dies, so N., ermögliche es Kühn, den Menschen in das bleibend vorgegebene Handeln Gottes in Jesus Christus einzubeziehen und die Sakramente auch unter dem Aspekt menschlich-kirchlicher Handlungsvollzüge ins Auge zu fassen. Kühn vermeide daher die irrige bzw. in hohem Maße mißverständliche Vorstellung einer Alleinwirksamkeit Gottes, ohne deshalb die göttliche Allwirksamkeit in Frage zu stellen.

Nun ist es in der Tat so, "daß phänomenologisch gesehen das Sakrament zunächst als Handlung der Gemeinde in den Blick tritt" (275). Interessant wird diese für sich genommen wenig aufregende Feststellung allerdings erst, wenn man fragt, wie das gemeindliche Handeln verfaßt sein muß, um als vollmächtiges Zeichen jenes Grundes zu fungieren, der nicht nur alles sinnvolle Handeln der Kirche, sondern alle menschlichen Sinnvollzüge in unbedingter Weise begründet. Anders gefragt: Unter welcher Voraussetzung können kirchliche Zeichenvollzüge als Sakramente der jedweden Sinn bedingenden Gegenwart des unbedingten Gottes gelten? Durch diese Frage­ und nicht lediglich und auch nicht in erster Linie durch diejenige historisch-kritische Verifikation bestimmter Stiftungsworte ­ ist das sakramentstheologisch zentrale und entscheidende Einsetzungsproblem umschrieben. Dieses Problem kann daher nur im trinitätstheologischen Gesamtzusammenhang der Dogmatik einer Lösung zugeführt werden. Dabei ist ekklesiologisch vor allem darauf zu achten, daß die sakramentstheologische Subjektstellung des in Jesus Christus in der Kraft des Heiligen Geistes offenbaren Gottes durch das Zeichenhandeln der Kirche entsprechend bewahrt und erkenntlich zur Geltung gebracht wird.

Besteht soweit ökumenisches Einverständnis, so liegen die traditionellen Kontroversen der Sakramentstheologie im wesentlichen in der Schwierigkeit begründet, wie die jeder kirchlichen Setzung zuvorkommende Voraussetzung der Selbstoffenbarung Gottes sich verhält zum bekennenden Glaubensvollzug der Kirche und ihrer Glieder. Kurzum: wie verhält sich das Sakrament als wirksames Gnadenzeichen zu sich selbst als einem von der Wirksamkeit der Gnade lebenden Bekenntniszeichen? Die evangelische Antwort auf diese Frage kann nur lauten, daß das Sakrament ein seinem Sinngehalt entsprechendes Bekenntniszeichen des Glaubens der Kirche nur sein kann, wenn der kirchliche Zeichenvollzug dem göttlichen Mandat folgt, welches auf plausible Weise nur in Anbetracht des irdischen Daseins Jesu Christi und infolgedessen nicht unter Absehung vom Buchstaben der Schrift und ihres für historische Befragung offenen Literalsinns erhoben werden kann, und zugleich der österlich-pfingstlichen Verheißung vertraut, ohne welche das göttliche Mandat nur als Gesetz und nicht als jenes wirksame Evangelium wahrgenommen zu werden vermag, welches es seiner göttlichen Bestimmung nach zu sein hat. Mit diesem Hinweis ist gewiß noch nicht die sakramentstheologische Lösung des Einsetzungsproblems erbracht, das in ganz analoger Weise ja auch im Blick auf die verba audibilia gestellt ist; es ist aber der Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen sich eine Lösung bewegen muß, um als evangelisch gelten zu können.

Ekklesiologisch heißt das u. a. dies: Die Stiftung der Sakramente ist keine kirchliche Setzung, sondern eine Voraussetzung der Kirche, die in ihrem Vorausgesetztsein nur gewahrt wird, wenn die Mandatsfrage trotz der unbestreitbaren Schwierigkeiten ihrer Beantwortung nicht durch den Verweis auf kirchliche Autorität ­ und sei diese auch lediglich als Kompetenz authentischer Erkenntnis qualifiziert ­ zum Schweigen gebracht wird. Des inneren Sinns der durch äußeres Stiftungsmandat gebotenen und vorausgesetzten Sakramente hinwiederum wird die Kirche nur dann gewahr, wenn ihr in diesen ihr eigener Grund als eine solche Voraussetzung vorstellig wird, die sich selbst vorauszusetzen vermag, um als sich selbst voraussetzende Voraussetzung bzw. als sich selbst bewährende Wahrheit bezeugt zu werden. Solches zu betonen und zum Kriterium evangelischen Glaubens zu erklären bedeutet keineswegs die Geringschätzung des der Kirche sakramentstheologisch aufgetragenen Werks; im Gegenteil: die österlich-pfingstlich begründete Glaubensgewißheit, daß Gott die in den gebotenen Sakramenten inbegriffene Verheißung seiner heilsamen Gegenwart von sich aus, also in der Weise der Selbstvergegenwärtigung realisiert, ist die Bedingung der Möglichkeit stiftungsgemäßer Erfüllung des der Kirche aufgetragenen Werks sakramentalen Vollzugs.

Es spricht für die Qualität von N.s Studie, daß sakramentstheologische Probleme der bezeichneten Art aufgeworfen und erörtert werden. Das geschieht, wie gesagt, auf hohem dogmatischen Differenzierungsniveau. Daß N. dieses Differenzierungsniveau bei den dargestellten Repräsentanten evangelischer Sakramentstheologie nicht immer zu entdecken vermag, ist eine andere Sache. Gelegentlich, so denke ich, hätte sich eine solche Entdeckung möglicherweise noch einstellen können, wenn sich der Vf. weniger schnell auf seinen vorweg fixierten Urteilsstandpunkt zurückgezogen und noch intensiver auf für ihn kontroverstheologisch bedenkliche Argumentationszusammenhänge eingelassen hätte.

Ich für meinen Teil jedenfalls vermag bis auf weiteres nicht einzusehen, warum die Annahme der in der Kraft des Geistes statthabenden Alleinwirksamkeit Gottes in Jesus Christus gewissermaßen zwangsläufig zu ekklesiologisch-sakramentstheologischen Fehlbestimmungen und zu einer Marginalisierung des Aspekts tätiger Mitwirkung der Kirche als der Gemeinschaft der Gläubigen am Handeln Gottes führen muß. Man hat ­ um solchen Fehlschluß zu vermeiden ­ nur die nötigen, namentlichen pneumatologischen Differenzierungen in Betracht zu ziehen, die den Gesichtspunkt aktiven Selbstseins der Gläubigen in einer Weise zu erschließen vermögen, daß synergistischer Irrtum ebenso vermieden wird wie die heillose Vorstellung Gottes als eines solipsistischen Subjekts. Gewiß müssen diese pneumatologischen Differenzierungen dann auch in einem reflexen Bezug zu schöpfungstheologisch-anthropologischen Bestimmungen stehen; eine andere Frage freilich ist es, ob ein solcher Bezug nur durch die problemlose Annahme eines soteriologischen Restvermögens des postlapsarischen Menschen angemessen herzustellen ist. Hier, so scheint mir, operiert N. ab und an vorschnell mit vermeintlich selbstverständlichen Prämissen, deren genauere Prüfung und Diskussion manches kritische Urteil möglicherweise etwas weniger souverän hätten ausfallen lassen. Dies gilt, um nur noch dieses zu sagen, entsprechend für den theologischen Begriff der menschlichen Natur Jesu Christi, der weitgehend unentwickelt bleibt bzw. mit einer unproblematischen Selbstverständlichkeit verwendet wird, die angesichts der massiven Kritik an angeblichen Unterbestimmungen dieses christologischen Themenaspekts ein wenig überrascht. Damit ist nicht in Abrede gestellt, daß N. einige argumentative Schwachstellen in den von ihm dargestellten evangelischen Positionen aufdeckt. Bezüglich meiner eigenen Position gilt dies, soviel ich sehe, insbesondere im Hinblick auf die Einsetzungsproblematik.

Dem Problem der Stiftung der Sakramente kommt im Schlußteil der Arbeit von N. (318-376), welcher den kritischen Ertrag zusammenfaßt und ihn konstruktiv weiterführt, nicht von ungefähr eine Schlüsselfunktion zu. Dabei läßt N. bemerkenswerterweise die Frage nach der Bedingung der Möglichkeit rechter Erkenntnis göttlicher Stiftung der Sakramente in den Vordergrund treten. Die sakramentstheologische Problemkonstellation ist, wie N. mit Recht sagt, eine ähnliche wie im Zusammenhang der Frage von Kanon und Schriftauslegung: Gewiß, meint N., die Kirche einschließlich des kirchlichen Amtes ist dem in der Schrift beurkundeten Worte Gottes unterstellt; aber wer gewährleistet die Authentizität der Schriftauslegung angesichts diverser und zum Teil auch divergierender Bezugnahmen auf den Wortlaut der Schrift? Und unbestritten ist fernerhin dies: Der Kanon ist der Kirche vorgegeben; doch wer bringt die Kanonizität des Kanons als eines eindeutig umschriebenen Textbestandes zur verläßlichen Erkenntnis? Die Antwort, die N. gibt, läßt an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Ohne die Kirche und ihre Tradition, genauer gesagt (und darauf kommt es an!): Ohne das kirchliche Lehramt, in welchem die kirchliche Tradition zum authentischen Bewußtsein ihrer selbst kommt, kann es verbindliche Schriftauslegung ebensowenig geben wie beständige Gewißheit bezüglich der Kanonizität des Kanons. Analog argumentiert N. in sakramentstheologischer Hinsicht im allgemeinen und im Hinblick auf das Einsetzungsproblem im besonderen. Ohne amtliche Kompetenz authentischer Wahrnehmung des der Kirche Aufgetragenen ist es nach N. nicht möglich, sakramentstheologische Gewißheit und namentlich Gewißheit bezüglich des Faktums göttlichen Gestiftetseins bestimmter Sakramente zu erlangen. Das ist ­ trotz aller beiherspielenden Abmilderungstendenzen ­ der harte Kern der N.schen Abschlußthesen. Auf diesen Kern wird sich die künftige ökumenische Diskussion zu konzentrieren haben; denn in ihm liegen alle verbleibenden sakramentstheologischen Kontroversen begründet.