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Ausgabe:

Juli/August/2007

Spalte:

820 f

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Atkinson, James

Titel/Untertitel:

Faith Lost: Faith Regained. Rediscovering a Transforming Christian Belief.

Verlag:

Leiden-Blandford Forum: Deo Publishing 2005. VIII, 314 S. gr.8° = Theological Seminar Series, 3. Kart. £ 25,95. ISBN 90-5854-027-8.

Rezensent:

Johannes Zachhuber

Das Buch ist nicht im eigentlichen Sinn ein akademisches Werk. Es ist ein leidenschaftliches Plädoyer, ein Pamphlet, in gewisser Weise wohl auch ein Vermächtnis, mit dem der mittlerweile hoch betagte Emeritus aus Sheffield, lange Zeit eine gewichtige Stimme im ›evangelikalen‹ Flügel der Englischen Kirche und ausgewiesen durch Publikationen vor allem zu Luther und der Reformation, nochmals an die Öffentlichkeit tritt. Anlass ist die von ihm dem Leser immer wieder eindringlich vor Augen geführte spirituelle und moralische Krise der gegenwärtigen europäischen Gesellschaften, besonders seiner eigenen. Die Ursache dieser Krise sieht der Vf. in einer einseitig szientistischen und reduktionistischen Weltsicht, deren Vertreter ignorieren, dass sie der Religion und der Theo­logie zur Komplettierung ihres Weltbildes, genauer: für dessen Ganzheitsdimension, bedürfen. Diese Ablehnung der religiösen Dimension hat nun zur Folge, dass jenes Weltbild der modernen Wissenschaft seinerseits zutiefst fragwürdig wird. Das so entstehende Problem wird aus der Sicht des Vf.s dadurch noch erheblich verschärft, dass die in Kirche und Theologie Verantwortlichen ihrer Aufgabe, hier Mahner und Korrektiv zu sein, vielfach nicht nachgekommen sind und auch jetzt nicht nachkommen. Vielmehr ver­suchen sie mit aller Gewalt, auch auf Kosten der Substanz der christlichen Botschaft, sich diesen Entwicklungstendenzen anzubiedern; der Vf. subsumiert alle derartigen Versuche, von der Aufklärung über Bultmann und Tillich bis zu John Robinson und Don Cupitt, unter dem Schlagwort des ›liberalen Modernismus‹. Es ist offensichtlich, dass für den Vf. hier das primäre Ärgernis liegt, und es sind deshalb auch nicht zufällig die diese kirchlichen und theologischen Strömungen behandelnden Teile des Buches (besonders Part II: Faith as Modified by Liberal Modernism), die zu besonders scharfer und oft unduldsamer Polemik neigen. Während der Vf. sich insgesamt müht, nicht die polemischen Abgründe fundamentaler Neuzeitkritik auszuloten, sondern Mal um Mal hervorhebt, welche Vorzüge und Verbesserungen die von ihm diskutierten Entwicklungen wiederum auch mit sich ge­bracht haben, fehlt solche Rücksichtnahme bei der Diskussion moderner »Pop-Theologen« und ihrer kirchlichen Hintermänner oft.
Historisch macht der Vf. den Beginn der von ihm kritisierten Entwicklungen im späten Mittelalter fest. Dabei betont er, dass ihm nicht an einer Auseinandersetzung um die Frage gelegen sei, ob diese Entwicklung tatsächlich im 15. oder erst im 17. oder 18. Jh. eingesetzt habe. Dennoch scheint es nicht zufällig, dass er selbst die entscheidende Weichenstellung so zeitig ansetzt. Der Grund dafür dürfte jedoch weniger in einer bestimmten Interpretation von Spätmittelalter oder Renaissance liegen als vielmehr im Interesse des Vf.s, Luther als ersten Kronzeugen einer christlichen Reaktion auf eine solche (Fehl)entwicklung anzuführen (z. B. 66 f.). Überhaupt ist bemerkenswert, in welchem Maße Luther nicht nur gekannt und zitiert wird, sondern zentrale theologische Autorität ist – für einen anglikanischen Theologen nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit.
Was aber ist die richtige Antwort, die Kirche und Theologie auf die Herausforderung von Modernisierung und Säkularisierung, von Szientismus und Reduktionismus zu geben haben? An vielen Stellen argumentiert der Vf. konservativ-evangelikal: Die biblischen Grundlagen müssten als Offenbarung verteidigt werden; nur durch die Unterwerfung unter die Autorität der Schrift, nicht durch die Fiktion einer rational-autonomen Haltung ihr gegenüber erlange man Eintritt in die Welt des Glaubens. Das schließt für ihn einen rigiden Biblizismus ein, zu dem offenbar auch der beinahe verzweifelte Versuch gehört, an der Historizität des Johannesevangeliums festzuhalten (100 f.). Daneben kennt der Vf. jedoch auch subtilere apologetische Argumente. Besonders das Verhältnis von Religion und Musik ist es, das in seinem Versuch, das Scheitern des Szientismus zu verdeutlichen, immer wieder angeführt wird, um auch für Religion (wie für die Kunst) die Ganzheitsdimension in Anspruch zu nehmen (z. B. 51). Interessanterweise nimmt der Vf. damit eine bevorzugte Argumentationsfigur der von Schleiermacher ausgehenden Theologie des 19. Jh.s auf, die er an anderer Stelle in Bausch und Bogen verdammt (vgl. 80 f.).
Letztlich deutet vieles darauf hin, dass die eigentliche Antwort auf die gegenwärtige Krise des Glaubens, die der Leser der Lektüre des Buches entnehmen soll, dem Exempel des Vf.s selbst entspringt. Immer wieder appelliert er an die Evidenz seiner eigenen Erfahrung eines Durchbruchs zur Klarheit im Glauben. Das ist nun zwar ein bekannter Topos ›evangelikaler‹ Schriften seit dem Pietismus, die darin implizierte wesentliche Subjektivität religiöser Erfahrung zeigt freilich auch und gerade die Modernität solcher Frömmigkeitsbewegungen. Angesichts der heftigen Proteste des Vf.s gegen die Subjektbezogenheit ›liberaler‹ Theologien liegt in dieser Tendenz des Buches eine bemerkenswerte, ironische Pointe.
Insgesamt liegt dem Buch eine tiefe Skepsis angesichts der Ambivalenzen neuzeitlicher Entwicklungen zu Grunde. Solche Skepsis hat in der einen oder anderen Form diese Epoche von ihren Anfängen her begleitet (man denke etwa an John Donne im frühen 17. Jh.). Insbesondere seit der Romantik ist sie dann in das gängige Arsenal linker oder rechter Kulturkritik aufgenommen worden. Unbestreitbar ist die Ambivalenz der Neuzeit, und unbestreitbar ist daher wohl auch die Notwendigkeit für Kirche und Theologie, eine dieser Zwiespältigkeit gemäße Position zu artikulieren. Zweifelhaft ist, dass dies in einer trotzigen Protesthaltung gelingen kann. Dies Buch zeigt beinahe exemplarisch, wie sich der Kritiker selbstverständlich (und zwangsläufig) in eben dem neuzeitlichen Denk- und Vorstellungshorizont bewegt, den er abzulehnen versucht.
Auch wenn das Buch ganz offensichtlich nicht den Anspruch eines im strengen Sinn wissenschaftlichen Textes erhebt, hätte man sich gewünscht, dass der Vf. sich in seiner Darstellung konsequenter auf die Gebiete konzentriert hätte, die ihm gut bekannt sind. Sicher wird man Verständnis dafür haben, dass bei der Diskussion eines so umfassenden Problems, wie es sich ihm stellt, der Horizont kaum zu weit gewählt werden konnte, dennoch enthält das Buch zu viele Kurzcharakteristiken einzelner Personen oder Entwicklungen, die entweder nichtssagend oder irreführend sind. Das ist gerade angesichts dessen bedauerlich, dass dies Buch sich offenbar nicht zuletzt an solche Leser richtet, denen diese Dinge nicht ohnehin geläufig sind. Hinzu kommt, dass man dem Buch einen guten Lektor gewünscht hätte: Es ist in vielen Passagen redundant und sein argumentativer Aufbau nur in seinen Grundzügen wirklich klar und prägnant, in der Durchführung hingegen oft eher verworren.