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Ausgabe:

Dezember/1997

Spalte:

1120–1122

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Elliott, W. J., and D. C. Parker [Eds.]

Titel/Untertitel:

The New Testament in Greek. IV: The Gospel According to St. John. Vol. 1: The Papyri.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1995. 415 S., 48 Abb. gr.8° = New Testament Tools and Studies, 20. Geb. hfl. 231.­. ISBN 90-04-09940-9.

Rezensent:

Klaus Wachtel

Bald nach dem Erscheinen des Lukasbandes des New Testament in Greek (Bd. III, Oxford 1984/87) kündigte David Parker in einem Bericht über den Stand der Arbeit an, daß Band IV "in stages" erscheinen werde, wobei die Papyri den Anfang bilden sollten (D. C. Parker, The International Greek New Testament Project: The Gospel of John, NTS 36, 1990, 157-160). Jetzt liegt der Papyrusband als Bd. IV,1 der Edition vor. Ähnlich wie das Münsteraner Institut für neutestamentliche Textforschung mit der Reihe "Das Neue Testament auf Papyrus" gliedert damit das International Greek New Testament Project diesen editorisch besonders schwierigen Bereich der Überlieferung aus, um zunächst nachprüfbar festzustellen, was genau auf Papyrus überliefert ist.

Auf eine kurze, im wesentlichen editionstechnisch gehaltene Einführung folgen die Eckdaten zu den 23 Johannes-Papyri (Inhalt, Aufbewahrungsort und Inventarnummer, Datierung, Erstedition und weitere Literatur). Nach dem Prinzip, dem Textkritiker nur einen "thesaurus of readings" (Parker a. a. O. 157) zur Verfügung zu stellen, wird auf paläographische und kodikologische Beschreibungen sowie eine Einschätzung des Textcharakters der Papyri ganz verzichtet.

In der Einführung geben die Herausgeber auch Antwort auf die Frage, warum die Kollation der Papyri der Ausgabe des Johannesevangeliums vorausgeschickt wurde. Zwei Gründe (1) sind zweifellos überzeugend: Erstens ist das fragmentarische, oft schwer lesbare Material in einem kritischen Apparat allein kaum genau und vollständig genug wiederzugeben. Zweitens wird es jeder, der sich für die frühe Überlieferung des Joh interessiert, begrüßen, in dieser Ausgabe alle mitunter schwer zugänglich publizierten Johannes-Papyri beieinander zu finden. Der dritte Grund (7) jedoch leuchtet nicht ohne weiteres ein: Das vorkonstantinische Material zeige, welche Texte ("textual materials") die Kirche vor der allgemeinen Einführung ("general introduction") der Pergamentkodizes im 4. Jh. benutzt habe.

Die Papyri des 4. und späterer Jahrhunderte dagegen seien "evidence of a copying that eschewed parchment" (Hervorhebung von mir). In dieser Zeit sei der Beschreibstoff Papyrus von Bedeutung für den Charakter der kopierten Texte. Hier seien Aufschlüsse für ein Studium "of early Christianity’s social and hermeneutical complexities" zu erwarten. ­ Auf eine ausführlichere Formulierung der hier angedeuteten textgeschichtlichen Theorie darf man gespannt sein. Eine spezielle "Papyrus-Textform"wäre für die Zeit seit dem 4. Jh. allerdings erst nachzuweisen. Die neue Theorie wird sich mit einer naheliegenden Erklärung auseinandersetzen müssen: Nicht wenige Gemeinden und Einzelpersonen dürften Pergament nur deshalb "gemieden" haben, weil sie es sich nicht leisten konnten oder weil Pergament schwieriger zu beschaffen war als Papyrus. Auch einem Konstantin war es sicher nicht möglich, alle Gemeinden mit Pergamentkodizes zu versorgen und damit eine "Pergament-Textform" allgemein einzuführen.

Den ersten Hauptteil bilden Transkriptionen von 21 Johannes-Papyri, d. h. von allen außer P66 und P75. In einem Fall (P84) ist die vorliegende Ausgabe die editio princeps. Als zweiter Hauptteil folgt der Apparatus criticus mit Vollkollationen aller Papyri gegen eine bestimmte Fassung des Textus Receptus (Oxford 1873, Nachdruck der Erstausgabe von 1828), die über die Ausgabe von Mill (1707) auf die Stephanus-Ausgabe von 1550 zurückgeht (vgl. die Einführung zum Lukasband, p. VIsq). Ein Anhang mit photographischen Abbildungen aller einbezogenen Papyri beschließt den Band. Diese Abbildungen geben, abgesehen nur von P66 und P75, von denen exemplarisch je eine Seite wiedergegeben wird, die gesamte Papyrusüberlieferung des Johannesevangeliums wieder.

Mit dem ausgezeichneten Photomaterial machen die Hgg. es dem Leser leicht, die Transkriptionen zu überprüfen, ­ und in der Tat müssen sie eine Überprüfung nicht scheuen. Die Texte sind exakt und in sehr anschaulicher Form wiedergegeben.

Bei den Transkriptionen lenken die Herausgeber den Blick des Lesers mit einem einfachen typographischen Mittel auf das Wesentliche: Für erhaltenen Papyrustext verwenden sie Großbuchstaben, für ergänzten Text Kleinbuchstaben. In Anmerkungen werden Abweichungen von den editiones principes notiert und schwierige Lesungen kommentiert. Außerdem haben die Hgg. das Leidener Klammersystem, in dessen Rahmen die Unterscheidung verschiedener Hände im Papyrustext mitunter problematisch ist, für die besonderen Zwecke der Neuedition neutestamentlicher Papyri sehr sinnvoll modifiziert. Geschweifte Klammern umschließen hier Lesungen der ersten Hand, nicht Tilgungen des Herausgebers; spitze Klammern kennzeichnen Korrekturen eines Schreibers, nicht Änderungen des überlieferten Textes durch den Herausgeber.

Im Apparatus criticus werden Vers für Vers zunächst die Papyri genannt, von denen Text erhalten ist. Darauf folgt der Vergleichstext, dann die Rubrik "DEF" (=Deficiencies), die den Textbestand der Papyri für den jeweiligen Vers wiedergibt, soweit er Lücken aufweist. Den Abschluß bildet die Notierung der Papyruslesarten, die vom Textus receptus abweichen.

Für die beiden ergiebigsten frühen Zeugnisse des Johannes-evangeliums, die Bodmer-Papyri II und XIV-XV (P66 und P75), gehören photographische Reproduktionen zu den relativ leicht zugänglichen Ersteditionen. Daß die Herausgeber hier auf photographische Dokumentation verzichtet haben, bedarf keiner Begründung. Weniger einsichtig ist jedoch, warum ausgerechnet diese wichtigen Zeugen nicht nur nicht neu transkribiert wurden, sondern sogar ohne jede Anmerkung blieben. P66 und P75 wurden direkt in den kritischen Apparat eingetragen. Diesen muß der Leser mit der editio princeps vergleichen, wenn er feststellen will, wo die Hgg. von den Ersteditoren abweichen.

Der Apparatus criticus zeichnet sich durch dieselbe Zuverlässigkeit aus wie die Transkriptionen. In einigen Fällen allerdings bietet die Rekonstruktion des Papyrustextes mehr, als der Rez. auf dem Photo verifizieren kann.

Obwohl der vorliegende Band von kleineren konzeptionellen Mängeln nicht ganz frei ist, kann es doch keinen Zweifel geben, daß das IGNTP mit der Neuedition der Johannes-Papyri einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des frühen Textes des vierten Evangeliums geleistet hat. Den Hgg. darf man zu dem glücklich vollzogenen ersten Schritt auf dem Weg zu einem weiteren Band des New Testament in Greek gratulieren.