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Ausgabe:

September/2007

Spalte:

961–963

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Göbel, Manfred

Titel/Untertitel:

Katholische Jugendverbände und Freiwil­liger Arbeitsdienst 1931–1933.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zü­rich: Schöningh 2005. 346 S. gr.8° = Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. Reihe B: Forschungen, 103. Lw. EUR 48,00. ISBN 3-506-71351-5.

Rezensent:

Sebastian Kranich

Der 1931 in Deutschland eingeführte freiwillige Arbeitsdienst (FAD) galt bisher als gut erforscht. Nun sind zwei Spezialstudien erschienen, die neue Differenzierungen in das Bild des FAD eintragen: Christian Illian: Der Evangelische Arbeitsdienst. Krisenprojekt zwi­schen Weimarer Demokratie und NS-Diktatur. Ein Beitrag zur Geschichte des Sozialen Protestantismus. Gütersloh 2005 (Religiöse Kulturen der Moderne, Bd. 12) und die Arbeit von Manfred Göbel, die dessen katholisches Pendant in den Blick nimmt.
G.s Intention ist es, die eigenständige Motivation der katholischen Jugendverbände für ihre Mitarbeit im FAD herauszustellen, die in der katholischen Soziallehre wurzelte. Auch in den organisationsgeschichtlichen Passagen der Studie über die konkrete Arbeit der katholischen Träger kommt wiederholt der Rückbezug auf Glaubensüberzeugungen in den Blick. Damit kann G. durchweg deren Differenzen zu den Zielen herausarbeiten, die die politische Rechte mit dem Arbeitsdienst anstrebte. Auf katholischer Seite verband man mit dem Arbeitsdienst keine übertriebenen wirtschaftlichen Erwartungen, sondern sah in ihm eine Form der Arbeitslosenhilfe. Man wollte Ordnung und Disziplin, aber keine Milita­risierung. Vor allem setzte man auf innere Überzeugung und freiwilliges Engagement und wehrte sich lange gegen eine Dienstpflicht. Sofern mit dem Arbeitsdienst der pädagogische Gedanke einer Erneuerung des Volkslebens durch gemeinsame Arbeit und gemeinsames Leben verbunden war, verstanden die katholischen Jugendverbände die Erneuerung als Verchristlichung der Gesellschaft, die von konfessionell einheitlichen Jugendgruppen im Arbeitsdienst ausgehen sollte. Die schrittweise Aufgabe dieser Positionen im Zuge der nationalsozialistischen Gleichschaltung interpretiert G. vor dieser Folie als Anpassungsleistung, die erbracht wurde, um überhaupt noch Einfluss auf die Entwicklung des Ar­beitsdienstes zu behalten.
Insgesamt ist die Studie aus der Perspektive, dem Erfahrungsraum und Erwartungshorizont der am FAD beteiligten katholischen Jugendverbände geschrieben. Die nationalsozialistische Machtergreifung fasst G. als scharfen Bruch, durch den die von den Jugendverbänden antizipierte Zukunft ausblieb. Mögliche personelle und ideologische Kontinuitäten beim Übergang in den nationalsozialistischen Reichsarbeitsdienst (RAD) deutet er in einer knappen Bilanz dagegen nur an.
Die sehr solide Studie ist aus einer schwierigen Quellenlage heraus entstanden, da verschiedene zentrale Bestände zum FAD nicht mehr existieren. Durchgehend wertet G. die Periodika der katho­lischen Jugendverbände aus. Über gängige Meinungen, offizielle Positionen und Verhandlungen mit Reichsstellen erfährt man viel, über Interna und vor allem über den Alltag der Teilnehmer im FAD eher wenig. Eine Stärke der Arbeit liegt in der kontinuierlichen Beachtung der Beteiligung katholischer Frauen- und Mädchenverbände am FAD.
Die Arbeit ist in drei Hauptkapitel unterteilt. Auf gut 120 Seiten geht G. den Motiven der Verbände für ihre spätere Beteiligung am FAD anhand der Debatten um den Arbeitsdienstgedanken in der Weimarer Republik nach. Als Grundmotiv stellt er dabei die Hilfe für Arbeitslose heraus, die von ihm nach ihrer praktischen Seite hin sowie nach der zu Grunde liegenden Vorstellung von Arbeit und Beruf sowie weitergehenden gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Implikationen untersucht wird. Dem evangelischen Theologen fällt dabei auf, dass die popularisierte katholische Arbeits- und Berufsethik in dieser Zeit mit durchschnittlichen lutherischen Vorstellungen fast in eins zu fallen scheint. Allgemeinchristlich ist das ›Gesetz der Bruderliebe‹, mit dem der Katholische Jungmännerverband Deutschlands als größter und wichtigster katholischer Jugendverband auf diesem Feld seinen Einsatz für Arbeitslose be­gründete. Deutlich katholisches Profil haben dagegen die Ziele einer kooperativen Wirtschaftsweise und einer berufsständisch gegliederten Gesellschaft. In der praktischen Hilfe sticht die Orientierung an Familie und auf das eigene Milieu hin hervor. Besonderen Wert legt G. auf den Nachweis, dass sich das Ziel einer Verchristlichung der Welt, das im Leitgedanken der ›Reichsidee‹ seinen Ausdruck fand, problemlos mit der demokratischen Staatsform vereinbaren ließ.
Das zweite Hauptkapitel ist chronologisch aufgebaut und hat auf 110 Seiten die Durchführung des FAD zum Gegenstand. Es umfasst den Zeitraum von der Einführung im Juni 1931 über die Ausweitung im Juli 1932 bis an die Schwelle des Jahres 1933. G. schildert die Einführung des Dienstes, der zu diesem Zeitpunkt als »besondere Form produktiver Erwerbslosenfürsorge« erschien, zugleich aber Gruppen wie dem Stahlhelm ein »Experimentierfeld« bot, »deren eigentliches Ziel die Arbeitsdienstpflicht war« (170). Neben dem meist positiven Echo der katholischen Jugendverbände gab es in ihnen von Anbeginn auch kritische Stimmen, die eine Entwicklung in genau diese Richtung befürchteten. Weiter beschreibt G. die Gründung und konzeptionelle Arbeit des »Katholischen Reichswerks für freiwilligen Arbeitsdienst«, das die ka­tholische Position zur Gestaltung des Arbeitsdienstes in der Öffentlichkeit vertrat, und akzentuiert dabei das konfessionelle Dienstverständnis. Zudem stellt er die Debatte um offene Ge­staltungsweisen des FAD oder geschlossene Lager sowie die katholische Abwehr staatlicher Führerschulungen dar. Schließlich analysiert G. begleitende Formen wie ein Werkhalbjahr für Abiturienten oder die Körperertüchtigung durch Geländesport in den Lagern, die deutlich paramilitärisch ausgerichtet war. Allzu knapp fällt mit gerade 12 Seiten das Kapitel zu »Anzahl und Durchführung katholischer FAD-Massnahmen« (221–233) aus. Das Raster eines Tagesplans des Lagers ›Staumühle‹ lässt das straffe Programm ahnen: »05.45 Uhr: Wecken; 06.15 Uhr: Gottesdienst, danach Leibesübungen; 07.00: Frühstück, danach Herrichten der Betten; 08.00 Uhr: Einteilung zur Arbeit; 12.00 Uhr: Mittagessen; 13.00 Uhr: Antreten zur Arbeit; 17.00 Uhr: Rückkehr ins Lager, anschließend Kaffee; 17.30 Uhr: Instandsetzung von Arbeitsgerät und Arbeitskleidung; 18.00 Uhr: Freizeit; 19.00 Uhr: Abendessen; 20.00 Uhr: Abendbeschäftigung (Unterricht, Vorträge usw.); 21.00 Uhr: Abendandacht, anschließend Bettruhe« (231–232).
Im dritten Hauptkapitel mit knapp 50 Seiten führt G. die ver­geblichen Versuche von katholischer Seite vor Augen, sich durch Kompromisse in der Gestaltung der Lager bis hin zur Akzeptanz der Dienstpflicht mit den neuen Machthabern ins Benehmen zu setzen. Zuletzt blieb nur noch das Bemühen, zu den jugendlichen und der nationalsozialistischen Propaganda ausgesetzten Dienstverpflichteten seelsorgerlich als »Wandernde Kirche« Kontakt zu halten. Immerhin erfasste der katholische Seelsorgedienst 1935 fast »die Hälfte der Arbeitslager im männlichen und etwa ein Viertel der Arbeitslager im weiblichen Arbeitsdienst« (309).
Wenn heute bisweilen unter pädagogischen, wirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Perspektiven neue Formen von Arbeitsdienst angeregt werden, wird der Leser von G.s Buch eher skeptisch sein. Ein Allheilmittel ist Arbeitsdienst und erst recht die Dienstpflicht nicht. Wenn in Deutschland jedoch die Wehrpflicht und damit der Zivildienst fallen sollten, könnten freiwillige Diens­te für Jugendliche eine segensreiche Wirkung entfalten.