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Ausgabe:

Dezember/1997

Spalte:

1156 f

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Tong, Guomu

Titel/Untertitel:

Dialektik der Freiheit als Negation bei Adorno. Zur Freiheitskonzeption der negativen Dialektik.

Verlag:

Münster: LIT 1995. 219 S. 8° = Philosophie, 23. Kart. DM 48,80. ISBN 3-8258-2560-4.

Rezensent:

Wolfgang Schoberth

In seiner Hamburger philosophischen Dissertation unternimmt Tong eine Rekonstruktion der negativen Dialektik Adornos als Lehre von der Freiheit. T. konzentriert sich dabei auf die Negative Dialektik und die Ästhetische Theorie; dabei wird nicht nur eine deutliche Differenz zur Dialektik der Aufklärung postuliert, in der man eher Horkheimers Gedanken lesen könne (5), sondern auch von den zahlreichen kleineren Arbeiten Adornos abgesehen. Die Entscheidung, fast ausschließlich die großen späten Arbeiten zu berücksichtigen, führt dazu, daß der Vf. Adorno ganz im Horizont eines traditionellen Begriffes von Philosophie wahrnimmt. Trotz seiner Einsicht, daß die Negative Dialektik als Erkenntnistheorie nicht ohne gesellschaftliche Inhaltsbestimmung zu rekonstruieren sei (202), bleibt so die Spezifik des Denkens Adornos blaß.

Das ist um so bedauerlicher, weil T. nicht nur eine zweifellos zentrale Thematik Adornos aufgreift, sondern auch mit dem Vorrang des Objekts in der Erkenntnis einen vielversprechenden Ausgangspunkt nimmt. Kap. 1 will an der Negativen Dialektik die Fragestellung der Freiheit als Negation entwickeln (8-48); wobei die These vom Vorrang des Objekts bei T. als erkenntnistheoretische Grundlage der Dialektik der Freiheit erscheint, die in den folgenden Teilen inhaltlich bestimmt werden soll. Kap. 2 diskutiert Adornos Moralkritik (49-85), wobei gegen Adornos Kantkritik wiederum Kants Rationalitätskonzept angeführt wird: Der Rekurs auf Kants Intention vermag aber Adornos Argumentation nicht zu entkräften, die auf die Kant verborgenen Implikationen und Wirkungen seines Denkens zielt. Dieselbe Figur durchzieht die Diskussion von Adornos Kritik am identifizierenden Denken (Kap. 3, 86-124), wenn T. gegen Adorno postuliert: "Kausalität bedeutet keine Determination im Denken und steht daher der Freiheit nicht gegenüber" (124). Kap. 4 (125-161) kritisiert an Adornos psychoanalytischer Kritik der bewußtseinsphilosophischen Selbstkonstitution des freien Ichs, daß die Negative Dialektik Freiheit nur im Vorbewußten lokalisieren könne (160), wobei allerdings erneut die Dialektik Adornos verkürzt wird: Diese übergeht eben nicht die gesellschaftliche Bedingtheit des Es, sondern insistiert auf eine Konstitution des Ich, das sein Anderes nicht unterwirft, sondern mit ihm versöhnt ist. Die Ästhetische Theorie steht im Zentrum von Kap. 5 (162-200); in der Kunst manifestiert sich zugleich die Negation der Unfreiheit und die gesellschaftliche Utopie.

Das abschließende Kap. 6 (201-210) versucht, die negative Freiheitskonzeption Adornos mit Kants Konzept transzendentaler Freiheit als kommensurabel zu erweisen (210); dies gelingt aber durchweg nur durch eine Halbierung und Relativierung der Negativen Dialektik Adornos. Durch den Versuch der Integration der Negativen Dialektik in die Metaphysik Kants wird aber nicht nur die theologische Brisanz des Denkens Adornos unsichtbar; die Negative Dialektik verliert so auch ihre Brisanz und ihre Konsistenz.