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Ausgabe:

Juli/August/2007

Spalte:

873–875

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Runyon, Theodor

Titel/Untertitel:

Die neue Schöpfung. John Wesleys Theologie heute. Aus d. Amerikanischen v. M. Marquardt.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005. 268 S. gr.8°. Kart. EUR 56,90. ISBN 3-525-56715-4.

Rezensent:

Andrea Anker

Theodor Runyons nun auf Deutsch vorliegende Monographie zur Theologie John Wesleys bietet eine hervorragende Einführung in die Anliegen des Methodismus. Wie der Untertitel andeutet, möchte der ausgewiesene Wesley-Kenner R. die Aktualität und Bedeutung der Theologie Wesleys für die Gegenwart aufzeigen. Als eine Theologie, in deren Zentrum die Hoffnung auf Erneuerung der Schöpfung und der Geschöpfe nach dem Bild Gottes steht, hat sie – davon ist R. überzeugt – auch heute ein großes Potential zur Bewältigung gesellschaftlicher und kirchlicher Probleme.
Die Gliederung des Buches orientiert sich an der klassischen Reihenfolge der dogmatischen loci. Im ersten Kapitel entfaltet R. zu­nächst Wesleys dreifache Verwendung der imago Dei-Vorstellung. Als »natürliches Ebenbild« ist der Mensch mit Verstand, Willen und Freiheit ausgestattet, die zwar durch die Sünde entstellt, aber nicht ausgelöscht worden sind (18–21). Dem Menschen als »politischem Ebenbild« wird die Verantwortung übertragen, »Übermittlungskanal« zwischen dem Schöpfer und der übrigen Schöpfung zu sein (21f.). Die Rede vom »moralischen Ebenbild« schließlich bezieht sich weder auf eine Fähigkeit noch auf eine spezifische Funktion des Menschen; bei ihrer Verwirklichung geht es um ein Beziehungsgeschehen zwischen Gott und Mensch: Gott beschenkt den Menschen mit Liebe, Gerechtigkeit, Wahrheit – der Mensch empfängt diese Gaben und gibt sie weiter (22–24). Auf Grund des Sündenfalls kann der Mensch seiner Bestimmung zum moralischen Ebenbild von sich aus aber nicht mehr entsprechen. Dem Deisten John Taylor, für den Sünde das Ergebnis »schlechter Erziehung« und schädlicher Umwelteinflüsse war, hielt Wesley entgegen, es sei empirisch aufweisbar, dass dem universalen Einfluss der Sünde niemand entzogen sei. R. macht darauf aufmerksam, dass hier, wie an anderen Stellen auch, der Einfluss des Lockeschen Empirismus auf das Denken Wesleys mit Händen zu greifen ist.
Im folgenden Kapitel entfaltet R. die Eigenheiten der wesleyanischen Gnadenlehre, die im Unterschied etwa zur lutherischen oder calvinistischen Gnadenlehre behauptet, der Mensch habe die Freiheit, auf die in allen Menschen wirksame gratia praeveniens zu antworten oder nicht. Wie R. anhand von leider etwas spärlichen Quellen­zitaten belegt, steht hinter Wesleys Verständnis des Gnadenwirkens die Vorstellung der griechischen Väter von der »Vergöttlichung« (Theosis), die ihm indirekt durch die anglikanische Tradition und direkt aus seiner Väterlektüre (Makarios u. a.) vertraut war (36.92). Auffällig häufig finden sich deshalb therapeutische statt forensische Metaphern. Zentrales und immer wiederkehrendes Stichwort in der Darstellung R.s ist der »Synergismus«, d. h. die Überzeugung Wesleys, dass Gottes gnädige Zuwendung zum Menschen diesem Anteil am Geist Gottes gibt und ihn so als Bundespartner Gottes an der Erneuerung der Welt mitwirken lässt (vgl. 164).
Das dritte Kapitel ist dem zentralen Thema der Wiedergeburt und der Heiligung gewidmet. Wesley war davon überzeugt, dass es dort, wo der neuschaffende Geist am Werk ist, zu einer »relative[n]« (die Relation zwischen Mensch und Gott betreffenden) und einer »reale[n]« Veränderung kommt. Dabei ereignet sich die »reale« Veränderung durch das »Erwecken der geistlichen Sinne« (82). Wie Locke­ vertrat der Oxford-Absolvent Wesley die These, dass »unsere Erkenntnisse ... alle von unserer Sinneswahrnehmung herkommen müssen« (87). Entsprechend muss jedes wahre Wissen von Gott vom Selbst extern rezipiert werden; der Glaubende hat die Liebe Gottes zu »fühlen« und die Erneuerung seiner »Seele« zu »erfahren« und zu »schmecken«: Sonst stimmt etwas nicht. Möglich ist dies dank der »geistlichen Sinne«, die verborgen in allen Menschen vorhanden, aber ohne Bedeutung sind, solange sie nicht durch Gottes Geist zum Leben erweckt werden. Dabei versteht Wesley »[d]ie Wie­dergeburt« nur als »Schwelle zur Heiligung ...« (94). R. sieht Bezüge zum Streit zwischen Barth und Brunner zur »natürlichen Offenbarung«, grenzt jedoch Wesleys Position deutlich gegen den Subjektivismus der Romantik des 19. Jh.s ab (88 f.).
Der im 18. Jh. weithin gebräuchliche Ausdruck für Heiligung war »Christian perfection«, ein Terminus, der Prozess und Ziel, also Vervollkommnung und Vollkommenheit zugleich bezeichnet. Nach R. hat Wesley im Unterschied zu Luther sein Augenmerk viel stärker auf das Wachsen in der Gnade, auf die Verwandlung des Menschen im Hier und Jetzt gelegt (97). Entsprechend hat der Glaube bei Wesley nicht die zentrale Stellung, die er bei Luther hat, was etwa mit folgender Bemerkung Wesleys belegt wird: »Der Glaube selbst ... ist doch nur der Diener der Liebe« (99). R. referiert prägnant, wie Wesleys Lehre von der Vollkommenheit vor allem auf Grund des rationalistischen Sündenverständnisses schon im 18. Jh. heftige Debatten provozierte (99–115).
Im vierten Kapitel diskutiert R. Wesleys Ekklesiologie und Sakramentslehre. Nicht schon die Taufe, sondern erst ein durch Heiligung gekennzeichnetes Leben macht Menschen zu »wahre[n] Glieder[n] der Kirche«. Die später nicht zu verhindernde Separation von der anglikanischen Kirche war jedoch nicht im Sinne Wesleys. Denn er war davon überzeugt: »Methodisten werden ihre Mission nur als Sauerteig in der ganzen Kirche und nicht getrennt von ihr erfüllen« (120). In Abgrenzung von den quietistischen Herrnhutern galt in der methodistischen Bewegung die »Regel«, dass ein frommes Leben nicht im Rückzug und in der mystischen »Lehre vom Stillesein« bestehen sollte, sondern darin, die Welt zu verändern und in Erneuerungsprozesse hineinzuziehen (128).
Die Abschnitte zu Wesleys Sakramentsverständnis sind auch sozialgeschichtlich sehr interessant. Wesley bemühte sich, das Abendmahl den Massen der getauften, aber nicht aktiv am kirchlichen Leben teilnehmenden Christen zugänglich zu machen, und führte zu diesem Zweck Abendmahlsfeiern mit eigens dafür komponierten Liedern im Freien durch (152).
Nach klärenden Zuordnungen von Wiedergeburt und Taufe (156f.) vertieft R. das, was er »subjektive Aneignung der Taufe« (160) nennt, im fünften Kapitel zur »Orthopathie und religiöse[n] Erfahrung«. Der gängigen, von vielen als typisch methodistisch empfundenen Favorisierung der Orthopraxie gegenüber der Orthodoxie stellt R. die Orthopathie zur Seite. Mit diesem Terminus sei viel präziser gefasst, worum es Wesley ging: nämlich darum, Gnade nicht länger als »metaphysische Gabe«, sondern als »bewusste Begegnung mit Gott« zu verstehen, deren verändernde Kraft im Innern »gespürt« wird (167 f.). Anregend für aktuelle Debatten dürfte hier R.s Versuch sein, Wesleys Unterscheidung von »Emotion«, »Gefühl« und »Erfahrung« weiter zu systematisieren. Gefühle – so eine steile These – funktionieren »sakramental«, insofern sie »in, mit und unter« den körperlichen Erscheinungen, die die Wahrnehmung des Göttlichen begleiten, eine Botschaft übermitteln, die von jenseits ihrer selbst kommt (171 ff.).
Im sechsten Kapitel werden Einsichten Wesleys zu gesellschaftspolitischen und theologischen Themen wie Armut, Rechte der Frauen, Tierschutz, Ökumenismus, Herausforderung des religiösen Pluralismus etc. zusammengetragen. Dabei kommen auch viele sozialgeschichtlich höchst spannende Details zur Sprache. Schade ist nur, dass der Kommentar zu den akuten ökologischen oder interreligiösen Problemen des 21. Jh.s zum Beispiel dann doch recht spärlich ausfällt und »Wesley heute« längst nicht so beredt ist wie im 18. Jh.
Die Übersetzung von Manfred Marquardt liest sich zum Glück nicht wie eine Übersetzung und es ist zu hoffen, dass das Buch nun auch im deutschsprachigen Raum viele geneigte Leserinnen und Leser finden wird. Es ist spannend und informativ, knapp und präzise in der Argumentation, frei von unnötigem Fachjargon und macht Lust, Wesley im Original zu lesen. Dass sich R. weitgehend aufs Darstellen beschränkt und mit wenigen Ausnahmen auf Kritik verzichtet, ist im ersten Teil des Buches kein Manko, im zweiten aber schon.