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Ausgabe:

Dezember/1997

Spalte:

1149–1151

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Danz, Christian

Titel/Untertitel:

Die philosophische Christologie F. W. J. Schellings.

Verlag:

Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann 1996. 182 S. gr.8° = Schellingiana, 9. Pp. DM 78,­. ISBN 3-7728-1709-2.

Rezensent:

Michael Moxter

Daß das Verhältnis von Bestimmtheit und Vollzug die Chance bietet, eine philosophische Theorie des Absoluten mit der am Ort des individuellen Selbstbewußtseins ansässigen Religion zu vermitteln, haben ­ mit unterschiedlichen Akzentsetzungen ­ Dietrich Korsch und Jörg Dierken deutlich gemacht. Sofern um der Wirklichkeit endlicher Vernunft und Freiheit willen ein zweigipfliges oder doppeltes Absolutes zur Geltung gebracht werden soll, steht eine Revision der Theorie des Absoluten an, die einen grundbegrifflichen Umbau beginnt. Vor diesem Hintergrund unternimmt die Jenaer Dissertation von Christian Danz den Versuch, auch Schellings Philosophie der Offenbarung, die eine philosophische Christologie genannt wird, als "Vermittlung von Vollzugs- und Bestimmtheitsmoment der Religion" (15) zu lesen, um so im aktuellen Diskurs noch einmal den späten Schelling in Opposition zu Hegel zu bringen.

Der Hauptteil der Arbeit besteht in einer Rekonstruktion von Schellings Deutung der Menschwerdung (im kritischen Ge-genüber zur Inkarnationschristologie: Kap. 4), des Versöhnungsbegriffs (im Gegenzug zur zeitgenössischen Kritik am Stellvertretungsgedanken: Kap. 5) und der Auferstehung (Kap. 6). Durch sie soll die Christologie als Darstellung sich selbst realisierender Freiheit (Kap. 7) begreifbar werden. Vorgeschaltet sind Überlegungen zum methodischen Programm von Schellings Spätphilosophie (Kap. 2) und zum Offenbarungsverständnis (Kap. 3).

Obwohl die Arbeit sich auf die Spätphilosophie beschränkt, rekurriert sie auf frühe Schelling-Texte, um die Kontinuität der Interessen und Fragestellungen nachzuweisen. So liest der Vf. die für die ’Philosophie der Offenbarung’ zentrale Differenz von begrifflicher Apriorität und realem Vollzug bzw. Schellings Insistieren auf der ’höheren göttlichen Geschichte’, die nicht auf ein ewiges Geschehen reduziert werden soll, als "Ausführung" (18) einer schon in der 1803 erschienenen ’Methode des akademischen Studiums’ umrissenen Programmatik. Ob die dort vorgetragene Einsicht in die unhintergehbar historische Ausrichtung des Christentums und in die nicht logisch-begriffliche, sondern epische Darstellungsform der historischen Kunst umstandslos mit dem späten Konnex zwischen unvordenklichem Sein und Sukzession in Zusammenhang gebracht und als "Abkehr vom logischen Idealismus" (27; cf. 24-29) interpretiert werden kann, wird zu diskutieren sein. Immerhin gipfeln Schellings frühe Überlegungen in der "Construktion des Š absoluten Organismus in Form des Staates", mit der Schelling das Rationalitätsansinnen eher übersteigert, als daß er es aufgrund einer christologischen Argumentationsfigur abschwächt. Fragen darf auch die Behauptung auf sich ziehen, daß "das christologische Programm des späten Schelling als die Durchführung des sogenannten ältesten Systemprogramms des Deutschen Idealismus zu verstehen" sei (142; Anm 47).

Der Vf. entwirft seine Kontinuitätsthese im Gegenzug zu Hartmut Rosenaus Schellinginterpretation ("Die Differenz im christologischen Denken Schellings", Frankfurt, 1985), die zwischen Früh- und Spätphilosophie den Umschlag von der Selbstermächtigung der Vernunft zu ihrer Ohnmacht ansetzt und in diesem eine Bedingung christologischen Denkens identifiziert. Die "christologische Rationalität", durch die das Denken, wie der Vf. hellsichtig formuliert, "in eine Ungesichertheit" gerät, "die genau darin besteht, daß sich das Denken auf begegnende Wirklichkeit verlassen muß" (29), wird vom Vf. so früh datiert, daß im Grunde das Novum des Spätwerkes bestritten und also erklärungsbedürftig wird, warum Schelling Hegel als den Fortsetzer seines eigenen Programms lobt (cf. Philosophie der Offenbarung, hrsg. v. M. Frank, 121 f.) und sich zugleich entschieden gegen ihn wendet.

Die eigentliche Kontinuität besteht dem Vf. zufolge jedoch in Schellings Denken der Freiheit, die als Bestimmung zur Selbstbestimmung das Wesen des Menschen ausmacht und nur im Vollzug bestehen kann. (Weil sie ihr Sein im Vollzug hat, handele es sich um keine Hypostasierung und im Denken Schellings nicht um metaphysische Spekulation: 136). Die späte Christologie ist der Ort der zur Darstellung gebrachten Freiheit, durch die die Aporie des Selbstbewußtseins expliziert und überwunden und "exemplarisch [?] ein vermitteltes Selbstbewußtsein" dargetan sei (44). Die Aporie des faktischen Selbstbewußtseins resultiert aus der mit seiner Struktur gesetzten "Differenz von Vollzugsmoment und Bestimmtheit" (38), durch die es sich nicht als es selbst erfassen kann: "Die Selbstkonstitution des Selbstbewußtseins ist der Vollzug der Freiheit und als solche die Etablierung der Differenz von wesentlichem und wirklichem Bewußtsein" (42 f.). In dieser Differenz findet sich Selbstbewußtsein faktisch immer schon vor, so daß es als Gottesbewußtsein und d. h. in seinem wahren Sein auch in Nichtidentität steht, was "sich am Ort des Absoluten als die Differenz von wesentlichem und wirklichem Gott" darstellt (45).

Unter dieser Voraussetzung kann Schelling die theologischen Begriffe des Gesetzes oder des Zornes Gottes mit Bezug auf eine selbstbewußtseinstheoretische Struktur interpretieren (46 ff.) und kann er den Aufbau der Christologie an den Aporien des Selbstbewußtseins orientieren (55), was zugleich die Explikation der Christologie in Gestalt einer trinitarischen Geschichte erfordert. "Gerade hierin liegt die Radikalität und Ungeheuerlichkeit von Schellings Ansatz. Denn ist die Christologie ein integrales Moment der Trinität" und ist sie auf ein kontingentes Faktum bezogen, "so konstituiert sich die Trinität in ihrer Vollgestalt gerade durch die Kontingenz dieses Geschehens" (66 f.). Für die Christologie selbst aber gilt, daß die Aporien der Zweinaturenlehre dadurch sollen vermieden werden können, daß sich das theologische Denken strikt am Vollzugscharakter dieses Geschehens orientiert (74). Doch rekonstruiert der Vf. nicht alle christologisch relevanten Passagen der ’Philosophie der Offenbarung’ mit gleichem Gewicht: Präexistenz, descensus ad inferos und Erhöhung werden nach meinem Lektüreeindruck an den Rand gerückt und sind auch über das Register nicht auffindbar. Über die Gründe dieser Entscheidung und ihre Problemlagen hätte man gerne etwas erfahren.

Zu demjenigen Selbstvollzug, in dem sich Jesus Christus selbst zu seiner Bestimmtheit bestimmt (die Tradition sprach vom Gehorsam des Sohnes), gehöre auch die Produktion der Vorstellungen hinzu, die das Neue Testament von ihm hat (79), so daß zwischen Verkündiger und Verkündigtem trinitarisch vermittelt werden kann. Wie erinnerlich hatte Hegel auch um des Problems der sogenannten Gemeindebildungen willen die Pneumatologie als Subjektivität, als Rückgang in den Grund, entfaltet und dabei die Gemeinde als konkrete Gestalt des Geistes zur Geltung gebracht. Deren Einsicht in das Recht der eigenen Produktivität markiert bereits den Übergang von der Vorstellung in den Begriff. Schelling dagegen verankert das Problem in der Christologie: als Fortsetzung der Materialisierung der zweiten Potenz bzw. der Menschwerdung. Entsprechend wird die Auferstehung als Verhältnis von Vater und Sohn expliziert, wobei zwischen Tod und Auferstehung (anders als es bei Hegel der Fall sei) kein logisches Kontinuum, sondern ein "Kontinuum der Freiheit" (128) angesetzt wird. Es mag an der thematischen Konzentration auf die Christologie liegen, daß (übrigens auch bei Schelling) die Pneumatologie nur am Rande in den Blick kommt (cf. aber 78 f.; 125; 148): als Abwehr von Fixierung, gewissermaßen als Medium der prophetischen Kritik an der Verendlichung des Unbedingten: "Christus geht, damit der Geist kommt. Hierin liegt eben die Unverfügbarkeit des Christus" (144).

An der Stellung der Pneumatologie, genauer am Verhältnis von Pneumatologie und Christologie, wird sich die Alternative zwischen spätem Schelling und Hegel entscheiden müssen, die der Vf. als Konzept einer philosophischen Religion in "bleibende[r] und nicht aufzuhebende[r] Komplementarität von Religion und Philosophie" (154; cf. 145) im Gegenüber zur Aufhebung der Vorstellung in den Begriff definiert ­ eine Gegenüberstellung, bei der Hegelianer klagen werden, einseitig charakterisiert worden zu sein (36 spricht Danz von Assimilierung an den Begriff; cf. auch 122. Anm 72; 149).

Wer sich von der Absicht leiten läßt, Selbstbewußtseinstheorie und Christologie aufeinander zu beziehen, wird im Schellingbuch von Christian Danz einen maßgeblichen Rekonstruktionsvorschlag finden. Doch es darf auch all denen empfohlen werden, die schon immer etwas über Tillich wissen wollten, aber Schelling (noch) nicht zu lesen wagten.