Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2007

Spalte:

851 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Shults, F. LeRon

Titel/Untertitel:

Reforming the Doctrine of God.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2005. X, 326 S. m. Tab. gr.8°. Kart. US$ 35,00. ISBN 978-0-8028-2988-7.

Rezensent:

Johannes Zachhuber

Der noch relative junge amerikanische Verfasser legt in schneller Folge monographische Abhandlungen vor, die sichtlich der Versuch sind, das Gesamt der traditionellen Dogmatik abzudecken. Dabei lässt er sich von der Grundeinsicht leiten, dass die Theologie semper reformanda ist und deshalb notwendig in Kontinuität wie in Diskontinuität zu ihrer eigenen Tradition steht, die auf der Grundlage des biblischen Zeugnisses und im Licht gegenwärtiger Einsichten immer wieder neu artikuliert und rekonstruiert werden muss (25). Der vorliegende Band ist, wie schon aus dem Titel ersichtlich, komplementär zur 2003 erschienenen Abhandlung Re­forming Theological Anthropology angelegt und beabsichtigt. Der Untertitel dieses früheren Textes lokalisiert das theologische Denken von Sh. »after the philosophical turn to relationality«, und dieser Ort ist auch für den vorliegenden Band konstitutiv. Sh. sieht in philosophischen Entwicklungen vor allem des 20. Jh.s eine Konvergenz, die sich unter diesem Stichwort subsumieren lässt und der Theologie eine neuartige Chance einräumt, ihr eigenes Thema angemessen zu artikulieren. Dagegen hatte die im Grunde seit Aristoteles, insbesondere jedoch in der frühen Neuzeit dominierende Form der Substanzmetaphysik theologisches Denken in ein Prokrustesbett gezwängt, das es ihm faktisch unmöglich machte, von der Bibel her gebotene Einsichten adäquat zu artikulieren. Damit nimmt Sh. ein Anliegen auf, das zumindest seit der Ritschlschule unter dem Titel der Metaphysikkritik gängig ist. Er will gleichwohl nicht einer Rundumkritik an der protestantischen Orthodoxie das Wort reden, sondern argumentiert, dass diese angesichts der zu jener Zeit vorhandenen Alternativen durchaus sachgemäß entschieden habe (10 f.). Mehr als eine Ehrenrettung wird so freilich kaum erreicht, und der Theologe, dem von der neueren Philosophie ein vermeintlich besseres Instrumentarium zur Verfügung gestellt ist, blickt gewissermaßen vom sicheren Ufer auf die Zeugnisse einer, wenn auch unverschuldeten, nichtsdestoweniger hochproblematischen Verzerrung der christlichen Botschaft zurück (vgl. 4 f.).
Das theologische Denken von Sh. ist sehr klar strukturiert, was es ihm sogar erlaubt, die Resultate seiner Arbeit an den verschiedenen dogmatischen Topoi in einem Epilog in Form mehrerer Matrizen darzustellen (294–297). Die Struktur seiner Behandlung der Gotteslehre entspricht der der Anthropologie und Soteriologie und der (geplanten) Christologie und Pneumatologie. Konkret arbeitet er in einem ersten Teil (»Challenges in the Doctrine of God«) drei frühneuzeitliche Problembereiche heraus, die als jeweils Cartesianische, Ockhamistische und Newtonsche »Ängste« profiliert werden, nämlich a) eine »epistemische Angst«, b) die Angst vor vollkommenem Determinismus und c) die Angst vor einem szientis­tischen Atheismus. Als Reaktion darauf wurde von Gott wesentlich geredet als a) immaterielle Substanz, b) absolutes Subjekt und c) Erstursache. Dabei gingen wesentliche Einsichten verloren: a) vernachlässigt die qualitative oder »intensive« Unendlichkeit Gottes, b) die Trinität und c) die Futurität bzw. die Eschatologie. Nun hat freilich die philosophische Diskussion der letzten 100 Jahre genau jene Grundannahmen der frühneuzeitlichen Philosophie problematisiert und diskreditiert, und dementsprechend war die Theologie in der Lage, hier entscheidende Kurskorrekturen vorzunehmen, wie ein Referat ausgewählter Theologen, gemäß dem Herkommen von Sh. vornehmlich reformierter und lutherischer Provenienz, jedoch mit einem Ausblick auf die katholische und orthodoxe Diskussion zeigen soll. Die Darstellung dieser Ansätze, wiederum gegliedert nach demselben Dreierschema, macht den zweiten Hauptteil des Buches aus (»Trajectories in the Doctrine of God«). Durch weitgreifende Rückblicke auf biblische und patristische Traditionen will Sh. deutlich machen, dass die »Reformation« der Theologie im 20. Jh. tatsächlich originäre, aber verschüttete Einsichten der christlichen Botschaft wieder zur Geltung bringt. Ein dritter Teil (»Reforming the Doctrine of God«) fasst die Ergebnisse systematisch unter den Eigenschaften der »allwissenden Treue«, der »allmächtigen Liebe« und der »allgegenwärtigen Hoffnung« zu­sammen.
Das Buch hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Was an einer Stelle als bewundernswerte systematische Stringenz er­scheint, wirkt an anderer Stelle zu holzschnittartig; der Blick aufs Ganze gibt den Eindruck umfassender Belesenheit, dem freilich im Detail Oberflächlichkeit und (zu) viele Ungenauigkeiten entgegenstehen. Die Konvergenz, die Sh. in den diversen theologischen und philosophischen Ansätzen des letzten Jh.s finden will, ergibt sich nur dadurch, dass er deren jeweiliges Profil so weit abschleift, dass ihr je eigener Beitrag zur Diskussion nicht mehr wirklich erkennbar ist. Wenn auf wenigen Seiten (26–30) Heidegger, Levinas, Derrida (und irgendwie auch Hegel) als Zeugen für eine spätneuzeitliche Rehabilitierung der Alterität angeführt werden, dann ist das natürlich irgendwie richtig, gleichzeitig jedoch auch wieder nichtssagend. Dasselbe gilt von den Referaten moderner Theologen im zweiten Teil. Der Systemzwang, unter den Sh. sich selbst bringt, hat zur Folge, dass er in jeweils kurzen (zwei- bis dreiseitigen) Skizzen demonstrieren muss, dass – um nur ein Beispiel zu nehmen – Barth, Gunton, Moltmann, Jüngel, Pannenberg, Jenson, Rahner und Zizioulas dem Thema der Unendlichkeit Gottes zentrale Bedeutung beimessen (107–128). Abgesehen davon, dass diese Referate gelegentlich gezwungen und hinsichtlich der Auswahl der Belegautoren willkürlich wirken (wie kann im Zu­sammenhang der Rehabilitierung von Gottes Unendlichkeit im 20 .Jh. Tillich fehlen?), belegen sie auch im Idealfall nur die historische Teleologie von Sh., da dieser fast vollkommen darauf verzichtet, die sehr unterschiedliche Rolle zu beleuchten, die eine solche Denkfigur je nach ihrem systematischen Ort für jeden dieser Theologen spielt. Unter diesen Umständen wäre es vielleicht besser gewesen, selektiv einzelne Autoren affirmativ oder kritisch zur Profilierung der eigenen Thesen heranzuziehen. Denn daran, dass die von Sh. herausgearbeiteten Problemfelder von wirklicher Relevanz in der gegenwärtigen theologischen Diskussion sind, kann ja wenig Zweifel bestehen. Sie werden jedoch intensiv diskutiert, gerade weil sie ganz verschiedenartige Artikulationen erlauben und jeweils für sich und in ihrem Zusammenwirken eine Vielzahl neuer Fragen und Probleme aufwerfen. Davon zeigt das Buch bedauerlicherweise zu wenig.
Angesichts der immensen Fülle von Autoren und Texten, die Sh. in seiner Darstellung beständig heranzieht, kann der Hinweis auf Fehler und Ungenauigkeiten schnell kleinlich wirken. Aber wenn z. B. ein Zitat, das an prominenter Stelle (116) Robert Jensons Interesse an der Unendlichkeit Gottes belegen soll, bei diesem vielmehr Wolfhart Pannenberg zugeschrieben wird und sich im Übrigen gar nicht auf Gott, sondern auf die Liebe bezieht, zeigt sich wohl doch ein gewisser Mangel an Sorgfalt in der Erstellung des Manuskripts.