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Ausgabe:

September/2007

Spalte:

965–967

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Herold, Gerhart, u. Carsten Nicolaisen [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Hans Meiser (1881–1956). Ein lutherischer Bischof im Wandel der politischen Systeme.

Verlag:

München: Claudius 2006. 253 S. m. Abb. 8°. Kart. EUR 9,80. ISBN 3-583-33113-3.

Rezensent:

Klaus Fitschen

Das Gedenken, die Erinnerung an Hans Meiser wurde im Jahre 2006 überlagert von scharfer Kritik an dem ehemals hochverehrten bayerischen Landesbischof. Dabei spielten längst bekannte und auch in dem vorliegenden Buch angesprochene Aspekte eine Rolle: Meiser war antisemitisch eingestellt, er war 1933 als staatstreuer Kandidat Bischof geworden und er war kein Mann des Widerstandes.
Der I. Abschnitt des Buches ist Meiser selbst gewidmet (Hans Meiser – Leben für die Kirche). Die Beiträge in diesem Abschnitt beginnen mit biographischen Überblicken zu den Jahren 1881–1933 (Nora An­drea Schulze) und 1933–1945 (Carsten Nicolaisen). Meiser, der Mann aus kleinen Verhältnissen, positionierte sich auf dem konservativ und konfessionell geprägten Flügel seiner Kirche, begann seine Karriere in der Inneren Mission und empfahl sich am Ende des Ersten Weltkriegs für Höheres. So wurde er 1922 Leiter des Nürnberger Predigerseminars, 1928 Oberkirchenrat und 1933 Bischof. Meiser teilte die für große Teile des offiziellen Protestantismus typische Ablehnung der Weimarer Republik wie auch dessen Hoffnungen auf den Nationalsozialismus. Gerade wegen der von ihm vertretenen Zwei-Reiche-Lehre war er staatsfromm. Das ist die eine Seite, die andere ist sein von der Landessynode, den Pfarrern und dem Kirchenvolk getragener Mut, sich der Gleichschaltungspolitik entgegenzustellen und seine Landeskirche »intakt« zu halten.
Die Überblicke werden vertieft durch Beiträge zu Meisers Stellung zur »Judenfrage« (Siegfried Hermle), zu Wilhelm von Pechmann und Karl Steinbauer (Wolfgang Sommer), zur Theologischen Fakultät in Erlangen (Gerhard Müller), zu den lutherischen Eini­gungsbemühungen (Wolf-Dieter Hauschild), zu Meiser als EKD-Ratsmitglied (Karl-Heinz Fix), zu Kirche, Politik und Gesellschaft in Bayern 1945–1955 (Björn Mensing), zu Meiser und Kardinal Faulhaber (Peter Pfister) und zu Meiser in der archivalischen Überlieferung (Andreas Schwarz): In der »Judenfrage« war Meisers Blick typischerweise auf die Kirche verengt: Er unterstützte die Hilfe für die Judenchristen und schützte judenchristliche Pfarrer, blieb der Verfolgung der Juden gegenüber aber taub. – Dass heute ein großer Schatten auf Meiser fällt, liegt auch daran, dass durch den Laien und führenden Kirchenmann Pechmann und den Pfarrer Steinbauer Handlungsalternativen erkennbar werden. Pechmann leitete aus der Zwei-Reiche-Lehre im Gegensatz zu Meiser eine Differenz zum Staat ab, kritisierte Meisers Haltung und forderte eine deutliche Konfrontation und ein kirchliches Einschreiten gegen die Judenverfolgung. Steinbauer, 1933 noch Vikar, trat in der Frage des Verhältnisses zum Staat in scharfe Opposition zu Meiser und berief sich auf Christus und das Bekenntnis als alleinigen Maßstab .– Althaus’ und Elerts Rassismus gegenüber blieb Meiser immerhin reserviert, andererseits erhielt er für seine Pläne einer Einung des Luthertums aus Erlangen große Unterstützung. Nach dem Krieg allerdings musste sich Meiser auch aus der Fakultät kommende Kritik an seiner Kirchenpolitik gefallen lassen. – Meiser versuchte schon 1933, eine Einigung des Luthertums in Deutschland zu erzielen, kam damit aber nicht zum Durchbruch. Dennoch blieb er auf der Suche nach einer konfessionell geprägten Alternative zur DEK; das Ergebnis waren der Lutherrat und schließlich die VELKD. – Als Wahrer des lutherischen Bekenntnisses trat Meiser auch im Rat der EKD auf, der er einen gesamtkirchlichen Vertretungsanspruch bestritt. Auch die alten Differenzen mit Niemöller fanden hier eine Bühne. – In der Entnazifizierung in Kirche und Gesellschaft spielte Meiser in diesen Jahren keine rühmliche Rolle; auch dies ist schon lange bekannt. Durchaus anders verhielt sich dies in der Fürsorge für die nach Bayern strömenden Flüchtlinge. Auch an der Formierung der politischen Parteien nahm Meiser Anteil. – Ein besonderer Aspekt sind die Beziehungen zwischen Meiser und Kardinal Faulhaber, der Meiser in seiner Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus in vielem voraus war. Erst Krieg, Wiederaufbau und Protest gegen die Methodik der Entnazifizierung führten beide Bischöfe zueinander.
Der II. Abschnitt des Buches beinhaltet Aspekte des Verhältnisses von Staat, Kirche und Gesellschaft. Diese betreffen das Verständnis des Bischofsamtes (Gerhart Herold), das Wirken eines christlichen Politikers (Günther Beckstein) und das eines Pfarrers im Dienst des Staates (Hans Georg Lößl). – Im III. Abschnitt Weg und Ziel der Erinnerung formuliert Harry Oelke Anmerkungen zur kirchlichen Erin­nerungskultur in Deutschland nach 1945, wobei die Meiser-Erinnerung als »sich phasenweise entwickelndes kulturelles Gedächtnis im Raum der evangelischen Kirche« umrissen wird (242 f.).