Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2007

Spalte:

862–864

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Sammet, Kornelia

Titel/Untertitel:

Frauen im Pfarramt: Berufliche Praxis und Geschlechterkonstruktion.

Verlag:

Würzburg: Ergon 2005. 505 S. 8° = Religion in der Gesellschaft, 18. Kart. EUR 49,00. ISBN 3-89913-385-4.

Rezensent:

Brigitte Enzner-Probst

Die Diplomsoziologin Kornelia Sammet präsentiert in dieser um­fangreichen Studie die Ergebnisse ihrer jahrelangen Beschäftigung mit dem Thema »Frauen im evangelischen Pfarramt«. Vorstufen wurden bereits vor einigen Jahren publiziert: Beruf: Pfarrerin. Eine empirische Untersuchung zu Berufsbild und Berufspraxis von Pfarrerinnen in der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg. Unter Mitarbeit von Annette Wilkes, Berlin 1998; Die Autorität der Pfarrerin. Charisma, Amt und Tradition in der Arbeit evangelischer Pfarrerinnen. In: Lukatis, Ingrid u. a. (Hrsg.), Religion und Ge­schlechterverhältnis. Veröffentlichungen der Sektion Religionssoziologie in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Bd. 4., Opladen 2000, 193–202.
Zentrale Frage ihrer Forschungsarbeit ist, wie Auffassungen über Geschlechtereigenschaften und Geschlechterverhältnis ihrerseits Verhaltensweisen und Überzeugungen prägen, die die berufliche Praxis von Pfarrerinnen beeinflussen. S. entfaltet dies in sieben Kapiteln. Die Ergebnisse werden im 8. Kapitel zusammengefasst.
Nach einem einleitenden Überblick über ihr Vorhaben (Kapitel 1) interpretiert S. in Kapitel 2 die Begriffe »Beruf« und »Profession« berufsgeschichtlich wie professionssoziologisch. Die Geschichte der Theologin lässt sich im Durchgang durch die Kirchengeschichte als Prozess der sozialen Schließung eines Berufsfeldes auf Grund von Machtansprüchen und Angleichungsprozessen interpretieren, die sich ihrerseits auf ein naturalisiertes, schöpfungstheologisch begründetes hierarchisches Geschlechterverhältnis beziehen. Um­gekehrt zeichnet S. die Bedingungen und Veränderungen im Ge­schlechterarrangement und Selbstverständnis der Theologinnen nach, die es ermöglichten, dass evangelische Theologinnen in Deutschland im 20. Jh. erneut den Zugang zum Pfarramt erkämpfen konnten. Der theoretische Ansatz S.s verschränkt demnach die Erhebung diskursiver Überzeugungen bezüglich der Kategorie ›Geschlecht‹ mit habituellen Prägungen und daraus folgenden sozialen Handlungsweisen, die ihrerseits wieder zu einer Verfestigung bzw. Einebnung von Geschlechterunterschieden führen. S. grenzt sich damit von rein konstruktivistischen Ansätzen, wie sie etwa Isolde Karle repräsentiert, ab.
Kapitel 3 gibt Einblick in den Forschungsstand zum Thema und die aktuellen Zahlenverhältnisse bezüglich der Frauen im Pfarramt. Der Anteil der Frauen im Amt wird sich nach Einschätzung S.s mittelfristig bei 40 % einpendeln. Ein Ort möglicher Konflikte ist das Jobsharing im Gemeindepfarramt, insofern hier alte Ge­schlech­terkomplementaritäten in neuem Gewand gelebt werden können.
In Kapitel 4 wird sodann die Methodologie der empirischen Untersuchung, die die Grundlage dieser Studie bildet, entfaltet. Diese wurde als Forschungsprojekt im Rahmen der »Berlin-Forschung« an der FU Berlin 1992–1994 als schriftliche Befragung aller Berliner Pfarrerinnen durchgeführt. Der 1998 veröffentlichte Zwi­schenbericht wertete 14 narrative berufsbiographische Interviews aus. Mithilfe der Sequenzanalyse (Oevermann 2000; Wernet 2000) und des Ansatzes der »Objektiven Hermeneutik« werden sie interpretiert und in Fallrekonstruktionen überführt. Dies »ermöglicht die Rekonstruktion von Handlungsorientierungen als latenten Sinnstrukturen, d. h. als spezifischen Selektionsprozess eines Falles« (177). Aus Fallstrukturen werden schließlich Typen gewonnen, die sich bezüglich der Handlungslogiken und Beziehungsstrukturen sowie durch den Bezug zum eigenen Geschlecht unterscheiden (178).
In Kapitel 5 werden sodann konkrete Handlungsorientierungen der befragten Pfarrerinnen im Blick auf den Gottesdienst beschrieben. Drei Typen lassen sich unterscheiden, nämlich die Interpretation der eigenen Rolle als »unpersönliche Zuweisung von Positionen«, als »Erzeugung emotionaler Berührung« wie Ausübung eines »veralltäglichten Berufs«.
Kapitel 6 schließt in ähnlicher Weise die Auswertung der Interviews für den Bereich der gemeindlichen Seelsorge und Seelsorge im Krankenhaus an. Schließlich werden die Pfarrerinnen daraufhin befragt, in welcher Weise sie selbst ihre Arbeit mit der Kategorie ›Geschlecht‹ begründen (Kapitel 7). Als »Typisierungsmerkmal mit sozialen Folgen«, als »Strukturierungs- und Ordnungsprinzip« wird diese Kategorie in einem Prozess von »doing gender« bestätigt, mit anderen Kategorien (Klasse, Alter, Milieu) vermischt oder aber zeitweilig außer Kraft gesetzt.
In Kapitel 8 skizziert S. einen Ausblick auf die »Zukunft der Pfarrerinnen«. Die Kategorie ›Geschlecht‹ wird ihrer Meinung nach für pastorales Handeln mehr und mehr neutralisiert, die Geschlechterordnung durch die zunehmende, nicht zuletzt mediale Präsenz von Frauen verändert. Die Gefahr der Restaurierung von Komplementaritätsstrukturen bei Pfarrehepaaren, die sich die Stelle teilen, wird zu Recht als wichtiger Merkpunkt betont.
Die Studie ist ein wichtiger Beitrag zum Verstehen der Veränderungsprozesse von Geschlechterverhältnissen im pastoralen Be­rufsfeld. Frauen im Pfarramt aus unterschiedlichen Generationen setzen sich damit auseinander, begründen ihr Handeln, ihre Rolle, ihre Identität durch Konzepte, in denen die Kategorie ›Geschlecht‹ im Blick auf die individuellen Handlungslogiken eine unterschiedliche Rolle spielt. Dabei tragen Pfarrerinnen schon durch ihre Exis­tenz zur Veränderung der traditionell-kirchlichen Geschlechter­ordnung bei, indem sie diesen Beruf immer selbstverständlicher ausüben.
Um diese vielschichtige Forschungsebene beschreiben zu können, entwickelt S. einen theoretischen Begründungsrahmen, in dem unterschiedliche Theorieansätze so verschränkt werden, dass internalisierte Geschlechterordnungen und diskursive Begründungen, habituelle Ausprägungen und davon abgeleitete Handlungslogiken als wechselseitig abhängige Faktoren beschrieben werden können.
Die außertheologische Perspektive auf das Forschungsgebiet »Frauen im Pfarramt« und zugleich die empathische, sachkundige Aufarbeitung des komplexen Untersuchungsfeldes machen neugierig, sich auf die Erkundung dieses Gebiets einzulassen.
Aufbau und Durchführung sind wohltuend differenziert und methodisch reflektiert. Durch die eingestreuten Interviewpassagen und Fallrekonstruktionen bleibt trotz aller theoretischen Überlegungen die Lebendigkeit des pastoralen Berufsfeldes erhalten.
Durch die wiederholte Abfolge von theoretisch-allgemeinen Erörterungen, von Fallrekonstruktionen sowie deren Zusammenfassung in unterschiedlichen Typen wird allerdings der Nachvollzug des Gedankengangs erschwert. Zudem ist nicht ganz einsichtig, warum eine erneute theoretische Erörterung im Blick auf Seelsorge notwendig erscheint, in Bezug auf den Gottesdienst jedoch unterbleiben kann. Kritisch ist vor allem die Begründung der die einzelnen Fallrekonstruktionen zusammenfassenden Typen zu befragen. Hier verlässt S. an manchen Stellen den Grundsatz, Kategorien aus dem Material selbst zu gewinnen. Die von Max Weber stammende Opposition von »Amt« und »Charisma« wird etwa auf die Gegenüberstellung von »unpersönlichen« und »persönlichen Handlungslogiken« übertragen (so 334), die »Selbstermächtigung der anderen durch zeitlich begrenzte Gemeinschaftserfahrung« dem Typ »unpersönliches seelsorgerisches Handeln« zugeordnet. Dies könnte jedoch mit gleichem Recht als besondere Form persönlicher Zuwendung interpretiert werden. Die Bedeutung von Frauen im Pfarramt für den ökumenischen Dialog wird nur im letzten Satz erwähnt, ist jedoch als thematisches Desideratum weiterer Frauenforschung festzuhalten.