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Ausgabe:

Juli/August/2007

Spalte:

844–848

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Haudel, Matthias

Titel/Untertitel:

Die Selbsterschließung des dreieinigen Gottes. Grundlage eines ökumenischen Offenbarungs-, Gottes- und Kirchenverständnisses.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006. 640 S. gr.8° = Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, 110. Geb. EUR 69,90. ISBN 3-525-56338-8.

Rezensent:

Ralf Miggelbrink

Die im Wintersemester 2003/04 an der evangelischen Fakultät der Universität Münster angenommene Habilitationsschrift von Matthias Haudel folgt der Hypothese, zähe ekklesiologische Differenzen zwischen den Kirchen der Reformation, dem Katholizismus und der Orthodoxie hätten nur dann »eine realistische Chance« auf ernsthafte Überwindung, wenn die fundamentaleren Divergenzen im Offenbarungsverständnis und der Trinitätslehre überwunden würden (17). Seine Darstellung der trinitarischen Selbsterschließung Gottes versteht H. als »einen Beitrag zur Bereitstellung der materialen theologischen Grundlage eines ökumenischen Kirchen- und Einheitsverständnisses« (20). Deduktive Vorgehensweise, hohe Komplexität und damit einhergehend notwendig ein hypothetischer Charakter des Gesamtentwurfes sind unvermeidbare Folgen dieser anspruchsvollen Zielsetzung H.s.
Die erforderliche fraglose Ausgangsposition seines trinitätst­heo­logischen Entwurfes sucht H. im Vorgehen des zweiten ökumenischen Konzils von Konstantinopel (379). Diesem Konzil misst H. auf Grund seiner Rezeptions- und seiner Entstehungsgeschichte ein hohes Maß an West-Ost-Ökumenizität zu (139). Die mía-ousía-trêis-hypostáseis-Formel wurde im Westen wie im Osten als verbindlich anerkannt. Die westliche Verwendung des Person-Begriffs bei ihrer Übersetzung (una substantia – tres personae) wurde von Gregor von Nazianz als legitime Vermeidung der Missverständnisse bewertet, die durch die Verwendung des eigentlich zutreffenden Begriffes »subsistentia« wegen der Nähe zu »substantia« zu befürchten wären (139). Anders als bei späteren spekulativ-theologischen Anläufen, »bei denen eigene, anthropomorphe und philosophische Prämissen im Vordergrund stehen« (96), verfolgten, so H., im Osten die Kappadokier und im Westen die Vertreter der »neunizänischen Trinitätslehre« (H. übernimmt diese Terminologie von Christoph Markschies, ohne ihren Ursprung weiter zu reflektieren: 139) einen dezidiert offenbarungstheologischen Weg. Es gehe darum, »doxologisch und soteriologisch« das Gotteszeugnis der Bibel zu formulieren. H.s eigene Zielsetzung soll in dieser Spur bleiben: Die heilsgeschichtlich-biblische Trinitätslehre, die im Konzil von Konstantinopel ihren authentischen Ausdruck in einer behutsam verwendeten philosophischen Terminologie ge­funden hat, soll, so wie sie im zweiten Kapitel (82–153) der Arbeit H.s anhand der Sekundärliteratur rekonstruiert wird, die »Grundlage« bilden für ein ökumenisches Verständnis von Trinität, Offenbarung und Kirche.
Dem leuchtenden Vorbild der Alten Kirche stellt H. in seinem dritten Kapitel (154–240) eine augustinisch-scholastische Zerfallsgeschichte gegenüber: Angeregt durch die psychologische Trinitätslehre Augustins habe in der mittelalterlichen Theologie eine interpersonale Interpretation der Trinität mit überstarker Betonung der Einheit Gottes gegenüber einer interpersonalen Trinität obsiegt. Richard von St. Viktor und Ruppert von Deutz wird demgegenüber attestiert, dass sie »eine differenzierte und nicht nur abendländisch geprägte Trinitätslehre vertraten« (162). Luther schließlich wird zum Wiederentdecker einer »biblisch-ökonomischen Trinitätslehre« (175) erklärt. Die protestantische Orthodoxie aber sei durch Konfessionalismus und Religionskriege in einem solchen Ausmaß zur Auseinandersetzung mit dem thomistischen Aristotelismus des katholischen Lagers gezwungen gewesen, dass auch sie dazu übergegangen sei, den Traktatteil »De Deo Uno« dem Trinitätstraktat voranzustellen. Dadurch aber war der Sündenfall vollzogen, durch den die heilsgeschichtliche Gotteslehre in das »Gefängnis« der theistischen Spekulation geriet. Im Gefängnis des Theismus war die westliche Christenheit im 19. und 20. Jh. den Angriffen des Atheismus ziemlich hilflos ausgeliefert. Hegel zwar habe Widerstand geleistet gegen die theistische Trennung von Gott und Welt, sei dabei aber in das gegenteilige Extrem »der Identifikation von göttlicher Immanenz und Ökonomie« (200) verfallen. Dem wohl bedeutendsten Versuch einer spekulativen Trinitätslehre im protestantischen Lager erteilt H. mehrfach stereotyp mit dem apologetischen Standardvorwurf des Pantheismus eine knappe Absage. Den Abschluss des dritten Kapitels bildet ein kurzer Ausblick auf ein Wiederaufleben des trinitarischen Denkens im Protestantismus, des heilsökonomisch-trinitarischen Denkens im Anglikanismus sowie auf die neueren katholischen Beiträge zur Trinitätslehre und ihre ekklesiologischen Implikationen.
Das vierte Kapitel bietet vier Einzelautorenstudien zu neueren Entwicklungen in der Trinitätslehre. Unterschieden werden Rahner und Jüngel als Vertreter einer »intrapersonalen« Trinitätslehre (242–279) von Jürgen Moltmanns »interpersonal geprägter Trinitätslehre« (280–299). Dumitru Staniloae deutet H. als Erneuerer einer heilsökonomischen Trinitätslehre (301–335). Rahners Beitrag zur Trinitätslehre wird als Schritt in die richtige Richtung gedeutet. Er erreicht allerdings nicht die H.sche Norm, biblisch-ökonomisch genannt werden zu können, sondern wird als »existentiell-ökonomisch« einsortiert (256).
Da H. unterstellt, eine biblisch-ökonomische Trinitätslehre müsse die göttliche Einheit interpersonal statt intrapersonal beschreiben, muss an Rahner kritisiert werden, dass er mit der großen Tradition metaphysischen Denkens an der absoluten Einfachheit Gottes festhält (253). Weil H. verkennt, dass »Einfachheit Gottes« ein Begriff ist, der sich aus der spekulativen Beschreibung der Unterschiedenheit von Gott und Welt ergibt, missdeutet er Rahners Insistieren auf der Einfachheit Gottes als unvollkommene Bewältigung der lateinischen Tradition. Das Personverständnis Rahners nennt H. »intrapersonal-individualistisch« (261; 326 auch: intrapersonal-idealistisch). Ärgerlich ist in diesem Zusammenhang die Behauptung, Rahner sei ignorant gewesen gegenüber dem »modernen Personalismus«. Bei einem etwas sorgfältigeren Blick in die Primärliteratur (H. beschränkt sich im Wesentlichen auf einen einzigen Handbuchartikel!) oder einschlägige Untersuchungen über Rahner hätte H. Rahner als einen der Wegbereiter personalistischer Kategorien in der katholischen Theologie kennenlernen können. In diesem Kontext hätte H. dann auch jene Aufsätze entdecken können, mit denen Rahner seine Ablehnung des personalistischen Personbegriffs im Kontext der Trinitätslehre begründet. Rahners Initiative zur Erklärung des innertrinitarischen Personbegriffs wird mit fragwürdig eindeutigen Autoritätsargumenten abgewertet (260 f.).
An Eberhard Jüngel kritisiert H., die ökonomische Trinität werde bei ihm aus einer Notwendigkeit der immanenten abgeleitet (276). Anders als bei Rahner, dem H. ein Übergewicht an Inkarnations­so­teriologie vorwirft, wird Jüngel seine kreuzestheologische Schwer­punktsetzung zum Vorwurf gemacht (274 f.).
Jürgen Moltmanns soziale Trinitätslehre wird von H. positiv gesehen, allerdings wendet er gegen Moltmann ein, er überzeichne die interpersonale Dimension des göttlichen Personbegriffes und vernachlässige die intrapersonale (288), so dass er in die Nähe der Gefahr des Tritheismus gleite. Hier versucht H. das Feld der Trinitätslehre in der Mitte zwischen Modalismus und Tritheismus zu verorten (289).
Erstaunlich ist, dass H. dem einzigen referierten orthodoxen Theologen, Du­mitru Staniloae, wesentliche Merkmale der orthodoxen Tradition kurzerhand zum Vorwurf macht: die Rolle der Tradition für die theologische Er­kennt­nislehre (314), die starke Betonung des einen innertrinitarischen Ur­sprungs (316), die Vernachlässigung des einen göttlichen Wesens, das H. als »intrapersonale Dimension Gottes« bezeichnet (317), die Parallelisierung göttlicher und menschlicher Strukturen (318). Die Zurückweisung des Theosiskonzeptes bei Staniloae gipfelt in einem Gewitter häresiologischer Schlagworte zur Zurück­weisung einer »naturalistisch-evolutionistischen Theosis neu­platonisch-he­gelscher Prägung« (319).
Was bisher immer auch in der Darstellung einen breiten Raum einnahm, wird im fünften Kapitel der Arbeit noch einmal eigens thematisiert: die »ekklesiologischen Konsequenzen der trinitätstheologischen Defizite« (336–453). Bei Joseph Ratzinger sieht H. das Kardinalübel in einer »defizitären Qualifizierung des [innertrinitarischen] Personbegriffes« (364). Der daraus resultierenden »zentralistisch-monistischen Trinitätslehre« (ebd.) entspreche ein ebensolches Kirchenverständnis. Ioannis D. Zizioulas wirft H. dessen Ignoranz ge­genüber allen neutestamentlichen Bildern der Unterscheidung von Chris­tus und Kirche vor, die zur Folge habe, dass Christus zur reinen Korporativ­person werde (389). An dem Protestanten Miroslav Volf weiß H. zu kritisieren, dessen egalitär-perichoretisches Trinitätsverständnis zeuge ein »egalitär ori­entiertes Kirchen- und Amtsverständnis, das der spezifischen Funktion des Amtes nicht genügend Rechnung trägt« (430).

Nachdem der Abschluss des fünften Kapitels noch einmal die Grund­these der Interdependenz von Gottes- und Kirchenverständnis expliziert (431–452), sollen im sechsten und letzten Kapitel der Arbeit H.s »Lösungsansätze für ein ökumenisches Offenbarungs-, Gottes- und Kirchenverständnis« entwickelt werden (453–605). In einem ersten Schritt soll die altkirchliche Trinitätslehre Defizite der gegenwärtigen Trinitätslehren überwinden helfen. Die Entfaltung dieses Programms erfolgt anhand dreier Begriffspaare: Das Verhältnis von natürlicher Theologie und Trinitätsoffenbarung wird anhand der Begriffe »Ahnung« und »Offenbarung« bestimmt (454–507). Im Hervortreten des personalen Geheimnisses Gottes als »freies und vollkommenes Leben der Liebe« (479) erfahren Menschen die richtende Erfüllung der »Ahnung«, als welche H. die personale, anredebezogene (468) Selbsttranszendenz des Menschen interpretiert. Das Zueinander von Ahnung und göttlicher Selbsterschließung öffnet den Blick auf den Glauben als »empfangender Glaube«, der gefeit ist vor den Versuchungen reiner Rationalität oder des Fideismus (485). Im Zueinander von Ahnung und Selbsterschließung Gottes manifestiere sich das integrale Miteinander kataphatischer Rationalität und apophatischer Transzendenta­lität (486), das wiederum assoziiert wird mit den Kategorien von einwohnender Nähe Gottes und transzendentem ›extra nos‹ (491). Der Begriff der Ahnung beschränke die natürlich-spekulative Theologie. Diese Notwendigkeit werde von Ansätzen zu einer »Metaphysik der Liebe«, namentlich von Hans Urs von Balthasar und Ludger Oeing-Hanhoff, übersehen (493). Die Trinitätsoffenbarung wird bestimmt als die gnoseologische Präsenz der ökonomischen Trinität, deren Wahrheit in der ontologischen Wirklichkeit Gottes begründet sei (502). Diese Bestimmung respektiere die Freiheit der revelatio und verhindere die für die philosophischen Spekulationen so grundlegende formale Identifikation von immanenter und ökonomischer Trinität, die H. am Rahnerschen trinitätstheologischen Grundaxiom bemängelt.
Das zweite Begriffspaar unterscheidet zwischen ökonomischer und spekulativer Energienlehre (508–521). H. votiert für eine ökonomische Energienlehre, die die Fehlentwicklungen der ökonomische und immanente Trinität trennenden oder identifizierenden Trinitätslehren überwinden könne (515 f.). Die Differenzierung zwischen einer trinitarischen Ursprungs- und der Existenzebene soll schließlich helfen das filioque-Problem zu lösen (522–559).
Ein Ausblick (585–605) skizziert mögliche Relevanzen der trinitätstheologischen Einsichten H.s insbesondere für die Ekklesiologie. Vorrangig das Begriffspaar »Gegenüber – Nähe« wird hier als strukturbildend eingeschätzt: Der sich erschließende Gott der Liebe ist nahe in seiner Einwohnung und erschließt sich so als der Andere, das Gegenüber.
Der kühne Anlauf, einen ganzen Schwung gegenwärtiger Trinitätslehren ausgehend von einer für kanonisch genommenen altkirchlichen Trinitätskonzeption zu kritisieren und der spekulativen Eindeutigkeit ein dialektisches Verfahren der Einkreisung des Offenbarungsgehaltes von Trinität mittels gegensätzlicher Be­griffspaare entgegenzusetzen, wirkt auf den ersten Blick vermessen. Seine Durchführung wird unter anderem auch deshalb möglich, weil insbesondere in den Kapiteln 3 und 4 die präzise Wahrnehmung der Ansätze in ihren Anliegen und Stärken einer schematisch-häresiologisch wirkenden Kategorialisierung weicht. Das ist wohl der Preis jener klaren Urteile, die H. seine imposante Übersicht über die Jahrhunderte ermöglichen. Das Ergebnis allerdings lässt sich seinerseits ebenfalls wieder einsortieren in das große Feld offenbarungs- und trinitätstheologischen Denkens. Die metatheologische Rolle, die um der ökumenischen Zielsetzung willen hätte angestrebt werden müssen, wird nicht erreicht, weil H. zu sehr einer eigenen trinitätstheologischen Idee folgt. Sein Anliegen ist gekennzeichnet durch einen robusten Schriftfideismus. Von einem solchen aus gesehen ist das angebotene Verfahren einer Trinitätstheologie, die auf das Ereignis des sich offenbarenden Gottes hinweist, indem es die trinitätstheologischen Einsichten der Theologien als gegensätzliche Positionsmarken annimmt, zwischen denen das Glaubensdenken hindurchzufahren habe wie einst Odysseus zwischen Skylla und Charybdis, ein bedenkenswertes Verfahren.