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Ausgabe:

Juli/August/2007

Spalte:

811 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Rieger, Reinhold

Titel/Untertitel:

Contradictio. Theorien und Bewertungen des Widerspruchs in der Theologie des Mittelalters.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2005. XII, 570 S. gr.8° = Beiträge zur historischen Theologie, 133. Lw. EUR 104,00. ISBN 3-16-148741-9.

Rezensent:

Tobias Georges

Das Motiv des Widerspruchs im mittelalterlichen Denken fand bisher vorrangig in der philosophiehistorischen Forschung Beachtung, »während die Theologiegeschichte noch wenig daraufhin untersucht wurde« (31). Diesen Umstand nimmt R. Rieger zum Anlass für seine eingehende theologiegeschichtliche Untersuchung zu diesem Motiv, die im Jahre 2004 von der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen als Habilitationsschrift angenommen wurde.
Nach einer Einleitung (1–39) analysiert er zunächst in einem großen Teil A die theoretische Konsistenzreflexion bzw. die in ihr zu Tage tretenden Theorien des Widerspruchs (41–379), um sich von da aus in dem knapperen Teil B dem Umgang mit Widersprüchen bzw. der konkreten Konsistenzreflexion in der Theologie zuzuwenden (381–535). Auch Teil A nimmt schon die spezifisch theologischen Theorien des Widerspruchs in den Blick. Ihrer Behandlung werden jedoch ausführliche Kapitel zu den philosophischen – logischen und ontologischen – Theorien des Widerspruchs vorgeschaltet. Richtungweisend für dieses Vorgehen ist die These, dass die philosophische »Bestimmung des Begriffs vom Widerspruch und der mit ihm zusammenhängenden Prinzipien für die Theologie prägend« war (31 f.). Die in der These transportierte Unterscheidung von Philosophie und Theologie, die im Mittelalter zumindest für die Zeit vor dem 13. Jh. fraglich erscheinen könnte, wird dabei nicht eigens problematisiert. Im Detail gliedert R. seine Untersuchung nach einzelnen thematischen Aspekten des Widerspruchsmotivs. So erörtert er in Teil A die »logische Klärung des Begriffs, der Typen, der Bedingungen, der Eigenschaften, der Ursachen und Funktionen des Widerspruchs«, »seine ontologische Verortung und Bewertung« sowie »in theologischer Hinsicht … die Frage, welche Funktion der Widerspruch in der theologischen Erkenntnis- und Wissenschaftslehre, in der Gotteslehre, der Schöpfungslehre, der Anthropologie und der Sündenlehre hat und wie mit ihm grundsätzlich umzugehen ist« (537). In Teil B untersucht er, wie die in der theoretischen Konsistenzreflexion entwickelten Methoden – Analyse, Interpretation und Kritik von Widersprüchen sowie indirektes Beweisen mittels Konstruktion von Widersprüchen – im konkreten Umgang mit Widersprüchen in der Theologie angewandt wurden und mit welchen Antinomien dabei wiederum gerungen wurde. Als Felder solcher Antinomien beleuchtet er die Frage nach der Theologie als Wissenschaft, die Gottes-, Trinitäts- und Schöpfungslehre, die Christologie, die Abendmahlslehre, die Anthropologie und schließlich die Hamartiologie und Soteriologie. In einem knappen Teil C hält R. schließlich Ergebnisse seiner Untersuchung fest (537–541). Er resümiert, dass »die mittelalterliche Theologie« in ihrem Streben nach Widerspruchsfreiheit durch die Konsistenzreflexion mit deren Rückgriff auf logische Kategorien und Methoden die Widersprüche erst manifest gemacht habe, deren Auflösung sie sich zur Aufgabe gemacht habe. Die vielfältigen Versuche, Widersprüche aufzulösen, hätten immer neue Widersprüche entstehen lassen. Dieses Phänomen bezeichnet R. als »die Antinomie der Theo­logie« (539–541).
Dieses Gesamtresümee leuchtet grundsätzlich ein, bleibt aber auf einer sehr allgemeinen Ebene. Gegenüber der Detailanalyse der Auseinandersetzungen mit dem Widerspruchsmotiv sind kritische Anmerkungen angezeigt. So verbinden sich mit dem »systematisch-empirischen«, nach thematischen Aspekten des Motivs ge­ordneten Vorgehen (32) folgende Probleme:
Diese Vorgehensweise wird von einem weitgehenden Verzicht auf eine historische Kontextualisierung der jeweils referierten Quellen zu den einzelnen Themenaspekten begleitet. Dabei werden strittige Einleitungsfragen zu einzelnen Quellen überspielt, so die Frage nach der Verfasserschaft der so genannten »Sententiae divinae paginae«, als deren Verfasser Anselm von Laon ohne Angabe von Gründen angeführt wird. Vor allem bleiben die historischen Entwicklungslinien, die R. ausgehend von dem Quellenüberblick zu den einzelnen Themenaspekten aufzuzeigen sucht, auf einer sehr schematischen Ebene – eben weil die einzelnen Quellen einer näheren historischen Verortung entbehren. Als Beispiel für diese Schemenhaftigkeit sei auf die abschließende These hingewiesen, die konkrete Konsistenzreflexion wäre in drei Stufen erfolgt, die »auch historisch als Schwerpunkte des theologischen Interesses« aufeinandergefolgt seien: »1. die Bibel und die articula fidei, 2. die Deutung der Glaubensinhalte, 3. das Verhältnis verschiedener Theo­rietypen, wie Theologie und Philosophie, zueinander« (538).
Zudem führt die »systematisch-empirische« Strukturierung im­mer wieder zu Redundanzen: Sie trennt Themenaspekte, welche von den mittelalterlichen Autoren oft gemeinsam verhandelt werden, mit der Folge, dass einige Quellen mehrfach, an verschiedenen Gliederungspunkten, referiert werden. So werden einzelne Aus­sagen bestimmter Theologen immer wieder angeführt, zugleich kommt aber die Verortung dieser Aussagen im Rahmen des sonstigen Denkens dieser Autoren kaum einmal in den Blick. Daher bleibt die Aussagekraft einzelner Quellenverweise bei aller Redundanz häufig recht blass. Dass die Profilierung einzelner Positionen bisweilen zu wünschen übrig lässt, hängt wiederum mit zwei Grundproblemen der Untersuchung zusammen: Die Themenstellung der Untersuchung ist mit dem Widerspruchsmotiv in »der Theologie des Mittelalters« überaus weit gesteckt, und sie erfährt auch durch die herangezogene Quellenbasis kaum eine Einschränkung: R. weist zwar ausdrücklich darauf hin, dass er eine exemplarische Auswahl von Quellen analysiert, die Auswahlkriterien bleiben aber unklar. Trotz des exemplarischen Vorgehens handelt R. eine solche Fülle von Themen und themenbezogenen Aussagen von Tertullian bis Nikolaus von Kues ab, dass eine Analyse, die den einzelnen Quellen und ihren Fragestellungen gerecht würde, auf 570 Seiten kaum möglich erscheint.
Ein tieferes Eindringen in einzelne Positionen wird dem Leser außerdem durch den auf weiten Strecken vorherrschenden paraphrasierenden Stil R.s erschwert – die Quellen werden fast ausschließlich erschlossen, indem R. sie eine nach der anderen referiert, und häufig fällt es schwer, zwischen Referat, über den Text hinausgehender Interpretation und R.s Urteil zu unterscheiden. Direkte Quellenzitate hätten das Textverständnis deutlich erleichtert und dem Leser zudem die Möglichkeit gegeben, sich eigene Gedanken zu den Texten zu machen. Auf Grund der Dominanz der Quellenreferate in den Untersuchungsteilen A und B wirken auch die in Teil C festgehaltenen Ergebnisse etwas unverbunden mit der vorhergehenden Darstellung.