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Ausgabe:

Juli/August/2007

Spalte:

857 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Arnold, Jochen

Titel/Untertitel:

Theologie des Gottesdienstes. Eine Verhältnisbestimmung von Liturgie und Dogmatik. M. 9 Notenbeispielen.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004. 608 S. gr.8° = Veröffentlichungen zur Liturgik, Hymnologie und theologischen Kirchenmusikforschung, 39. Kart. EUR 84,00. ISBN 3-525-57213-1.

Rezensent:

Jörg Neijenhuis

Diese Dissertation, die der Vf. bei O. Bayer (Tübingen) verfasst hat, zeigt durch ihren Untertitel an, dass eine Verhältnisbestimmung von Liturgie und Dogmatik vorgelegt wird. Ob es sich dabei um eine Theologie des Gottesdienstes handelt, wie der Haupttitel des Buches erwarten lässt, ist fraglich, denn der Vf. bietet keinen Entwurf einer Theologie des Gottesdienstes. Vielmehr zeigt der Untertitel die Richtung des Unternehmens an: Der Gottesdienst wird als Gegenstand und als Quelle der Theologie verstanden. In der Einleitung spricht der Vf. mehr von Theologie als von Dogmatik, weil sein Leitgedanke zur Verhältnisbestimmung von Liturgie und Dogmatik lautet, dass die Theologie vom Gottesdienst herkommt und auf ihn hingeht. Dieser Leitgedanke wird dogmatisch überprüft, wobei Begriff, Aufgabe und Gegenstand, Quelle, Stoff, Er­kenntnisgrund, Methode und Kriterium des Gottesdienstes für die Verhältnisbestimmung ausschlaggebend sind. So kommt eine materiale Dogmatik in nuce zur Entfaltung.
Die Untersuchung ist in vier Kapitel gegliedert: Im ersten Kapitel wird der Gottesdienst als Gegenstand der Theologie thematisiert, zunächst im ökumenischen Kontext (römisch-katholische Lehre, namentlich Lies, Krahe, Stock; orthodoxe Lehre, namentlich Kallis, Nissiotis; als ökumenische Theologie im Fall einer liturgischen Theologie bei Schmemann, Wainwright, Kavanagh), dann innerhalb der evangelischen Theologie anhand von Schlink, Pannenberg, Drumm, Ritschl, Berger, Hardy/Ford, Melanchthon, Barth, Schleiermacher, Ebeling, Jüngel, Herms, Lindbeck, Bayer, Hütter. Im zweiten Kapitel wird der Gottesdienst als Paradigma der Theologie erarbeitet an ausgewählten Lutherschriften und an Brunners Gottesdienstlehre. Im dritten Kapitel wird der Gottesdienst als Quelle der Theologie herangezogen. Quellen sind das Psalm- und Herrengebet, der Segen und der Lobpreis (Ps 19 als Quelle der Fundamentaltheologie, Johannesprolog als Quelle der Christologie, Te Deum laudamus als Quelle der Trinitätslehre, Ph. Nicolais Lied Wie schön leuchtet der Morgenstern als Ausdruck und Quelle der Soteriologie und Eschatologie). Im vierten Kapitel wird der Gottesdienst als Quelle und Paradigma, als Gabe und Aufgabe der Theologie beschrieben, indem zunächst am Beispiel des Abendmahls dargelegt wird, dass die Liturgie des Abendmahls als Quelle und Paradigma einer trinitarischen Theologie und als Gegenstand der Dogmatik fungiert, um dann abschließend den Gottesdienst als Gabe der Theologie in Form des Verbum externum und als Aufgabe der Theologie als dogmatische Explikation gottesdienstlicher Vollzüge darzustellen. – Damit ist die Verhältnisbestimmung von Liturgie und Dogmatik bzw. Gottesdienst und Theologie beschrieben: Das pneumatische Geschehen im Gottesdienst, in dem Gott gegenwärtig ist (sichtbar in zahlreichen »kirchliche[n] Kernpraktiken« [559] wie Wortverkündigung, Taufe, Abendmahl, Gebet), ist gleichsam das Verbum externum für die Theologie. Die Theologie hat nun die Aufgabe, diese Gabe zu beschreiben.
Der Vf. legt in den ersten drei Kapiteln materialreich dar, wie die beiden Genitivverbindungen des Begriffs Gottesdienst als Gottes Dienst und als Theologie des Gottesdienstes aufgefasst werden. Im vierten Kapitel wird das methodische Konzept am Beispiel des Abendmahls durchgeführt, deshalb soll es hier eine nähere Darstellung erfahren. Nachdem der Vf. zwei Abendmahlsgebete nach Grundform I des Evangelischen Gottesdienstbuches von 1999 (EGb) und eine Abendmahlsliturgie nach Grundform II des EGb analysiert hat, reflektiert er die Verhältnisbestimmung von Liturgie und Dogmatik anhand der Frage von eucharistia und promissio bzw. anabase und katabase. Der Vf. stellt exegetisch heraus, dass beide Aspekte im frühchristlichen Herrenmahl vorkommen und als Toda des Auferstandenen verstanden wurden. Problematisch wird für ihn der Vorgang dann, wenn auch die Abendmahlsgaben Brot und Wein in diese Bewegung hineingenommen werden, wenn auch Brot und Wein Gott als Opfer dargebracht werden und nicht ausschließlich Gabe Gottes an die Glaubenden sind. Er hebt zu Recht eine strikte Unterscheidung zwischen dem Sühnopfer Chris­ti und dem Dankopfer der Gemeinde bzw. zwischen einer Darbringung der consecranda und consecrata hervor. Die damit angezeigte Frage, ob für die Anamnese des Heilswerkes Christi die Form der Proklamation oder des Gebets zu verwenden ist, verschärft sich, wenn auch der Opferbegriff mitbedacht werden soll, wie es in der liturgiewissenschaftlichen Diskussion geschieht. Denn nun müssen auch Darbringungsaussagen einbezogen werden. Die aber sollen laut dem Vf. die katabatische Selbstvergegenwärtigung Jesu verdunkeln. Doch was hier dunkler wird und warum woanders etwas heller ist, ist leider nicht nachvollziehbar, denn der Vf. wechselt von einer rational-theologischen Ebene der Argumentation auf eine ästhetische Ebene. Aus all diesen »dunklen« Gefilden rettet er sich mit der Aussage, dass die verba testamenti »Kern und Stern« (541) der Abendmahlsliturgie sind und als promissio zu verstehen sind. Leider bietet der Vf. keine eingehende Analyse der Einsetzungsworte, die zu dieser Aussage berechtigen würde, obwohl er die Eucharistiegebete bzw. die Abendmahlsliturgie gewürdigt hat. Auch findet der Leser keine Auseinandersetzung mit dem Opferbegriff, der die Sache ja vielleicht erklären würde. Je nachdem, ob der Begriff Opfer als Hingabe oder als Gedächtnis oder als Tauschansinnen oder gar als Einwirken auf Gottes Willen verstanden wird, folgen daraus auch verschiedene Interpretationen der eucharistischen Gebetsaussagen.
Für den Vf. ergibt sich eine Eucharistiegebetsstruktur, die anabatisch – katabatisch – anabatisch organisiert ist, da alle eucharistischen und epikletischen (anabatischen) Texte von den (katabatischen) Einsetzungsworten herkommen und auf sie zugehen.
Indem der Vf. von der theologia prima spricht, scheint er festhalten zu wollen, dass Gott sich wohl nur verkünden lässt oder sich selbst vergegenwärtigt, wenn der Liturg die promissio eindeutig zum Ausdruck bringt – aber ob Gott sich davon abhängig macht? Wohl ebenso wenig, als wenn angenommen wird, dass er sich nur dann vergegenwärtigt, wenn er im anabatischen Sprechakt darum gebeten wird. Wenn schon die Freiheit Gottes betont wird, dann wird sie wohl auch frei von ganz spezifischen Sprechweisen oder Sprechrichtungen sein – das gilt für katabatische wie anabatische Sprechrichtungen. Es geht doch vielmehr darum, wie Gottes Handeln angemessen dargestellt bzw. zum Ausdruck gebracht wird. Und das kann nicht nur von Sprechrichtungen her, sondern muss auch mit dem Inhalt und mit der Form des zur Sprache Gekommenen bedacht werden. Das berücksichtigt der Vf. zwar, analysiert aber dann nicht die unterschiedlichen Modelle des Darstellens und zeigt nicht auf, wie auch sie auf Axiomen beruhen, sondern scheint sein Axiom gewissermaßen als das Uraxiom anzusehen. Es ist aller Ehre wert, die eigene »Theologie des Gottesdienstes« zu explizieren, aber andere Ansätze mit ihren je eigenen Axiomen entfalten schon auf Grund ihrer oftmals anderen Be­griffsverständnisse eine eigene Argumentationsstruktur. Sie ihrerseits evoziert ein eigenes Verstehen und hat einen Erkenntniswert, den es zu berücksichtigen gilt.