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Ausgabe:

Juli/August/2007

Spalte:

848–851

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Lockmann, Ute

Titel/Untertitel:

Dialog zweier Freiheiten. Studien zur Verhältnisbestimmung von göttlichem Handeln und menschlichem Gebet.

Verlag:

Innsbruck-Wien: Tyrolia-Verlag 2004. 520 S. 8° = Innsbrucker theologische Studien, 66. Kart. EUR 49,00. ISBN 3-7022-2580-3.

Rezensent:

Ralf Miggelbrink

In ihrer an der katholisch-theologischen Fakultät im Wintersemes­ter 2002/03 angenommenen, unter Leitung von Karl-Heinz Menke erstellten Dissertationsschrift verfolgt Ute Lockmann die Fragestellung nach dem »Welthandeln ... Gottes in Reaktion auf das bitten­de Gebet, genauer: auf die im Gebet vorausgesetzte Ver­hältnisbestimmung von göttlichem und geschöpflichem Handeln« (19). L. misst dieser Fragestellung hohe Bedeutung für die Fundamentaltheologie bei. Mit Béla Weissmahr erklärt sie: Wäre Gott nicht irgendwie in der Welt als Handelnder erfahrbar, dann hätte das Wort ›Gott‹ keine Bedeutung mehr (16). Die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus deutet sie ebenfalls als »Handeln Gottes in der Welt« (23). L. verfolgt ihre Fragestellung in zwei großen »Teilen«. Im ersten Teil (64–313) soll naturwissenschaftlich (Ka­pitel 1), philosophisch (Kapitel 2) und theologisch (Kapitel 3 f.) ein Modell der Denkbarkeit göttlichen Handelns in der Welt entwi­ckelt werden. Dieses soll dann im zweiten Teil (314–469) offenbarungstheologisch (Kapitel 1), christologisch (Kapitel 2) und trinitätstheologisch (Kapitel 3) daraufhin überprüft werden, ob es ge­eignet ist, das Handeln Gottes in Jesus Christus angemessen zu verstehen.
Dem ersten Teil vorangestellt ist ein Kapitel, das in dichter Form eine sehr lohnende kleine Philosophiegeschichte der Krise des Sprechens über die innerweltliche Aktivität Gottes bietet (26–62). Etwas zu grob gerät dabei die Darstellung der Position des Thomas von Aquin: Gottes Handeln »praeter causas nobis notas« ist nicht »Wirken der Erstursache ohne Zweitursache«, wie L. knapp erklärt (31). Die Beschreibung der Entwicklung von der Weltmaschine des 18. und 19. Jh.s bis zum evolutiven Weltbild Jacques Monods mündet in die Darstellung der theologischen Krise des Allmachtsbegriffes (43–56). Auch hier urteilt L. kurzschlüssig: Die Unterscheidung zwischen Gott und Allmacht, wie sie Hans Jonas vorschlägt, dient ja gerade der Möglichkeit, nach den Erfahrungen von Auschwitz von Gott sprechen zu können. Eine von Gott selbst zurückgehaltene Allmacht ist nicht keine Allmacht. L. aber fordert die Denkbarkeit einer jederzeit aktiven Allmacht Gottes als des »Herrn der Welt«, der »immer wieder frei und souverän den Lauf der Ereignisse« »bestimme« (61), und erklärt: »Ein nicht allmächtig gedachter … Gott ist schlechterdings und definitionsgemäß nicht göttlich« (56). Genau diese vollmundige Forderung wird sie im Lauf ihrer weiteren Untersuchung selbst nicht erfüllen.
Die Überwindung des starren mechanischen Determinismus in Quantentheorie, Chaostheorie und Evolutionstheorie deutet L. als das Ende der naturwissenschaftlichen Hermetik hinsichtlich der Welterklärung. Sie vermeidet es allerdings klugerweise, Gottes Handeln quantentheoretisch auf der Ebene der kleinsten Elemen­tarteilchen (65) zu verorten oder evolutionsbiologisch die Offenheit des Weltsystems als Möglichkeitsbedingung des Werdens von Neuem mit der Wirklichkeit Gottes und seinem Wirken zu identifizieren (101). Sie nimmt vielmehr die genannten Dimensionen naturwis senschaftlicher Theoriebildung als Hinweis für die Möglichkeit und Notwendigkeit eines neuen Modells im Miteinander von Theo­logie und Naturwissenschaften. Das Konkurrenz- und das Inkom­men­­­sura­bilitätsmodell sind gescheitert. Konkordanz- und Kon­sonanzmodell seien »auf Harmonie abgestellte« Varianten des Konkurrenzmodells. Das Dialog- oder Interaktionsmodell »Bereich struktureller Interferenzen« bleibt festgelegt auf den Bereich »struk­tureller Dif­ferenzen« (102). L. argumentiert im Sinne einer me­tho­dischen Be­schränkung des Geltungsanspruches naturwissenschaftlicher Forschung. Immer handelt es sich um »hypothetisch-mo­dellhafte, auf Bewährung angelegte, unzeitliche und im­mer eine subjektive Komponente bergende Erfassung der Natur« (109). Der Naturwissenschaftler könne in etwa so viel zur Diskussion um »den Sinn der Wirklichkeit als ganzer« beitragen, wie der Grammatiker als solcher einen Text interpretieren kann (111). Jetzt wäre es ein ziem liches Stück Denkweg, um nicht nur den Geltungsanspruch der Naturwissenschaft zu be­schränken, sondern den Auskunftsanspruch der Theologie für den Sinn des Ganzen zu begründen. Dieses Stück spart sich L. durch eine Setzung: Die Theologie setzt eben vo­raus, »dass das Weltall Gottes Schöpfung ist« (113). Die Naturwissenschaft, so das Resultat von Kapitel 1, hat von sich aus nicht die Möglichkeit, dieser Setzung die Denkbarkeit abzusprechen.
Das 2. Kapitel des ersten Teils liefert eine thetisch vorgetragene, an Béla Weissmahr anschließende Theorie des Zueinanders von göttlicher Transzendenz und Immanenz als analogieloses Verhältnis des gleichsinnigen Wachstums von normalerweise Unvereinbarem: Identität und Differenz wachsen im selben Maße (134). Diese Grundgegebenheit des Gott-Welt-Verhältnisses verankert L. spekulativ im göttlichen Wesen selbst: Gottes Einheit sei selbst »Einheit der Beziehung von Verschiedenen« (153). Die Deutung der Schöpfung als Entsprechung zu der Differenz von Vater und Sohn vermeidet nach L. Dualismus und Pantheismus (161) und ermöglicht die Deutung der sich mitteilenden »Liebesherrlichkeit Gottes« (160) als überbietende christliche Antwort auf die griechisch-philosophische Frage nach der Weltseele (135–148).
Das 3. Kapitel bietet in einem ersten Teil eine kritische Aufnahme der scholastischen Lehre vom erstursächlichen Wirken des transzendenten Gottes in den innerweltlichen Zweitursachen. Als Wirken an den geistbegabten Zweitursachen ist Gottes Handeln an der Welt seine Wirksamkeit im und durch das menschliche Erkennen und die menschliche Setzung von Handlungszwecken (164–213). An die Darstellung dieses von L. »kausal« genannten Modells schließt sich die Diskussion eines Modells göttlichen Handelns an, das von ihr »personal« genannt wird (214–252). In der Freiheitsanalytik des Münchener Philosophen Hermann Krings erblickt L. im Anschluss an Thomas Pröpper und Georg Essen ein Modell, das ihr »wesentlich tauglicher« erscheint für die Beschreibung des Gott-Welt-Verhältnisses als »der statische Gottesbegriff des mittelalterlichen Denkens« (232). Weil Gott die Freiheit als den wesentlichen Zweck seiner Schöpfung will, nutzt er seine Allmacht nicht, um in die Welt einzu­greifen, denn dann würde er sich »vermittels seines Könnens über sein Wollen hinwegsetzen« (239). Gottes innergeschichtliches Handeln könne nicht als Handeln an den Menschen verstanden werden, sondern sei Eröffnung des Freiheitsraumes menschlicher Freiheit – um der Freiheit willen, in der zugleich der wesentliche ethische als auch der wesentliche religiöse Vollzug beschlossen sind. Während das kausale Modell des Verhältnisses von Gott und Welt dem Menschen immer nur die Möglichkeit vorhalte, sich betend absolut in Gottes Wil­len zu geben (259–267), ringt der Beter im personalen Modell betend mit Gott, nicht um die Erfüllung der Bitte, sondern um die Erkenntnis des Sinns im Geschehen (282). In einer partnerschaftlichen (!) Dialogbeziehung zu Gott erfahre der Beter seine Befreiung durch Gott (290). L. räumt ein, die starke Betonung des Gegensatzes zwischen dem sog. kausalen und dem sog. personalen Modell des Gott-Welt-Verhältnisses sei »plakativ« (291), angemessener wäre es, angesichts der zitierten Autoren von einem künstlichen Gegensatz zu sprechen, denn Karl Rahner denkt keineswegs kausalmechanisch, wie L. behauptet, sondern ebenfalls transzendentallogisch. Ob­wohl L. ein intermittierendes Geschichtshandeln Gottes um der menschlichen Freiheit willen zurückweist, will sie von einem Handeln Gottes in und an der Welt sprechen, das primär durch seine Intention geprägt sei, »zur Freiheit« zu befreien (310).

Im zweiten Teil der Arbeit (1. Kapitel: 314–383) führt eine Anwendung des »personalen Modells« des Verhältnisses von Gott und Welt zum Verständnis der biblischen Heilsgeschichte als Befreiungsgeschichte. Dass in Jesus Christus Gott handle, könne zwar nicht mit naturwissenschaftlichem Beweischarakter behauptet werden. Die Aussage darf jedoch als »bewährt gelten« (383), weil Jesus »in der begegnenden Anerkennung der Freiheit Gottes« zum Täter der »alles verwirklichen könnenden Liebe Gottes« (383) wurde. Dieses Konzept wird dann am Gebet Jesu im Ölgarten und am Kreuz überprüft (402–434). Das Gebet im Ölgarten sei »das Bittgebet par excellence« (404). Hier unterwerfe sich jedoch nicht der menschliche Wille Jesu unter den göttlichen, sondern in der »bedingungslosen Zuwendung des Vaters« überlasse der Sohn sich im Gebet dem »uneingeschränkten und bedingungslosen Vertrauen« zum Willen des Vaters (408 f.). Weil sie mit der christologischen Zweinaturenlehre unnötigerweise ein freiheitswidriges, gehorsamstheologisches Unterwerfungskonzept verbindet, folgt L. an dieser Stelle einer neuchalkedonischen Christologie: Das Gebet am Ölberg wird ihr so zum innergöttlichen Dialog, zur Einstimmung des göttlichen Logos in den ursprünglich »innertrinitarischen Entschluss« (410). Der erkennbare Gegensatz zwischen dem Willen Jesu und dem göttlichen Willen ist nur »vorgeblich« (410). Im Widerspruch dazu will L. dann aber doch eine menschliche Freiheit Jesu erkennen (411), die darin zum vollendeten Vollzug der Freiheit kommt, dass sie den »unbedingt anerkennenden Liebeswillen Gottes« realsymbolisch darstellt (414). In der vollkommenen Einstimmung in den Willen Gottes, die sich als Jesu Proexistenz realisiert, ereignet sich bereits vorösterlich die Vollendung Jesu. Jesus wurde nicht von Gott auferweckt, sondern in seiner Auferstehung manifestiert sich der ihm von Gott her ermöglichte Sieg der Liebe über den Tod (428). Der Ausruf »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« muss in dieser Deutung des Todes Jesu als Bleiben in der »betenden Beziehung zum Vater« interpretiert werden (434), in der allein »die äußerste Bitte des Menschen, nämlich die Bewahrung vor dem Tod«, für Gott erfüllbar sei (434).
Als Ergebnis ihres Argumentationsganges interpretiert L. im Ab­schlusskapitel des 2. Teils ihrer Arbeit das Jesuswort: »Um was ihr in meinem Namen bittet, werde ich tun.« (435–469) Das Gebet zu Gott ist als reale Beziehung zu Gott »Beten zum Vater durch den Sohn im Heiligen Geist« (448), durch das der Betende die notwendige Bedingung dafür erfüllt, dass Gottes »unbedingt für den Menschen entschlossene Liebe in dieser Welt zur real wahrnehmbaren Gestalt gelangt« (456). Deshalb muss das Ausbleiben des Gebetes als Verunmöglichung des göttlichen Handelns in der Geschichte in­terpretiert werden. Umgekehrt kann L. »überall dort, wo Menschen durch ihr Gebet von der Liebe Gottes bestimmt werden … jene Freiheit am Werk [sehen], die Mensch geworden ist …«, um Gottes un­bedingte Bejahung der fremden Freiheit auszusprechen, um sie in seinem Geist, in der Hoffnung auf den Vater, dem Sohn ähnlich zu gestalten.
Auch wenn im Gang der Untersuchung Detailentscheidungen fallen, die nicht notwendig sind für die Argumentation und die zum Teil auch fragwürdig bleiben, so erscheint – vom Ende her gesehen – der Entwurf von L. als Gebetstheologie von respektabler systematischer Konsistenz. Die gebetstheologische Position L.s er­möglicht eine Rede vom innerweltlichen Handeln Gottes nach dem Modell des Sohnes, in der Kraft des Geistes jenseits von Enthusiastentum und Empirismus. So wie L. jedoch in ihrer Deutung der Gethsemane-Perikope ein menschliches Streben Jesu tendenziell monotheletisch meint ausblenden zu sollen, so unterlegt sie einen anthropologischen Begriff vom Menschen als von Gott bejahter Freiheit. Die Dimensionen von Kontingenz, Endlichkeit, Bedürftigkeit und Biographie, das Leben der Menschen, insofern es Bibel und Patristik »Fleisch« nennen, findet bei L. ebenso wenig Aufnahme wie die davon abhängige religiöse Problematik von Leiden und Tod. Insbesondere für eine Gebetstheologie als Theologie des Bittgebetes liegt darin eine Engführung, die den existentiellen Einstiegspunkt in die Praxis des Betens verfehlt. Dem um Genesung betenden Kranken verheißt die Theologie L.s die alles vermögende Liebe Gottes, die wirksam wird, wo Menschen sich der freien Verfügung Gottes öffnen.