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Ausgabe:

September/2007

Spalte:

935–938

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Mackay, Ian D.

Titel/Untertitel:

John’s Relationship with Mark. An Analysis of John 6 in the Light of Mark 6–8.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2004. X, 343 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 182. Kart. EUR 54,00. ISBN 3-16-148426-6.

Rezensent:

Michael Labahn

Das Lebensbrotkapitel Joh 6 mit seinen theologischen Aussagen, seiner christologischen Bilderwelt und seiner literarischen Struktur »nährt« auch die Zunft der Exegetinnen und Exegeten als Ausgangspunkt zahlreicher Studien. Die Dissertation von Ian D. Ma­c­kay reiht sich in diese Phalanx ein. Ihr spezieller Fokus liegt beim Verhältnis von Joh 6 zu Mk 6–8. Es wird zu fragen sein, wie es dem Beitrag von M. gelungen ist, sich dem wissenschaftlichen Disput mit den Vorgängern zu stellen und zugleich überzeugende neue Impulse zu setzen.
Mit einem methodisch als »historico-literary« bestimmten Zu­griff und einer befreiungstheologischen Hermeneutik geht M. davon aus, dass »the author of John composed the Gospel’s sixth chapter as a systematic reworking of Mark 6–8 refering to the source document constantly along the way« (5). Dass angesichts der bestehenden sachlichen und verbalen Differenzen eine Neubestimmung des Begriffs der ›Abhängigkeit‹ notwendig wird, er­kennt M. zu Recht. Die Arbeit besteht aus einer forschungsgeschichtlichen Erfassung des Problems, die sich ausdrücklich an der exzellenten Forschungsgeschichte von D. Moody Smith sowie an Ashton orientiert; der wichtigste Impuls findet sich im Hinweis auf die rezeptionsästhetische Forschung (43).
In einem zweiten Schritt werden Vorfragen geklärt, insbesondere das literarkritische Problem der Einheitlichkeit und der Quellen dieses joh Zentralkapitels. M. sieht in der Forschung eine grundlegende Tendenz, »some kind of link« zwischen Joh 6 und Mk 6–8 anzunehmen (70), und findet seinerseits sprachliche und theologische Kohärenz gegeben.
Nach M. hat Mk 6–8 die »capacity to carry a unified literary message that could possibly have influenced the Johannine writer(s)« (55). Markus nehme eine zweckgebundene Auswahl und Zuordnung der Wundertraditionen vor, wobei M.s Typologie und Strukturierung dieser Traditionen, die im Dienst des Nachweises be­wuss­ter Komposition steht (79), neue Fragen aufwirft. Dass hier formal sehr unterschiedliche Texte zusammengenommen werden, belastet M.s These wie seine Überlegungen zur Akoluthie der in Markus erzählten Wunder entscheidend. Ähnliches gilt auch für die subtilen Strukturanalysen, die auf sprachliche wie inhaltliche Parallelen und Oppositionen verweisen, aber trotz interessanter Einzelbeobachtungen wesentlich gründlicher erläutert werden müssten. Zudem erfolgt M.s metaphorisches Verständnis einiger Wundergeschichten vorschnell, so dass das inhaltliche Gefälle sich kaum unter der folgenden Notiz erfassen lässt: » teaching is a higher kind of feeding and prompts the quest for enlightenment (i. e., real­ization of who Jesus is) – this is depicted as crossing over … and recognition« (91).
Auf dieser Basis werden Typen und Reihenfolge der Wunder und Themen bei Markus und Johannes verglichen, mit dem Ergebnis, dass sie im Zentrum der jeweiligen Evangelien stehen.
Im entscheidenden dritten Kapitel findet der Vergleich selbst statt. Kriterien für eine Abhängigkeit werden erhoben: Wörtliche und sachlich-allgemeine Übereinstimmungen, Parallelen in der Rei­henfolge über mehrere Perikopen hinweg, kompositionelle Analogien im Zusammenhang mit joh Eigentümlichkeiten, »incidences of differentiated similarity«, Unterschiede, die einem be­stimmten Schema folgen, sowie mk Strategien, die in joh Zwe­cke gebunden sind und im vierten Evangelium an analogen Stellen zum Markusevangelium begegnen, werden benannt, wobei M. in dieser Reihenfolge eine ansteigende Evidenz findet (109 f.). Mit Hilfe dieser überraschend kurz besprochenen Kriterien erfolgen die vergleichenden Analysen von Textstruktur, Kontext, Form (unter kritischer Aufnahme von P. Borgen, Bread From Heaven) und dem sprachlichen Befund. Die zahlreichen Einzelbeobachtungen bieten neben manchen einleuchtenden Bemerkungen auch häufig Anlass zu kritischen Rückfragen.
Jeder Abschnitt schließt mit Zusammenfassungen. Für Joh 6,1–15 wird festgestellt, dass »John 6:1–15 echoes useful elements of Mark’s two feedings and Last supper, bypassing others« (158) – es läge also eine komplexe Rezeption diverser mk Passagen unter nicht völlig deutlich erhobenem und sprachlich nicht hinreichend ausgewiesenem joh Interesse vor. Im Vergleich von Joh 6,16–21 mit Mk 4,35–5,1; 6,45–52 kommt M. zu einem analogen Ergebnis: Keine von ihm herausgestellte Differenz »lack relevance to John’s literary and/or theological agenda«; dies gelte für die Gesamtstruktur wie für die Erzähldetails. Das MkEv ist, wenn nicht eine direkte Quelle, wenigstens »a parallel resource«, auf das Johannes reagiere (188). Auch zwischen Joh 6,22–25 und Mk 6,53–56 macht M. Parallelen aus, mit der etwas verräterischen Feststellung, »(n)one of the differences clash with John’s interest« (206) – aber kann diese Argumentation Indiz für eine Relation der Texte sein? Mit Hinweis auf die Brotmetapher in Mk 14,22 und die Passa-Hinweise in 14,1.12 kann M. feststellen: »Thus, although those familiar with the Eucharist will al­most certainly start thinking of it from here on, it is clearly not a new and isolated centre of interest; 51c slots naturally into the dis­course as a whole« (237). Joh 6,51c–58 kann zweifelsohne in Joh 6 plausibel verortet werden, auch wenn mir die Nachtragshypothese noch im­mer wahrscheinlicher erscheint, aber dabei muss zunächst einmal intratextuell argumentiert werden. Das bedeutet, dass be­griffliche und sachliche Wiederholungen und Variationen in Joh 6 ebenso wie die neuen Vorstellungen vom ›Zerkauen‹ des Fleisches genau ge­wichtet und analysiert werden müssen. M.s Ergebnis be­steht darin, dass 6,25b–58 »exhibit echoes from« Mk 4,1–34; 7,1–23; 8,11–23 (254). In Joh 6,59–71 wird die überraschende Einführung der »Zwölf« zum Ausgangspunkt der Annahme, der vierte Evangelist habe Mk 8,27 ff. (und wiederum andere mk Stellen) weiterentwi­ckelt.
Daraus ergibt sich folgendes Gesamtbild: Weisen die wörtlichen Übereinstimmungen keine direkte Abhängigkeit aus, so sind es die strukturellen Parallelen, die mk Argumentationsstrategien und Metaphern, die nach M. allerdings in joh Interesse einschneidend umgebaut werden, die in die Richtung der Abhängigkeit weisen. Die Analyse der joh Bearbeitung führt oft zu allgemeinen Deskriptionen, wobei oftmals die Umkehrung mk Strategien für die joh Argumentation als leitend dargestellt wird. Der vierte Evangelist »echoes« mk Elemente und Strukturen, was eine produktive Ab­hängigkeit belegt, »to work on and to expand the communities own independent story« (302), die M. auf den Lieblingsjünger zu­rückführt.
Zusammenfassend ist die Problematisierung wörtlicher Identität zu Gunsten struktureller und sachlicher Parallelen als ein beachtenswertes Argument dieser Arbeit zu würdigen – allerdings findet Reproduktion von Erinnerung nicht jenseits verbaler Identität statt, die damit der Analyse aufgegeben bleibt, aber nach Rezeption mündlicher oder schriftlicher Tradition neu zu gewichten ist. Das englische Verb »to echo« ermöglicht M., weitgehende Rezeptionen des erzählerischen Markusstoffes wie auch der Worte und Reden Jesu aus Mk 6–8, aber auch darüber hinaus (z. B. Mk 4 und 14) zu behaupten. Grundsätzlich ist zu begrüßen, dass so der Rezeptionshorizont erweitert wird, der damit anders etwa als bei der Konzeption der Überschreibung (Thyen: Johannes als Palimpsest der Synoptiker) den Gesichtskreis der Mündlichkeit und der Gedächtnispsychologie aufnehmen könnte, was leider bei M. nicht geschieht. Geht es auch in dieser Konzeption um die Plausibilität der postulierten Echos und damit um Signale, warum jeweils Rezeption vorliegen kann bzw. soll, so erübrigen der generelle Hinweis auf eine Kenntnis der Evangelien als »Gospel for all Christians« (Bauckham) und der recht fragwürdige Hinweis auf die Abhängigkeit von Markus als »common acceptance« (292) nicht die Begründungslast. Aus dieser Voraussetzung ergibt sich die Konstruktion, in der der vierte Evangelist als Vorleser des MkEv in der joh Gemeinde zum Rezipienten des MkEv wird (302).
Dass Mk 6 ein hinsichtlich der spezifischen Relation noch näher zu bestimmender Prätext von Joh 6 ist, hat die Studie von M. noch einmal unterstützt, wobei auf manche Beobachtung dieser Arbeit zurückgegriffen werden kann. Im Detail erreichen jedoch zahlreiche Bestimmungen nicht die von M. gewünschte Plausibilität, sondern sind oft zu generell, was auch an der Streuung möglicher mk Rezeptionstexte liegt. Dass beispielsweise die mk und joh Präsentation der symbolischen Erzählung im »struggle for faith« übereingehen (301), ist selbst in Kombination mit weiteren Indizien wenig signifikant.
Es bleibt zudem zu bedauern, dass das Gespräch mit der Literatur nach dem Abschluss der Arbeit 1998 nicht mehr wirklich ge­führt wird, weil so das Profil der vorliegenden Studie geschärft worden und ihr Beitrag im Dialog mit diesen Studien gewichtiger ausgefallen wäre (z. B. van Belle, Popp, Weder).