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Ausgabe:

September/2007

Spalte:

929–931

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Wagner, Volker

Titel/Untertitel:

Profanität und Sakralisierung im Alten Testament.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2005. IX, 358 S. gr.8° = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 351. Lw. EUR 98,00. ISBN 3-11-018463-X.

Rezensent:

Henning Graf Reventlow

Volker Wagner vertritt eine durchgehende These, die bereits im Titel des Bandes zum Ausdruck kommt: Nach seiner Auffassung war das gesellschaftliche Leben im vorexilischen Israel in zentralen Bereichen profan. Erst nach dem Exil setzte sich eine weitgehende Sakralisierung durch. Er versucht das in drei übersichtlich gegliederten Hauptabschnitten nachzuweisen: ›1. Der Sabbat‹ (12–122); ›2. Die hauswirtschaftliche Verwertung von Tieren‹ (123–181); ›3. Das Rechtsleben‹ (182–320). Daran schließt sich ein die Ergebnisse zusammenfassender Abschnitt ›4. Die Funktion des Kultes in der Gesellschaft des vorexilischen Israel und Juda im Spiegel der behandelten Texte‹ (321–331) an, gefolgt von Literaturverzeichnis (332–352) und Stellenregister (353–358).
Mit dem Sabbat einzusetzen, entspricht der Absicht W.s sicherlich am besten. Denn wenn man den Text Am 8,5 – trotz neuerdings häufiger vorgeschlagener Spätdatierung – dem Propheten selbst zuschreibt oder wenigstens in seiner Zeit ansetzt, findet sich hier ein Beleg, der nur von Arbeitsruhe am Sabbat spricht und keinen ausgesprochen kultischen Bezug aufweist. Außerdem kann W. noch auf 2Kön 4,23 verweisen. Schon dieser Text ist jedoch für sein Anliegen kaum brauchbar, denn der verwunderte Einwand des Mannes einer Frau, die am Werktag einen Gottesmann aufsuchen will, es sei doch weder Neumondstag noch Sabbat, scheint eher auszudrücken, dass dies kein Festtag als Anlass für eine kultische Pilgerfahrt sei. W. weicht dieser Folgerung rationalisierend mit der Bemerkung aus, dass es damals »nicht ungewöhnlich gewesen sein mag, die arbeitsfreien Tage für religiöse Aktivitäten zu nutzen, zu denen die Woche über keine Zeit blieb« (26; Hervorhebung vom Rezensenten). Hier zeigt sich schon eine Grundhaltung, die in zahlreichen Äußerungen das Werk durchzieht: Rational-wirtschaftliche Argumente werden, moderner Zeitströmung entsprechend, auf antike Texte angewandt, für deren angemessenes Verständnis eine ganz andere Einfühlung nötig wäre.
Seine These sucht W. auch dadurch zu stützen, dass an einem arbeitsfreien Tag, dem Sabbat, auch der Tempel einen Ruhetag gehabt hätte. Als Beleg nennt er 2Kön 11,5–8, wonach der Sturz der Königin Atalja an einem Sabbat stattgefunden haben soll. Die geschilderte Festnahme sei nur an einem ruhigen Tag möglich gewesen, als der Tempel nicht von einer Gottesdienst feiernden Menge gefüllt gewesen sei. Die Stelle sei also ein Beleg dafür, dass im 9. Jh. »an den Sabbaten im Tempel von Jerusalem keine oder wenigstens keine besonderen Gottesdienste stattfanden« (30). Aber warum hätte die Königin sonst überhaupt den Tempel betreten? Gänzlich ungeeignet für W.s Intention scheint die Kritik (33) an den Priestern Ez 22,26 zu sein, denn diesen wird dort von dem Propheten gerade vorgeworfen, sie hätten zwischen heilig und profan, rein und unrein nicht unterschieden, wobei auch der Sabbat ge­nannt wird. Wie eingeschränkt W. den Begriff »kultisch« versteht, ergibt sich aus seiner Schlussfolgerung, die angeführten Stellen ließen erkennen, »daß der Sabbat ursprünglich ein gottesdienstfreier Tag war« (47).
Die beiden Prophetenstellen Hos 2,13 und Jes 1,13, aus denen eine vorexilische kultische Feier des Sabbats nachgewiesen zu werden pflegt, spricht W. den Propheten ab. Zwar steht er damit nicht allein, doch ist hier die Beseitigung von Hindernissen, die einer These im Wege stehen, zu deutlich, als dass eine solche redaktionskritische Operation überzeugend wirkt.
In einem weiteren Unterabschnitt (1.2; 55–70) handelt W. von der nachexilischen Nichteinhaltung des Sabbats und (1.3; 70–121) von den vielfältigen Bemühungen, den Sabbat durch kultische Ge­staltung und verschiedene theologische Begründungen zu retten.
Die Beurteilung der dabei herangezogenen Stellen, vorwiegend aus kultisch geprägten Stellen in Priesterschrift und Heiligkeitsgesetz, hängt natürlich wesentlich von Datierungsfragen für diese Dokumente ab, die sich bei der Anwendung rein quellenkritischer und redaktionsgeschichtlicher Methoden eine Spätdatierung gefallen lassen müssen, während eine traditionsgeschichtliche Untersuchung der dort verarbeiteten Überlieferungen zu einem ganz anderen Ergebnis kommen könnte. Dass eine solche fehlt, ist allerdings nicht der persönliche Fehler W.s, sondern dieser nimmt dabei eine gegenwärtig verbreitete exegetische Strömung auf. Für Traditionsliteratur müssten andere Maßstäbe gelten. Eine Grundsatzdiskussion darüber ist allerdings im Rahmen einer Rezension nicht möglich. Die Breite der von W. verarbeiteten Belege und die Vielseitigkeit seier Argumente ist ein deutliches Zeichen dafür, dass hier keine plötzliche Neuerung vorliegt. W. beendet den Abschnitt allerdings mit einem Zirkelschluss: Dass theologische (mythische u. a.) Begründungen für den Sabbat »sich ausschließlich in späten Texten und Bearbeitungsschichten des Alten Testaments finden«, schließe »freilich nicht aus, daß solche und ähnliche Gedanken bereits in vorexilischer … Zeit gedacht worden sein könnten«. Da sie jedoch »keinen greifbaren literarischen Niederschlag gefunden hätten, sei die Wahrscheinlichkeit dafür eher gering« (122). Freilich, wenn man alle betreffenden Textstellen für nachexilisch erklärt!
Der zweite Hauptabschnitt »Die hauswirtschaftliche Verwendung von Tieren« (123–181) verrät schon durch seine Überschrift, dass W. diesen Bereich unter profan-wirtschaftlichen Aspekten behandelt. Das größte Hindernis gegen eine solch einseitige Betrachtung entsteht jedoch sofort in den von W. an den Anfang gestellten (weitgehend parallelen) Abschnitten Lev 11,2b–23 und Dtn 14,3–20, in denen es um reine und unreine Tiere geht. W. vermeidet schon in der Überschrift des Abschnittes: »Die Unterscheidung zwischen Tieren, die gegessen, und denen, die nicht gegessen werden« diesen Begriff. Der Befund, dass es sich um reine und unreine Tiere handelt, wird aus dem Grunde in Frage gestellt, weil das entsprechende Urteil fast durchweg am Ende der Klassifizierung eines Tieres steht. Dass die Formulierung הוא אמט deshalb am Ende zu stehen hat, weil es sich um eine »deklaratorische Formel« handelt, ist W. anscheinend unbekannt. Hier tritt aber auch besonders deutlich die verengte Definition von ›kultisch‹ durch W. zu Tage, der diese auf gottesdienstliche Feiern einschränkt, während die Begriffe rein und unrein genuin kultische Definitionen im Blick haben. Die kultischen Speiseregeln prägen seit alter Zeit den Alltag der Israeliten. Ez 22,26 hätte W. eines Besseren belehren können, wo rein und unrein zusammen mit heilig und profan genannt werden, die zu unterscheiden Pflicht der Priester wäre. Dass die beiden Listen ein hohes Alter haben, erkennt W. an (131). Irrtümlich ist dagegen sein Urteil: »Für die Vermutung, sie könnten Ausdruck irgendwelcher religiöser … Ordnungsprinzipien sein, gibt es keinen Anhalt« (133). Ebenso ist es falsch, darin eine nachträgliche Sakralisierung zu sehen (141). – Etwas mehr Recht kann man W. zubilligen, wenn er in dem Ab­schnitt 2.2 (146–162) feststellt, dass vermutlich nicht alle Schlachtungen von Haus- und Herdentieren Opfercharakter ge­habt ha­ben. Hier fehlen uns bis auf Erzählabschnitte, die auf die Schlachtart nicht eingehen, nötige Informationen.
Der dritte Hauptabschnitt »Das Rechtsleben« (182–320) ist nicht nur der umfangreichste und behandelt zahlreiche Texte, er wirft auch zahlreiche Fragen auf. Hier wendet W. von Anfang an eine gat­tungsgeschichtliche Methode an, indem er vom altorienta­lischen Keilschriftrecht ausgehend Regeln festlegt, nach denen Rechtssätze zu definieren sind: Rechtsfälle oder rechtskonformes Verhalten, sachlich beschreibend formuliert, dazu geeignet, Rechts­streitigkeiten vorzubeugen oder sie zu bereinigen, in der Regel in Kodizes zusammengefasst (182). Von daher werden allerdings so­fort die Regelungen aus Bundesbuch und Dtn 12–26 kritisiert, die »sich den Verdacht gefallen lassen« müssen, auch andere Interessen als allein die Erhaltung oder die Wiederherstellung des Rechtsfriedens zu verfolgen.
Beispiele: Ex 22,25: Rückgabepflicht des gepfändeten Mantels am Abend: »hier werden die Bedürfnisse des Schuldners dem Rechtsanspruch des Gläubigers übergeordnet. Dies mag soziales Gewissen beruhigen, dürfte aber die Wirtschaft beeinträchtigen …« (183; Hervorhebung durch den Rezensenten). Ebenso zum geflüchteten Sklaven (Dtn 23,16–17): Dass dieser seinem Besitzer nicht zurückgegeben werden soll, »verletzt dieses Eigentumsrecht und rüttelt damit an den Grundfesten auch der eisenzeitlichen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung« (184). Diese »weltfremden Regelungen« sind nach W. Auswirkung der »Theologisierung des Rechts«, können kaum noch Recht genannt werden, waren kaum zu verwirklichen, sondern sind als Utopie zu betrachten (185). Doch findet W. noch verstreute Rechtssätze u. a. in Ex 21–25; Dtn 19–25, die rechtskonformes Verhalten und Lösungen von Streitfragen und »Probleme und Vorkommnisse des profanen täglichen Lebens« (187) betreffen.
Im weiteren Verlauf behandelt W. Einzelheiten der Rechtsfindung durch die »israelitische Rechtsgemeinde«, wobei er wieder eigenwillige Ansichten vertritt wie, dass die םינקז keine richtende, sondern nur eine exekutive und notarielle Funktion gehabt hätten (197–198). Auch טפשׁ will er nicht als eigenes Amt betrachten (194–197). Eine Mitwirkung von Eid oder Ordal im Rechtsverfahren wird anerkannt, aber nicht mit eigener Rechtskompetenz, sondern nur als »kultisches Aufklärungs-« bzw. »Beweisverfahren« (219). In Abschnitt 3.3 wird auf ein solches Verfahren in Num 5,11–13 näher eingegangen. Zweifel wird wieder wach, wenn W. in Lev 5,21–26 die bekannte Einleitung mit כי נפשׁ als sekundäre Ergänzung ansieht (232). In Abschnitt 3.5 wird auf das Asyl eingegangen. Es sei anfangs profan gewesen (Asylstädte). Im Tempel wäre es für den Kultbetrieb nur hinderlich gewesen. W. schließt diesen Abschnitt mit 3.7 »Die Profanität des vorexilischen Rechtslebens« ab (318–320). Fraglich bleibt, ob damit nicht die Rolle des kultischen Ordals unterschätzt wird.

Absatz 4 (321–331) fasst die Ergebnisse der Arbeit zusammen. Fazit: »daß die Menschen in Israel und Juda in vorexilischer Zeit ihr tägliches Leben und Wirken … weitgehend ohne kultische Rahmungen gestaltet und praktiziert haben« (321). W. zeichnet das Bild »eines weitgehend an objektiven Erfordernissen und praktischen Überlegungen ausgerichteten Denkens und Handelns im Alltag« (322). Nach den (wenn auch verstreuten) vorgelegten Zeugnissen »war der Alltag der Menschen … weitgehend profan« (ebd.). Aber auch ein selbständig danebenstehender Bereich des Kultus wird anerkannt. Sakralisierungen waren gegen Akzeptanzverluste überkommener Regelungen (wie des Sabbats und über für den Verzehr geeignete Tiere) gerichtete Maßnahmen. Hier kennt W. fünf Ty­pen.
In dem Band steckt viel Arbeit, wie auch das reichhaltige Literaturverzeichnis zeigt. Leider verhindert die zu eng gefasste Definition von ›Kultus‹ und ›kultisch‹ ein überzeugendes Gesamtbild. Die angenommene Entwicklung von Profanität zu Sakralität in Israel trifft nicht zu.