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Ausgabe:

Juli/August/2007

Spalte:

817 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Thompson, Andrew C.

Titel/Untertitel:

Britain, Hanover and the Protestant Interest, 1688–1756.

Verlag:

Woodbridge: The Boydell Press 2006. XV, 267 S. m. Ktn. gr.8° = Studies in Early Modern Cultural, Political and Social History, 3. Lw. £ 50,00. ISBN 1-84383-241-0.

Rezensent:

Wolf-Friedrich Schäufele

Das Erstlingswerk von Andrew C. Thompson, Lecturer in History am Queens’ College in Cambridge, ist ein leidenschaftlicher Appell, die meist unterschätzte Bedeutung religiös-konfessioneller Faktoren und Argumente für die europäische Politik und Diplomatie der ersten Hälfte des 18. Jh.s wiederzuentdecken und ernst zu nehmen. Das Buch, das aus der 2003 von der Universität Cambridge angenommenen Dissertation Th.s hervorgegangen ist, leistet einen ge­wichtigen Beitrag zur Frage nach Konfessionalismus und Säkularisierung in der Politik der frühen Neuzeit im Allgemeinen und zur britischen, hannoverschen und Reichsgeschichte im Besonderen.
Th.s Studie behandelt den Zeitraum von der Glorious Revolution bis zum Beginn des Siebenjährigen Krieges – eine Zeit, in der England fast durchgehend in Personalunion mit einer kontinentaleuropäischen Macht verbunden war. Der Schwerpunkt der Un­tersuchung liegt auf der Anfangszeit der hannoverschen Dynas­tie unter Georg I. (1714–1727) und Georg II. (1727–1760), die in der britischen Historiographie der letzten Jahre wieder verstärktes Interesse findet. Wurde die britisch-hannoversche Geschichte oft einseitig aus einer insularen oder einer kontinentalen Perspektive be­trachtet, unternimmt Th. eine gleichermaßen auf die Londoner und die Hannoveraner Archive gestützte Gesamtschau. Manche liebgewordenen Stereotype bleiben dabei auf der Strecke. So kann Th. zeigen, dass die beiden Kanzleien in der Außenpolitik nicht nur ihre jeweiligen Partikularinteressen durchzusetzen suchten, sondern in der Wahrung des »protestantischen Interesses« auf dem Kontinent eine gemeinsame Leitperspektive verfolgten.
Die ältere Forschung hat in der Berufung auf das protestantische Interesse nicht mehr als eine wohlfeile Floskel erkennen wollen. Dazu trug vor allem die Vorstellung bei, 1648 sei das Konfessionelle Zeitalter gleichsam schlagartig von einer Ära der Aufklärung und Rationalität abgelöst worden, in der religiös-konfessionelle Fragen als Motiv politischen Handelns durch die machiavellistische Staatsräson ersetzt wurden. Th. tritt an, den Gegenbeweis zu erbringen, und er tut dies schwerpunktmäßig anhand von drei »causes célèbres« konfessioneller Auseinandersetzungen: der pfälzischen Religionsbeschwerden der Jahre 1719/1720, des »Thorner Blutgerichts« von 1724 und der Vertreibung der Salzburger Protes­tanten 1731. Doch finden auch etwa die politisch-diplomatischen Initiativen im Umkreis des Spanischen (1701–1714) und des Polnischen Erbfolgekrieges (1733–1738) Berücksichtigung. Anhand zahlreicher (nur in englischer Übersetzung zitierter) Quellenbelege zeigt Th., wie das protestantische Interesse ein durchgängiges Motiv der britisch-hannoverschen Politik blieb und durchaus auch über andere Zwecke und Projekte gestellt werden konnte. Freilich ging es dabei nicht um unmittelbar konfessionell bestimmte Ziele. Als Inbegriff des protestantischen Interesses galt vielmehr die Verhinderung der universalen Monarchie einer katholischen Macht durch die Wahrung eines europäischen Gleichgewichts, wobei abwechselnd Frankreich und Österreich als Hauptgegner wahrgenommen wurden. In diesem Sinne konnten auch Bündnisse mit kleineren katholischen Staaten im protestantischen In­teresse liegen. Erst mit der Ausbildung der Pentarchie und der profranzösischen Politik Friedrichs des Großen in der Jahrhundertmitte habe die Berufung auf das protestantische Interesse ihre Plausibilität verloren.
Insgesamt vermag die mit Verve vorgetragene These zu überzeugen. Die materialreiche Studie trägt auch zu bekannten Ereignissen und Sachverhalten noch manche erhellenden Details bei. Allerdings wirkt das Bild, bedingt durch das besondere Erkenntnisinteresse Th.s und die – arbeitsökonomisch gebotene – Beschränkung auf die britischen und hannoverschen Quellen, streckenweise geradezu pointillistisch. Vor allem hätte man gerne erfahren, wie in den geschilderten Konflikten andere Mächte – vor allem Preußen und die Niederlande, aber auch die kleineren protestantischen Reichsstände – das »protestantische Interesse« definierten. Th. destruiert überzeugend den Mythos von Preußen als der natürlichen Schutzmacht des Protestantismus und hebt statt dessen die größere Bedeutung England-Hannovers hervor; doch die durchweg sinistre Rolle, auf die er die Preußen festlegt, ist doch auch seiner einseitigen Quellenbasis geschuldet. Bedauerlich erscheint die marginale Behandlung der gerade von dem hannoverschen Komi­ti­algesandten Wrisberg maßgeblich mit betriebenen und von der britischen Öffentlichkeit begrüßten, von der britischen und hannoverschen Regierung aber nur halbherzig unterstützten Kirchenunionsbestrebungen des Corpus Evangelicorum (93 f.104 f.), die von einem anderen, stärker religiös bestimmten Verständnis des protestantischen Interesses getragen wurden.
Der Band ist durch ein Register erschlossen und enthält als hilfreiche Beigaben ein (vor allem für den britischen Leser gedachtes) Glossar, Landkarten und eine Stammtafel der Welfen; nützlich wäre daneben eine Übersicht über die verschiedenen Politiker und Diplomaten und ihre Verwendungen gewesen.