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Ausgabe:

Dezember/1997

Spalte:

1131–1133

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Lilie, Ralph-Johannes

Titel/Untertitel:

Byzanz unter Eirene und Konstantin VI. (780–802). Mit einem Kapitel über Leon IV. (775–780) von I. Rochow.

Verlag:

Frankfurt/M.-Berlin-Bern-New York-Paris-Wien: Lang 1996. XXVI, 435 S. 8° = Berliner Byzantinistische Studien, 2. Kart. DM 128,­. ISBN 3-631-30582-6.

Rezensent:

Klaus-Peter Todt

Der vorliegende Band beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Person und der Regierungszeit einer der umstrittensten Figuren der byzantinischen Geschichte, der Kaiserin Eirene. Wie Lilie in der Einleitung zu Recht bemerkt, wird ihr Bild in der Nachwelt positiv von der Wiederherstellung der Bilderverehrung in der Kirche und negativ vom Sturz und der Blendung ihres eigenen Sohnes Konstantin VI. geprägt (XXIII/XIV). Die von L. behandelte Thematik ist von allgemeinem Interesse, da die zuerst genannte Maßnahme Eirenes u. a. auch der Wiederaufnahme der unter Leon III. (717-741) und Konstantin V. (741-775) unterbrochenen Kirchengemeinschaft mit dem Papsttum und der abendländischen Kirche dienen sollte. Darin war die Kaiserin jedoch nur partiell erfolgreich, weil zwar Papst Hadrian I. (772-795) die Beschlüsse des siebten ökumenischen Konzils von Nikaia (787) rezipierte, die fränkische Kirche sie aber auf der Frankfurter Synode von 794 verwarf. Dazu kommt, daß gerade während Eirenes Alleinherrschaft (797-802) durch die Krönung Karl des Großen das Zwei-Kaiser-Problem entstand, das im gesamten weiteren Mittelalter die Beziehungen zwischen Byzanz und dem Abendland maßgeblich mitbestimmt hat, weil beide Herrscher jeweils exklusiv für sich beanspruchten, der einzige legitime römische Kaiser zu sein.

Im ersten Kapitel des Buches, das der kurzen Regierungszeit von Eirenes Gemahl Leon IV. (775-780) gewidmet ist (1-33), schließt Ilse Rochow die zeitliche Lücke zwischen ihrer Monographie über Konstantin V. (741-775)(1) und L.s Darstellung der Regierungszeit Eirenes und Konstantins VI. (780-802).

In diesem Kapitel geht Rochow nicht nur kurz auf das wenige ein, was sich aus den Quellen über die Ehe zwischen Leon V. und Eirene ermitteln läßt (2-3 und 4), sondern unterzieht neben der Innen- und Außenpolitik auch die Kirchenpolitik dieses Kaisers einer ausgiebigen Betrachtung (13-16), wobei sie zu dem Ergebnis kommt, daß Leon IV. zwar am Ikonoklasmus festhielt, daß sich aber aus seiner Regierungszeit kaum Verfolgungsmaßnahmen belegen lassen, die eindeutig mit der Ablehnung der Bilderverehrung zusammenhängen.

Was Eirenes Herkunft angeht, so kann L. es als wahrscheinlich erweisen, daß sie entweder selbst der mit der syrischen Dynastie verbundenen Familie Serantapechos angehörte oder doch mit Angehörigen dieser Familie, die hohe Titel der Hofrangordnung trugen, näher verwandt war (36-40). Eirenes ungewöhnlich rasche Krönung nach ihrer Ankunft in Konstantinopel im November 769 ordnet L. in den Kontext einer ganzen Reihe von zeremoniellen Promotionen anderer Mitglieder des Kaiserhauses ein, die offenbar der Regelung von Konstantins V. Nachfolge dienen sollten (41-46).

Bereits im folgenden Kapitel behandelt L. dann zusammenfassend die Kirchenpolitik Eirenes mit den Schwerpunkten Wiederherstellung der Bilderverehrung und Konzil von Nikaia einerseits (48-70) und Moicheianischen Schisma andererseits (71-78). L. unterzieht hier zwar die Berichte des Theophanes über den Rücktritt des Patriarchen Paulos IV. (780-784) und die Wahl seines Nachfolgers Tarasios (784-806) einer eingehenden Kritik (51-60), aber seine Behandlung des siebten ökumenischen Konzils von Nikaia (61-70) wird dieser Thematik inhaltlich und bibliographisch nicht gerecht. Die theologische und kanonistische Arbeit des Konzils wird von L. mit der Bemerkung ausgeblendet, es habe sich dabei um "eher innerkirchliche Angelegenheiten" gehandelt, die "kaum Gegenstand des kaiserlichen Interesses gewesen sein werden" (65). Die dazu gehörende Anmerkung verweist zwar auf eine Geschichte dieses Konzils von Gervais Dumeige und einen französischen Sammelband von 1987(2), enthält aber weder einen Hinweis auf das umfangreiche Heft des Annuarium Historiae Conciliorum, das mit immerhin fünfundzwanzig Beiträgen der Geschichte dieses Konzils gewidmet war, noch auf die eingehende Würdigung des Konzils durch Gilbert Dagron im vierten Band einer 1994 auch in deutscher Übersetzung erschienenen Geschichte des Christentums(3). Es trifft auch sicher nicht zu, daß der Inhalt der zweiundzwanzig Kanones, die das Konzil verabschiedete, so belanglos war, daß er ohne intensive Absprache mit der Kaiserin und ihren Beratern diskutiert und formuliert wurde, denn allein schon die Kanones über die Wahl und Amtsführung der Bischöfe oder über die Klöster waren von erheblicher gesellschaftlicher und politischer Relevanz und beeinflußten sehr wohl die kaiserliche Gesetzgebung, wie Spyridon Troianos nachgewiesen hat(4).

L.s Interesse gilt aber hauptsächlich der byzantinischen Innen- und Außenpolitik der Epoche. In den Kapiteln 4 (79-115) und 7 (220-291) analysiert L. die Machtkämpfe zwischen der Kaiserin und ihrem Sohn bzw. zwischen ihnen und anderen Angehörigen der Dynastie und die Auseinandersetzungen innerhalb von Eirenes eigener Anhängerschaft, die vor allem in der Zeit ihrer Alleinherrschaft (797-802) hervortraten. Das umfangreichste Kapitel des Buches beschäftigt sich mit der meist eher defensiven und auf friedliche Beziehungen zu den Nachbarstaaten ausgerichteten Außenpolitik Eirenes und Konstantins VI. (147-219) und behandelt jeweils ausführlich die Auseinandersetzungen zwischen Byzanz und dem Kalifat (147-169), die Vorgänge auf dem Balkan (169-189) und zuletzt unter Einbeziehung der päpstlichen Politik auch die Beziehungen zwischen Byzanz und Karl dem Großen (190-219).

Eine detaillierte Zusammenfassung der Ergebnisse der ersten sieben Kapitel (292-313) leitet über zum Schlußteil des Werkes, der der Analyse der griechischen Hauptquellen, besonders der Chronographie des Theophanes, gewidmet ist (315-422). Auf der Basis einer intensiven und sorgfältigen Interpretation der oft lakonischen und widersprüchlichen Angaben in den Quellen ist L. wohl zu Recht zu der Ansicht gelangt, daß Eirene eher eine schwache Herrscherpersönlichkeit war (vor allem 297 ff.), die besonders beim Sturz ihres Sohnes (797) und während ihrer Alleinherrschaft nur als "Galionsfigur" (272 u. 302) erscheint, hinter der mächtige Gefolgsleute, vor allem die Eunuchen Staurakios und Aetios, die Fäden zogen.

Fussnoten:

(1) I. Rochow, Kaiser Konstantin V. (741-775). Materialien zu seinem Leben und Nachleben. Mit einem prosopographischen Anhang von Cl. Ludwig, I. Rochow und R.-J. Lilie (Berliner Byzantinistische Studien, 1) Frankfurt/M. u. a. O. 1994.
(2) G. Dumeige, Nizäa II. (Geschichte der ökumenischen Konzilien, 4). Mainz 1985; Douze siècles d’images religieuses. Actes du colloque international Nicée II, hrsg. F. Boespflug u. N. Lossky. Paris 1987.
(3) 1200 Jahre II. Nicaenum, in: Annuarium Historiae Conciliorum 20 (1988) 1-488; G. Dagron, in: G. Dagron, P. Riché u. A. Vauchez, Die Geschichte des Christentums, Bd. IV: Bischöfe, Mönchen und Kaiser (642-1054). Deutsche Ausgabe bearb. und hrsg. von E. Boshof. Freiburg-Basel-Wien 1994, 127-137).
(4) S. dazu die von Lilie ignorierten Arbeiten von Sp. Troianos: Die Kanones des VII. ökumenischen Konzils und die Kaisergesetzgebung. Annuarium Historiae Conciliorum 20 (1988) 289-306; ders., He ebdome oikumenike synodos kai to nomothetikon autes ergon. Athen 1989.