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Ausgabe:

April/1999

Spalte:

448 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Bucher, Rainer

Titel/Untertitel:

Kirchenbildung in der Moderne. Eine Untersuchung der Konstitutionsprinzipien der deutschen katholischen Kirche im 20. Jahrhundert.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1998. 302 S. gr.8 = Praktische Theologie heute, 37. Kart. DM 49,80. ISBN 3-17-015269-6.

Rezensent:

Norbert Mette

Thematisch läßt sich diese Studie, die an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bamberg als Habilitationsschrift angenommen wurde, von der ekklesiopraktischen Grundfrage leiten, wie unter den Bedingungen der (Post-) Moderne Kirchenbildung so möglich ist, daß in der gemeinsamen Praxis etwas von dem erfahrbar wird, was der Glaube den Menschen als Heil für sie zukommen läßt. Um diese Frage einer Lösung zuzuführen, nimmt der Vf. zunächst eine Rekonstruktion der diskursiven und praktischen Konstitutionsprinzipien der katholischen Kirche in Deutschland im 20. Jahrhundert vor. Die - exemplarisch gemeinte - Untersuchung des von Hitlers religiösem Projekt dazu ausgehenden Beitrags, wie ihn Bucher etwa bei namhaften Theologen der damaligen Epoche identifiziert, macht als Negativfolie den Hauptteil der Studie aus. Vorangestellt sind diesem Abschnitt "III. 1933: Inkarnation und Bewegung" gehaltvolle konzeptionelle und methodologische Überlegungen zur Vorgehensweise und zu deren Verortung innerhalb des pastoraltheologischen Diskurses (I) sowie ein prägnanter Abriß katholischer Ekklesiologie seit der Französischen Revolution (II), die zu einer klareren Einordnung des im Hauptteil Dargestellten in seinen theologie- und pastoralgeschichtlichen Kontext verhilft. An diesen schließen sich noch zwei weitere Abschnitte an: Fallstudien zu Einzelproblemen im Kontext der durch das 2. Vatikanische Konzil veränderten Sichtweise - Praxis - von Kirchenbildung (IV) sowie ein programmatischer Ausblick unter dem Titel "Das Volk Gottes werden" (V).

Es ist unmöglich, den gesamten methodologischen und sachlichen Ertrag der Habilitationsschrift in kurzer Form zusammenzufassen und zu würdigen. Insgesamt kann sie als ein originärer Beitrag innerhalb der Pastoraltheologie - auch über den katholischen Raum hinaus - charakterisiert werden, der sich dadurch auszeichnet, daß er durch die Aufarbeitung von noch nicht lange zurückliegenden pastoralen Bemühungen um Kirchenbildun g und den dahinter steckenden theologischen Vorstellungen aufzeigt, wie diese bis in die Gegenwart hinein fortwirken und daß sie sich, wenn sie unbegriffen bleiben, verhängnisvoll auswirken können.

B. gelingt es nachzuweisen, wie stark das nachrevolutionäre - strukturalistisch formuliert - "Dispositiv der Dauer" in der Pastoral der Gegenwart immer noch nachwirkt, wie kurzschlüssig es aber auch sein kann, es abzulösen, indem man sich allzu kritiklos auf verführerische Fremdprophetien einläßt, wie es zu Beginn der Hitler-Diktatur bei den namhaft gemachten, für die Herausforderungen ihrer Zeit durchaus aufgeschlossenen und für die Kirche engagierten Theologen der Fall gewesen ist, oder indem man einfach, wie es zur Zeit beobachtet werden kann, pragmatisch den Weg eines "pastoralen Autonomismus" einschlägt. Entschieden plädiert er demgegenüber für eine Gesamtpastoral, die sich entsprechend des vom letzten Konzil bekräftigten Grundimpulses des christlichen Glaubens leidenschaftlich der Befreiung des Menschen verpflichtet weiß und dem durch die Ermöglichung einer Vielzahl von Kirchenbildungen - die nicht autark nebeneinander stehen, sondern netzwerkartig miteinander verflochten sind - zu dienen bestrebt ist.

B. hat mit dieser Studie ein systematisch fundiertes und über ihren soziohistorischen Kontext aufgeklärtes Grundkonzept pastoraltheologischen Arbeitens entwickelt, das nicht nur in theoretischer Hinsicht für diese theologische Disziplin, sondern auch praktisch für die Pastoral weiterführend ist: Die kritische Rekonstruktion eines herkömmlichen, den zeitgenössischen Bedingungen des Denkens und Handelns nicht mehr entsprechenden Dispositivs der Pastoral macht die Notwendigkeit der Entwicklung eines neuen, sowohl theologisch verantwortbaren als auch praktisch gehaltvollen Dispositivs bewußt und treibt entsprechende immer wieder an der Praxis zu erdende oder auch von ihr inspirierte Reflexionen voran.