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Ausgabe:

Juli/August/2007

Spalte:

875–877

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Sattler, Dorothea, u. Gunther Wenz [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Das kirchliche Amt in apostolischer Nachfolge. II: Ursprünge und Wandlungen. M. Beiträgen v. W. Beinert, W. Dietz, U. H. J. Körtner, F. Nüssel, O. H. Pesch, Th. Schneider, W. Thönissen, P. Walter, G. Wenz, S. Wiedenhofer, U. Wilckens. Hrsg. f. d. Ökumenischen Arbeitskreis evangelischer u. katholischer Theologen. Freiburg i. Br.: Herder;

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006. 423 S. gr.8° = Dialog der Kirchen, 13. Kart. EUR 35,00. ISBN 978-3-451-28618-6 (Herder); 978-3-525-56934-4 (Vandenhoeck & Ruprecht).

Rezensent:

Günther Gaßmann

»Eine Verständigung über das kirchliche Amt ist immer noch ein harter Brocken« (Th. Schneider, 406). An diesem »harten Brocken« arbeitet der Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katho­lischer Theologen (ÖAK) seit 2002. Nach einem ersten Berichtsband (vgl. ThLZ 130 [2005], 846–848) spiegelt der nun vorliegende 2. Band mit Referaten der Jahrestagungen 2004 und 2005 die gegenwärtige Debatte wider und besonders auch den neuen, durch das Referat (2004) des reformierten Mitglieds Ulrich Körtner wie auch die Empfehlung der Bischofskonferenz der VELKD zu Beauftragung und Ordination ausgelösten innerevangelischen Konflikt. Hier können nur sehr kurze Hinweise auf das in 14 Beiträgen versammelte um­fangreiche Material gegeben werden.
Im ersten Beitrag des Bandes über »Das Amt in der frühen Kirche« unternimmt Theodor Schneider den »Versuch einer Zusam­menschau« der Entwicklung und Ausbildung erster Formen des kirchlichen Amtes bis ins 2. Jh. hinein. Mit fünf Vorschlägen für die weitere Arbeit (besonders des ÖAK), samt kritischen Anfragen an beide Seiten (z. B. zur fragwürdigen Erteilung der Amtsvollmacht ohne Ordination in evangelischen Landeskirchen), schließt der instruktive Überblick. In »Dienst am Wort Gottes. Das Amt der Bischöfe nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil« behandelt Wolfgang Thönissen die neuen theologischen (und besonders ekklesiologischen) Perspektiven zum Bischofsamt vor allem in Kapitel 3 von LG. Er nennt abschließend Fragen zum Bischofsamt, die im Konzil noch keine zureichende Antwort gefunden haben und darum die Erarbeitung einer umfassenden Lehre vom Bischofsamt notwendig machen, für die dieser Beitrag interessante Bausteine liefert. Friederike Nüssel setzt in »Zum Verständnis des evangelischen Bi­schofsamtes in der Neuzeit« bei Johann Gerhards Lehre des ministerium ecclesiasticum ein. Dem schließen sich Überblicke an über das Bischofsamt in Preußen und die lutherische Debatte im 19. Jh. – heute wieder neu erweckt – über Institutions- und Übertragungstheorie. Ab­schließend werden der Dienst der öffentlichen Evangeliumsverkündigung in Wort und Sakrament als konstitutiv für das geistliche Priestertum aller Gläubigen und die Wahrung der bischöflichen Handauflegung in der Ordination »als Zeichen der Einheit und Katholizität der Kirche« (189) herausgestellt. Ein ökumenisch zentrales Thema behandelt Peter Walter in einem großangelegten Überblick »Das Verhältnis von Episkopat und Presbyterat von der Alten Kirche bis zum Reformationsjahrhundert« mit der Darlegung von drei entscheidenden Entwick­lungsstufen, an deren Ende das 2. Vatikanum im Rück­griff auf die altkirchliche Entwick­lung wieder den sakramentstheologischen wie jurisdiktionellen Vorrang des Bischofsamtes vor den übrigen Ämtern herausgestellt hat.
Wolfgang Beinert legt in »Apostolisch. Anatomie eines Begriffs« eine faszinierende Untersuchung der vielfältigen Bedeutungsebenen des Apostolischen vor. Das apostolische Amt und die apostolische Sukzession werden sodann in die »Bezeugungsinstanzen des Glaubens« eingeordnet, die Sukzession als Aufnahme in die bischöfliche Kollegialität und als Ausdruck der strukturellen apostolischen Kontinuität der Kirche interpretiert und zuletzt gefragt, ob nicht auch Kirchen ohne bischöfliche Sukzession diese Kontinuität bewahrt haben. In einem weiteren Beitrag stellt Wolfgang Beinert »Hermeneutische Erwägungen im Kontext der Amtsfrage« an. Ausgehend vom Kontext des 21. Jh.s mit seinen ökumenischen Barrieren (vermeintliche Rückkehrökumene) und der Dringlichkeit der Einheit der Christenheit angesichts der religiös-politischen Weltsituation reflektiert er u. a. über eine neue Sicht der apos­to­lischen Sukzession. Wolfgang Wiedenhofer zielt in »Zur Normativität kir­chengeschichtlicher Entwicklungen« auf ein grundlegendes öku­menisches Problem. Mit Hilfe der Denk- und Sprachfigur kirchlicher Zeichen und Zeichensetzung definiert er sieben »Grund­regeln«, die es erlauben, die Normativität kirchengeschichtlicher Entwicklungen »an deren Entsprechung zur Grundstruktur christlichen Glaubens zu messen« (349). Damit wird das Thema der Normativität aus seinen traditionellen konfessionellen Entgegensetzungen befreit. In »Hermeneutik des Ämterwandels. Kleine Ausarbeitung einer Frage« fragt Otto Hermann Pesch, vom Nachweis solchen Ämterwandels ausgehend, ob es nicht auch in der Zukunft theologisch begründeten weiteren Wandel des Amtes geben kann und ob nicht dort, wo außerhalb der katholischen Kirche sich unter denselben Kriterien »Ämter schon entwickelt und bewährt haben, Anerkennung und Kirchengemeinschaft möglich ist« (322). In seinen »Thesen zu einem ökumenischen Verständnis vom kirchlichen Amt« fasst er seine bedenkenswerten Überlegungen noch einmal zusammen.
Neben hilfreichen Erläuterungen zum Begriff der »episkopé« gilt die nachdrückliche Argumentation Ulrich Körtners in »Kirchenleitung und Episkopé. Funktionen und Formen der Episkopé im Rahmen der presbyterial-synodalen Ordnung evangelischer Kirchen« der These, dass diese Kirchenordnung wie auch das öffentliche Predigtamt ihren Grund »in der Berufung aller Getauften zur Verkündigung und zur Feier der Sakramente« haben (225). Körtner verbindet seine Übertragungsthesen mit der Methode der Unterscheidungslehren gegenüber römisch-katholischen und ökumenischen Positionen (besonders Lima-Dokument). Er hat lebhaften Widerspruch seiner evangelischen Kollegen im ÖAK provoziert. So weist Ulrich Wilckens in »Kirchliches Amt und gemeinsames Priestertum aller Getauften im Blick auf die Kirchenverfassungen der Lutherischen Kirchen« die Thesen Körtners zurück, da diese u. a. auf einer ungenauen und zum Teil falschen Interpretation der relevanten Stellen in der CA beruhten und zudem exegetisch nicht begründet würden. Dem stellt er seine Interpretation der neutestamentlichen Aussagen und der Lehre der lutherischen Bekenntnisschriften gegenüber und behandelt außerdem das Verständnis von Kirche und Amt in den lutherischen Kirchenordnungen und weitere Schritte im lutherisch-katholischen Dialog. Noch schärfer kritisiert Walter Dietz in »Systematisch-theologische Aspekte von Ordination und Ordinationsvollmacht im Lichte evangelischer Theologie« die Empfehlung der Bischofskonferenz der VELKD von 2004 zu »Allgemeines Priestertum, Ordination und Beauftragung nach evangelischem Verständnis«. Unter Verweis auf die Aussagen des Neuen Testaments und der lutherischen Bekenntnisse wirft er der VELKD-Empfehlung mit ihrem theologischen Leitbegriff der Beauftragung eine sinnwidrige Uminterpretation, eine »trickreiche Ausweitung des vocatio-Begriffs von CA 14« (124) vor, die die ökumenischen Beziehungen und das Verhältnis zum Weltluthertum zutiefst belasten könnte.
In »Das kirchliche Amt in apostolischer Nachfolge. Ein systematisch-theologischer Zwischenbericht aus lutherischer Perspektive« nutzt Gunther Wenz als orientierenden Rahmen den Bericht »Das bischöfliche Amt im Rahmen der Apostolizität der Kirche« (Genf 2005) von einer Konsultation des LWB 2002 mit lutherischen Teilnehmern an ökumenischen Dialogen. Wenz holt so die De­batte aus einer Engführung auf den deutschsprachigen protestantischen Raum heraus. Von daher ergeben sich positive Aussagen zum Dienst übergemeindlicher Sorge für die Einheit und apostolische Kontinuität der Kirche, auch in der Form der apostolischen Sukzession des Bischofsamtes. Auch im äußerst instruktiven abschließenden Überblick über die bisherigen Arbeitsschritte des ÖAK seit 2002 von Theodor Schneider in »Zum bisherigen Verlauf unserer Arbeit am Projekt ›Das kirchliche Amt‹« kommt die Enttäuschung des engagierten katholischen Ökumenikers über den von Körtner ausgelösten innerevangelischen Konflikt in der Amtsfrage deutlich zum Ausdruck. Die Empfehlung der Bischofskonferenz der VELKD wird ebenfalls als massive Erschwerung des evangelisch-katholischen Gesprächs bewertet. Dennoch schließt Schneider mit einer theologisch begründeten vorsichtig-zuversichtlichen Vorschau auf die weitere Arbeit des ÖAK.

Auch dieser Band aus dem Studienprojekt des ÖAK ist randvoll mit wichtigen historischen Forschungsergebnissen und neuen systematisch-theologischen Überlegungen hin zu einem differenzierten evangelisch-katholischen Konsens in der Amtsfrage. Angesichts der neu aufgebrochenen innerevangelischen Differenzen dürften hier die internationalen lutherisch-katholischen und reformiert-katholischen Dialoge allerdings eine größere Chance haben.