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Ausgabe:

September/2007

Spalte:

960 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Coupland, Philip M.

Titel/Untertitel:

Britannia, Europa and Christendom. British Christians and European Integration.

Verlag:

Basingstoke: Palgrave Macmillan 2006. IX, 284 S. 8°. Geb. £ 55,00. ISBN 978-1-4039-3912-8.

Rezensent:

Martin Greschat

Ähnlich wie in Deutschland bewegt das Thema Europa auch in Großbritannien keineswegs eine breitere politische oder kirchliche Öffentlichkeit. Das war hier wie dort einmal anders. In England spielten Christen bei den Überlegungen und Aktivitäten verschiedener Gruppen, die sich für sinnvollere Friedensziele als die in Versailles realisierten einsetzten, vor und zu Beginn des Zweiten Weltkriegs eine gewichtige Rolle. Daneben engagierte man sich für die Schaffung eines europäischen Föderalismus, um die Macht der Nationalstaaten und somit den Nationalismus einzugrenzen. Diese Phase endete 1940 mit der Niederlage Frankreichs. In den folgenden Jahren verlagerte sich der Schwerpunkt des Interesses Großbritanniens zunehmend auf die USA. Dennoch gewann der Europagedanke in der unmittelbaren Nachkriegszeit politisch und kirchlich erneut an Bedeutung. Auf diesem Zeitraum, also den Jahren von 1939/40 bis 1948/49, liegt der Schwerpunkt der Studie (Kapitel 1–5). Dabei verbindet C. überzeugend kirchlich-theologische und poli­tische Gesichtspunkte und legt gleichzeitig den Einfluss heraus­ragender Persönlichkeiten dar – wie z. B. von William Paton, van Dusen, Kenneth Grubb oder Noël Salter.
Auf die differenzierte Entfaltung der britischen Überlegungen und Initiativen für die Realisierung besserer Friedensziele mitsamt der Vernetzung dieser Akteure im gesellschaftlichen, kirchlichen und politischen Establishment (14–39) folgt im besonders instruktiven zweiten Kapitel die Darstellung der intensiven kirchlichen Unterstützung der politisch-militärischen Notwendigkeit Großbritanniens, bei den USA Hilfe gegenüber der deutschen Übermacht zu mobilisieren (40–70). Die Briten sahen sich hier als Vorkämpfer des Christentums in Europa und traten nachdrücklich für eine von den beiden angelsächsischen Mächten gestaltete moralisch-poli­tische Weltordnung ein. Dass dabei Europa zunehmend aus dem Blick geriet, beklagten in Großbritannien Einzelne – wie z. B. George K. A. Bell –, auf dem Kontinent dagegen viele, darunter Visser’t Hooft und nicht zuletzt die Vertreter des deutschen Widerstands gegen den Nationalsozialismus (71–87). Nach 1945 fand die Euro­pabewegung auch in Großbritannien vorübergehend ein po­sitives Echo (88–110). Aber konkrete Aussagen oder Aktivitäten vermieden die kirchlichen Repräsentanten ebenso wie die Politiker. Man sprach lieber von der Bedeutung der spirituellen Einheit und Einigkeit. Dieser Trend verstärkte sich seit 1948 (111–138). Warum sollte man sich Europa zuwenden? Im Mittelpunkt des Interesses stand wei­terhin das weltweite Empire, danach dann das Commonwealth.
Die beiden letzten Kapitel des Buches wirken fast wie ein An­hang. Die politische und ideologische Teilung Europas kommt primär unter dem Gesichtspunkt des britischen kirchlichen Antikommunismus in den Blick (139–169). Aktivitäten entfalteten die Vertreter der Kirchen erst wieder 1974/75 bei der Unterstützung des Referendums für den Beitritt Großbritanniens zum Gemeinsamen Markt (170–199). Im Schlussabschnitt (200–209) stellt C. nüchtern fest, dass die Christen über keine eigenen Argumente für die Europäische Integration verfügen und dass sie als die kleine, schwache Minderheit, die sie geworden sind, kaum noch eine Möglichkeit besitzen, Europa in ihrem Sinn und Geist zu prägen. Diesem Urteil wird man aufs Ganze gesehen zustimmen müssen. Andere Aussagen bedürften dagegen der Überprüfung. War der Einfluss von Myron Taylor (119) oder der »Moralischen Aufrüs­tung« (125–128) tatsächlich so beträchtlich, wie er hier in An­schlag gebracht wird? Als äußerst fragwürdig erscheint schließlich die Behauptung, jeder Antikommunismus sei ethisch fragwürdig (164), und vollends die These, dass der Westen besser Mittel- und Osteuropa der Sowjetunion überlassen hätte als den Kalten Krieg zu führen (169).
Äußert sich darin die traditionelle insulare Distanz zum Kontinent und zu Europa? Sie kommt jedenfalls auch darin zum Ausdruck, dass C. lediglich die englischsprachige Literatur zur Kenntnis genommen hat. Anders ausgedrückt: »Europa« ist hier weit­gehend eine Chiffre. Was auf dem Kontinent zu diesem Thema ge­dacht und realisiert wurde, kommt nicht in den Blick. Insofern ist C. ein sprechendes Beispiel für die politische und kirchliche Realität, die er beklagt. Das ist die Grenze dieser im Übrigen anregenden und informativen Untersuchung.