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Ausgabe:

Juli/August/2007

Spalte:

861 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Mildenberger, Irene, u. Wolfgang Ratzmann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Beteiligung? Der Gottesdienst als Sache der Gemeinde.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2006. 232 S. 8° = Beiträge zu Liturgie und Spiritualität, 15. Kart. EUR 16,80. ISBN 978-3-374-02421-6.

Rezensent:

Katharina Stork-Denker

Den Ausgangspunkt dieses Bandes bildet das Evangelische Gottesdienstbuch, in dem festgehalten ist: »Der Gottesdienst wird unter der Verantwortung und Beteiligung der ganzen Gemeinde ge­feiert.« Die Herausgeber stellen eine Diskrepanz zur evangelischen Gottesdienstpraxis (insbesondere des Sonntagsgottesdiens­tes) fest, da diese oft so wirke, als sei sie vor allem Angelegenheit des Pfarrers bzw. der Pfarrerin, während der Gemeinde eine Zuschauerrolle zukomme. Gemessen an den theologisch-normativen Leitvorstellungen erscheint evangelischer Gottesdienst darum als »widersprüchliches Phänomen« (5). Mit der Frage der Beteiligung werden grundlegende theologische Probleme aufgeworfen (etwa die Frage nach dem Verhältnis von Amt und Gemeinde), denen sich der erste Teil des Bandes widmet (unterteilt in: I: Gemeinde verstehen, II: Beteiligung deuten – wobei die Zuordnung der einzelnen Beiträge unter diese Überschriften nur bedingt überzeugt). Im zweiten Teil wird der praktischen Frage, wie Beteiligung ermöglicht werden kann, nachgegangen, indem zunächst nach konkreten Umsetzungsmöglichkeiten im Gottesdienst selbst gefragt wird (III: Beteiligung ermöglichen), bevor Erfahrungen mit liturgischer Bildung weitergegeben werden (IV: Gemeinde bilden).
U. Kühn fragt nach dem Verhältnis von Amt und Gemeinde im Abendmahlsgottesdienst. Auf Grund des allgemeinen Priestertums sei die Gemeinde primäres Subjekt, was sich in der Vielzahl der Ämter niederschlage, aber auch in der Delegation bestimmter Funktionen an den Amtsträger. K. Foitzik liefert einen wichtigen Beitrag zur Differenzierung des Gemeindebegriffs. Insbesondere weist er auf die Problematiken der Milieuverengung sowie der Hierarchieorientierung hin, die eine Verwirklichung von eigenverantwortlicher Partizipation erschweren.
In Auseinandersetzung mit verschiedenen Gottesdienstkonzepten kritisiert K. Raschzok den Veranstaltungscharakter von Gottesdiensten, der zu einer Differenzierung der Teilnehmer in aktive und passive führe. Stattdessen betont er mit seinem Verständnis von Gottesdienst als »Körperarbeit am Leib Christi« die ganzheitliche Beteiligung aller Feiernden. W. Ratzmann stellt ne­ben ein interaktives Beteiligungskonzept, wie es im Gottesdienstbuch zu Grunde liegt, das Konzept der Interpassivität und weist auf die rituelle Funktion von Gottesdiensten hin. Wie Foitzik und Raschzok fordert er eine stärkere Berücksichtigung der Rezeptionstätigkeit der Gottesdienst feiernden Menschen. Das römisch-ka­tholische Konzept der aktiven Teilnahme der Gläubigen an der Liturgie legt B. Kranemann dar. Er plädiert für Differenzierungen vor allem hinsichtlich der Pluriformität liturgischer Feiern. Dass Teilnahme ein sehr vielfältiges und gestuftes Geschehen ist, bestätigen auch die empirischen Beobachtungen von B. Roßner zum Teilnahmeverhalten junger Ostdeutscher.
Die folgenden drei Beiträge zeigen Wege auf, wie Beteiligung im Gottesdienst ermöglicht werden kann. K. Raschzok stellt das Konzept der Communio-Räume im katholischen Kirchenbau vor, durch das die tätige Teilnahme der Gläubigen exemplarisch verwirklicht wird. U. Pohl-Patalong führt in die Methode des Bibliologs ein, in dem die Gemeinde zum Subjekt der Verkündigung wird. E. Brinkel stellt in seinem Beitrag über die Arbeitsbücher und Arbeitshilfen zum Gottesdienst in der DDR das Bemühen um zeitgemäße Sprache und Verständlichkeit als wichtigen Schritt zur Beteiligung der Gemeinde heraus.
Anregungen zur liturgischen Bildung liefern erprobte Konzepte aus der Praxis. Aus katholischer Perspektive trägt R. Sauer seine Überlegungen zur liturgischen Bildung im Religionsunterricht und in der Ministrantenarbeit vor. A. Waibel stellt das Programm »Liturgie im Fernkurs« des Deutschen Liturgischen Instituts vor. Aus evangelischer Perspektive berichten M. Heider und U. Schulte über die ökumenisch inspirierte Ausbildung von »worship enablers«, die durch ihre Mitgestaltung im Gottesdienst zugleich die intensive Beteiligung aller ermöglichen. G. Grützmann beschreibt den brasilianischen Gottesdienstkurs »Colmeia« zur Ausbildung von Gottesdienstteams. B. Schlüter stellt das Projekt »Spiritualität im Alltag« vor und berichtet von Wirkungen auf die Gottesdienstpraxis. Ein Nachwort von I. Mildenberger diskutiert die Ergebnisse im Hinblick auf die Ausgangsfrage.
Insgesamt trägt der Band zu einer Differenzierung des Beteiligungsbegriffs bei. Dies betrifft vor allem das Verhältnis von aktiver und passiver bzw. interaktiver und rezeptiver Beteiligung. Weiterführend wäre eine stärkere Berücksichtigung empirischer Un­tersuchungen zur »Innen-Sicht des evangelischen Gottesdienstes aus der Erlebnisperspektive der Feiernden« (Raschzok, 52 f., vgl. K. Stork-Denker, Beteiligung der Gemeinde am Gottesdienst. Diss. theol. Münster 2007).