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Ausgabe:

September/2007

Spalte:

941 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Philip, Finny

Titel/Untertitel:

The Origins of Pauline Pneumatology. The Es­chatological Bestowal of the Spirit upon Gentiles in Judaism and in the Early Development of Paul’s Theology.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2005. X, 307 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 194. Kart. EUR 54,00. ISBN 3-16-148598-X.

Rezensent:

Friedrich W. Horn

Finny Philip, gegenwärtig wieder in seiner Heimat als Academic Dean am Filadelfia Bible College in Udaipu/Indien tätig, hat die hier zu besprechende Studie unter der Anleitung von Prof. Dr. James D. G. Dunn an der University of Durham angefertigt und erlangte mit ihr im Jahr 2003 den akademischen Grad des Ph. D. in New Testament. Ich erinnere mich gut an Diskussionen, in denen Ph. mir im Rahmen des SNTS-Kongresses im Jahr 2002 in Durham erstmals seine Thesen vorstellte. In diesem Buch hat Ph. seiner Position zu den Anfängen der paulinischen Pneumatologie nun einen klaren Ausdruck verliehen.
Bereits in der Einführung wird die eigene These der Untersuchung vorangestellt: »Paul’s early Christian thinking on the Holy Spirit is based on the belief that God has bestowed the Spirit upon the Gentiles apart from Torah observance. This conviction in turn is rooted primarily in his own Damascus experience and secondarily in his experience with and as a missionary of the Hellenistic community in Antioch« (27). Der erste Hauptteil der Arbeit, überschrieben mit ›The Conceptual Background for the Eschatological Bes­tow­al of the Spirit‹ (32–120), kommt zu dem ernüchternden Er­gebnis, dass es in der biblischen und nachbiblischen jüdischen Literatur keine eindeutigen Hinweise dafür gibt, dass Heiden einen Anteil an der zukünftigen Gabe des Geistes erhalten sollen (119 f.). In der an sich umfänglichen Bearbeitung der Quellen sind die Qumran-Texte zu knapp behandelt worden (84–87). Der zweite Hauptteil der Arbeit fragt nach ›Paul’s Convictional Background regarding the Outpouring of the Spirit on Gentiles‹ (122–161). Auch hier setzt Ph. mit einem Negativergebnis ein: Die Überzeugung, dass Heidenchristen Empfänger des endzeitlichen Geistes sein sollen, ist weder in der vorchristlichen pharisäischen Zeit des Apostels gewachsen noch durch die Begegnung mit Christen im Zusammenhang mit seiner Verfolgungstätigkeit leitend geworden. Wohl aber räumt Ph. ein, dass die Begegnung mit Stephanus und dessen pneumatischen Aktivitäten für Paulus eine erste Herausforderung dargestellt habe. Der dritte Hauptteil ›Paul and the Holy Spirit‹ (164–227) nimmt nun die Eingangsthese auf und bemüht sich, ihr gegenüber allen exegetischen Aporien und gegen die Widerstände der Forschung Plausibilität zu verleihen.
Ph. sieht das Dilemma seiner These wohl: »What is disturbing for the present research is Paul’s silence on the role of the Holy Spir­it in his autobiographical statements, particularly when he refers to his conversion/call experience« (166). Ph. bezieht sich dann je­doch auf den Textkomplex 2Kor 3,1–4,6, der gelegentlich mit der Damaskusstunde des Apostels in Verbindung gebracht wird, auch wenn diese Zuordnung nicht die einzige Möglichkeit ist und sie vor allem nicht mehrheitlich konsensfähig ist. Die Antithetik dieses Textes, etwa in den Paaren Mose und Christus, Buchstabe und Geist, töten und lebendig machen, sowie die Leitworte alter Bund und Lesen der Tora einerseits bzw. Herrlichkeit des Herrn und Freiheit andererseits, spiegeln nach Ph. die Berufungserfahrung des Apostels als Erfahrung des Geistes wider. Zudem verweist Ph. da­rauf, dass Paulus außerhalb der autobiographischen Verweise auf seine Konversion durchaus die Bekehrung der Heiden mit pneumatologischen Aspekten verbindet. Daher folgert er, »that for Paul the Damascus event includes an experience of the Spirit« (202). Allerdings verbindet Ph. diese individuelle Geisterfahrung in der Berufungsstunde noch nicht mit der These einer allgemeinen Geistausgießung auf die Heidenchristen, auch wenn Paulus rück­blickend seine Berufung stets mit der Beauftragung zur Heidenmission verknüpft. Dieses Bewusstsein der allgemeinen Geistbe­gabung auch der Heidenchristen habe in den hellenistischen Di­as­poragemeinden, vornehmlich wohl in Antiochia seine Ausprägung gefunden. »Paul’s Damascus experience possibly contributed to an openness in his expectation of the Spirit upon the Gentiles« (221).
Ph. legt nun größten Wert auf den Nachweis, dass die Damas­kuserfahrung als Geisterfahrung zugleich der paulinischen Theologie eine feste Struktur gegeben habe und einer Re-Evaluation (192) oder einer Transformation (193) überkommener Überzeugungen gleichkomme. Diese betreffe vor allem die Tora. »His perception changed from one in which the Spirit functioned as bringing revelation from within the Torah, to an understanding that the Spirit brings revelation from outside the Torah« (226). Ph. zeigt Sympathie für den von S. Kim wiederholt unterbreiteten Vorschlag, die vielschichtige spätere Problematisierung der Tora im Kern bereits mit dem Damaskusereignis zu verbinden (171 f.).
Meine Kritik an Ph.s Arbeit betrifft zunächst den unreflektierten, allein aus jüdischen und christlichen Texten gespeisten Umgang mit dem Erfahrungsbegriff. ›Spirit experience‹ mutiert zu einem Sammelbecken für unterschiedliche theologische Wahrnehmungen und Folgerungen. Ich bleibe zudem skeptisch gegenüber der These, die Damaskuserfahrung des Paulus als Geisterfahrung zu interpretieren (so eindeutig 226) und sie zugleich als die entscheidende theologische Weichenstellung für die paulinische Theologie zu interpretieren, wenn dies an den Texten einfach nicht zu belegen ist. Unbefriedigend bleiben in dieser Arbeit für mich schließlich die Antworten auf die gewiss schwierige, aber doch dem Buch zu Grunde liegende Frage (28), weshalb nun im hellenistischen Christentum die Übereignung des endzeitlichen Geistes auch an Heidenchristen geglaubt und behauptet worden ist. Dass im hellenistischen Christentum, möglicherweise bereits im Ste­phanuskreis, wahrscheinlich eher und nachhaltiger in der antioch­enischen Gemeinde, hierfür die entscheidenden Weichenstellungen getroffen worden sind und nicht erst bei Paulus, hat Ph. zu Recht nochmals betont. Doch welche Faktoren waren für dieses Verständnis leitend? Der Verweis auf das Bewusstsein des Heidenchristentums, endzeitlicher Tempel Gottes zu sein (220), erklärt diesen Befund nicht, sondern ist ja wohl nicht mehr oder nicht weniger als eine parallele Aussage zur allgemeinen Geistbegabung auch der Heidenchristen.
Im Blick auf die Themen und Texte der Theologie des Paulus, die zu behandeln sind, scheint mir die Pneumatologie nach wie vor eine zu geringe Beachtung zu finden. Ph.s Arbeit mahnt diesen Befund an (25) und liefert einen Beitrag zur Diskussion, der unbeschadet der vorgetragenen Anfragen durchaus beachtenswert ist.