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Ausgabe:

September/2007

Spalte:

915 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Walter, Peter [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Das Gewaltpotential des Monothe­is­mus und der dreieine Gott. Unter Mitarbeit v. J. Assmann, R. Girard, J. E. Hafner, H. Hoping, K.-H. Menke, K. Müller, K. Ruhstorfer, P. Strasser, M. Striet, S. Wendel, K. Wenzel u. E. Zenger.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2005. 231 S. 8° = Quaestiones Disputatae, 216. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-451-02216-6.

Rezensent:

Martin Leuenberger

Der Tagungsband greift die breite Monotheismus-Debatte der letzten beiden Jahrzehnte auf. Der Titel ›Das Gewaltpotential des Monotheismus und der dreieine Gott‹ indiziert sowohl den thematischen Fokus als auch die in den Beiträgen – je nach Optik– vertretenen Problem- bzw. Lösungsperspektiven. Zunächst erläutert Peter Walter knapp das Thema von Religion und Gewalt nach ›9/11‹ (7 ff.) und spitzt es auf die »These vom totalitären Charakter der abrahamitischen Religionen« zu (7), die im Folgenden mit Bezug auf die biblischen Schriften mehrheitlich zurückgewiesen wird. In vier parallel aufgebauten Teilen stehen einer These jeweils zwei Stellungnahmen gegenüber:
1. Der Abschnitt ›religionswissenschaftlicher Verdacht‹ wird prominent von Jan Assmann eröffnet, der seine »mosaische Unterscheidung« (im Anschluss an sein gleichnamiges Buch und die dortige Diskussion unter anderem mit E. Zenger) aktualisiert und modifiziert. Nach ihm führt der eifernde und eifersüchtige Gott zur alttes­tamentlichen Sprache der Gewalt (25 f.), deren Funktion sich indes »vor allem nach innen wendet und nicht nach außen« (29). Eine solche historische Perspektive zeigt, dass heute die Sprache der Gewalt nicht selten »im politischen Machtkampf mißbraucht« wird, wogegen es »ihre Genese aufzudecken« gilt (37). Erich Zenger evaluiert Assmanns Position kritisch und illustriert seine Gegenthese, »dass die Gewaltbilder der Hebräischen Bibel gerade nicht monotheistisch, sondern polytheistisch inspiriert und imprägniert sind« (43), an den Beispielen Schöpfung, Königtum und Messianismus sowie Krieg. Pointiert (und nicht ganz ohne Einseitigkeiten) lässt er die exilisch-nachexilische Zeit in »einem reflektierten Monotheismus« münden, der »gewaltkritisch und universalistisch war« (67). Klaus Müller stimmt Assmann weitgehend zu, stellt aber dezidiert die Wahrheitsfrage: Mit K. L. Reinhold parallelisiert er Monotheismus und Kosmotheismus mit Vernunft und Glaube (76) und folgert, dass »Gewalt gerade der Dissoziation von Vernunft und Glaube und damit der Preisgabe der mosaischen Unterscheidung« entspringe (80).
2. Die philosophischen Anfragen bestreiten durchgängig den Gewaltverdacht gegenüber dem Monotheismus: Nach Peter Strasser hängen Monotheismus und Gewalt nur historisch zusammen, während der Monotheismus wesenhaft inklusiv (und nicht exklusiv) ist und so zur Einhaltung des Sittengesetzes führt. Karlheinz Ruhstorfer unterstreicht, dass der Monotheismus »die Herrschaft des Rechts garantiert, durch welche die Herrschaft der Gewalt überwunden« wird (108). Und Saskia Wendel interpretiert die Trinität religionsphilosophisch als »Anerkennung … und … auch Liebe«, die »Herrschaft und Gewalt« »widersprechen« (130).
3. Als systematisch-theologische Selbstvergewisserung entfaltet Magnus Striet die These, dass Gott trinitätstheologisch als Wechselbezug dreier gleichursprünglicher Freiheiten zu verstehen ist, was allererst Schöpfung und Menschwerdung ermöglicht. Karl-Heinz Menke pflichtet dem freiheitstheoretischen Ansatz Striets bei – inklusive des so begründeten Gottglaubens in der Weise des jü­disch-christlichen Monotheismus (162) –, bestimmt im Gegensatz zu Assmann aber als Preis des Monotheismus nicht die Gewalt, sondern die Freiheit des Menschen (160). Ebenfalls grundsätzliche Zustimmung zu Striet äußert Helmut Hoping, er zieht jedoch die immanente Selbstvermittlung der Freiheit Gottes Striets Konzept des Kommerziums (Handels, Tauschs) göttlicher Freiheiten vor.
4. Der kulturtheoretische Blick wird maßgeblich von René Girard geprägt, der seine bekannte Opfer-Theorie variiert, nach der das (auf sozialer Nachahmung [Mimesis] basierende) Opfer eine kultische Reinterpretation des Kampfes aller gegen alle darstellt. Die Bibel aber widersteht den Opfermythen, die aus der Täterperspektive die Opfer sogar zu Schuldigen machen, und rehabilitiert die Opfer (186 ff.). Johann E. Hafner greift den Gewaltbegriff Girards auf und kritisiert ihn als einseitig auf Aggression fokussiert statt auch auf Exklusion, Differenzierung und Zivilisierung (195 ff.); dementsprechend versteht er die Tötung Jesu nicht als Lynchmord, sondern als »verfahrensmäßigen Prozess« (209). Knut Wenzel wertet zunächst gegen Girard den »Fächer des Begehrens« (213) positiv als Kulturproduktivität und deutet die Mimesis christlich als Nachfolge, um dann beide als wesentliche Begriffe einer theologischen Anthropologie einzuschätzen. Insgesamt geben die Beiträge einen interessanten Einblick in ein notorisch prekäres Segment der neueren Monotheismus-Debatte. Allerdings erscheint das Diskussions- und Argumentationsspektrum – mit Ausnahme der Aufsätze von Assmann, Zenger, Strasser und Girard – recht eingeschränkt und fachspezifisch; das mag durch den Anlass – der Band dokumentiert die Tagung der deutschsprachigen katholischen Dogmatiker und Fundamentaltheologen im Jahr 2004 – mitbedingt sein, ändert aber nichts daran, dass ein so facettenreiches und komp­lexes Thema unabdingbar der historischen und kulturwissenschaftlichen Verbreiterung und Vertiefung bedarf. Der Band bietet pro­filierte und zur kritischen Auseinandersetzung einladende Ge­sprächs­anstöße dazu.