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Ausgabe:

Juli/August/2007

Spalte:

780–782

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Vriezen, Theodosius C., and Adrian Simon van der Woude

Titel/Untertitel:

Ancient Israelite and Early Jewish Literature. Transl. by B. Doyle.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2005. XIII, 766 S. gr.8°. Kart. EUR 59,00. ISBN 90-04-14181-2.

Rezensent:

Otto Kaiser

Der Band ist eine Übersetzung des 2000 veröffentlichten niederländischen Werkes Oud-Israelitische en vroeg-joudse literatuur. Da Vriezen bereits 1982 und van der Woude 2000 verstorben ist, stand der Übersetzer vor der schwierigen Aufgabe, aus dem vorliegenden Text in einem geistigen Gespräch mit seinen beiden Autoren und vor allem mit der Unterstützung durch F. Garcia Martínez, der bereits die holländische, von van der Woude beständig aktualisierte Version herausgegeben hatte, die englische Ausgabe herzustellen (XIII). Vergleicht man diesen Band mit seinem Vorgänger, der 1973 in Wassenaar erschienenen Literatuur van Oud Israël (ThLZ 99 [1974], 820–821), so besteht der Unterschied vor allem darin, dass die alte Arbeitsteilung zwischen Vriezen und van der Woude aufgehoben ist, weil Letzterer jetzt nicht nur die Apokryphen, Pseudepigraphen und Schriften vom Toten Meer, sondern nach dem Tode Vriezens auch die anderen Abteilungen bearbeitet hat. Dadurch ist der alttestamentliche Teil von rund 300 auf knapp 500 Seiten (3–500) angewachsen, während die Apokryphen, Pseudepigraphen und Schriften vom Toten Meer statt auf 73 auf knapp 300 Seiten (501–694) behandelt werden, ohne dass sich der Aufbau innerhalb der Abteilungen wesentlich geändert hat. Auch jetzt wird das Buch durch einen Teil A eröffnet, der die altisraelitische Literatur in die des Ancient Near East einordnet (3–49 statt 11–33). Dann folgt ein mit The Old Testament (Hebrew Bible) überschriebener Teil B, der vorab in vier Kapiteln die Probleme der Allgemeinen Einleitung (Kanon, Überlieferung, literarische Gattungen, Datierung) behandelt (53–135 gegenüber 34–146). Dabei ist das Kapitel über die Methoden der modernen Bibelforschung gestrichen (einst 107–140). Wie üblich, werden weiterhin die Geschichtsbücher (136–304), die Prophetenbücher (305–416) und die Schriften (417–500) behandelt.
Schon der Umfang zeigt an, dass der Schwerpunkt auf der Analyse der Historischen Bücher liegt, so dass die Prophetenbücher und die Schriften (Ketubim) angesichts der Diskussion in den zurückliegenden Jahrzehnten zu knapp behandelt werden, wobei die in der jüngsten Forschung verhandelten Probleme nur oberflächlich oder gar nicht dargestellt werden. Auch die Ausführungen in Teil C mit der Behandlung der Literatur des Frühen Judentums in der oben angedeuteten Aufgliederung in Apokryphen, Pseudepigraphen und Schriften vom Toten Meer (501–694) sind insgesamt zu knapp geraten. Über die Apokryphen und Pseudepigraphen erhält der Leser nur knappe Grundinformationen, so dass sich ihr Wert für den fortgeschrittenen Benutzer des Buches auf die Bibliographien reduziert. Andererseits merkt man es den präzisen Ausführungen über die Schriften vom Toten Meer an, dass der Autor auf diesem Gebiet zu den Experten gehörte. Diese Unausgeglichenheiten ge­hen vermutlich darauf zurück, dass es van der Woude nicht mehr vergönnt war, auch die Kapitel 9 bis 10 über die Prophetenbücher und die Schriften mit derselben Gründlichkeit wie die vorausgehenden zu bearbeiten. Ein Verzeichnis der Einleitungen und anderer grundlegender Werke zum Alten Testament (695–697), Zeittabellen (698–700), eine Liste der Abkürzungen, ein Namen- und Sachregister (701–725) und ein solches der behandelten Texte (726–766) runden das Werk nicht nur benutzerfreundlich ab, sondern belegen zugleich die von den Autoren verarbeitete Materialfülle.
Es war die Art des persönlich auf liebenswürdige Weise konservativen Gelehrten Adrian Simon van der Woude, nicht allzu weit von den gewohnten Bahnen der Auslegung abzuweichen und offenbar mit zunehmendem Alter vieles offen zu lassen. So bevorzugte er angesichts der Komplexität der Befunde häufig eine »wenn … dann«-Argumentation und überließ damit dem Leser das letzte Urteil. Andererseits wünschte er keinen Zweifel darüber aufkommen zu lassen, dass er die Frühdatierungen der Jahwistischen und Elohistischen Quellenschriften und des Deuteronomiums bevorzugt und eine Datierung der Priesterschrift im oder nach dem Exil abgelehnt hat. Wenn er z. B. den Dekalog in die Mosezeit, das Bundesbuch in die Richterzeit, die Geschichte vom König David (und den Urjahwisten, vgl. 174) in die Salomonische Epoche und den Elohisten vor 622 (vgl. 132–133) datiert, wird er heute kaum noch mit allgemeiner Zustimmung rechnen können. Doch während die Urteile auf dem Felde der Geschichtsbücher an den Texten begründet werden, gibt der Autor bei den Prophetenbüchern allenfalls zu erkennen, welche Entwürfe er vorzieht, ohne sich auf eine Diskussion mit anderen Ansichten einzulassen. So wird es nicht verwundern, dass der Rezensent den einschlägigen Ausführungen des Autors seinerseits mit den »reservations« gegenübersteht, die diesem angesichts der seinen schwergefallen war zu unterdrücken (317).
Trotz dieser Vorbehalte verdient es ein Werk, das auf zwei so große niederländische Gelehrte zurückgeht, nicht übersehen zu werden, auch wenn ihr vorzeitiger Tod seine eigentliche Vollendung verhinderte. Es bleibt F. García Martínez und Brian Doyle zu danken, dass das Manuskript nicht in einem Archiv verstaubt.
Der hier zur Verfügung stehende Raum erlaubt es nicht, die Behandlung der einzelnen Bücher vorzustellen. Der Rezensent lässt es daher dabei bewenden, exemplarisch van der Woudes grundsätzliche Hypothesen über die Entstehung des von Gen 1 bis 2Kön 25 reichenden Großgeschichtswerkes vorzustellen. Schon die Überschrift zum 8. Kapitel Israel’s grand historical masterpiece: (Genesis – II Kings) (136–305) verweist auf die gegenüber dem Vorgänger wesentlich veränderte Forschungslage. Wie es nicht anders sein kann, wird es durch eine Einführung in die Probleme und die Geschichte der Pentateuchforschung eingeleitet (136–182). Dabei bildet das Jahr 2000 der Entstehung des Buches gemäß die Grenze für die berücksichtigte Sekundärliteratur, so dass die jüngsten Arbeiten zur Hexateuchforschung nicht mehr berücksichtigt werden konnten. Was die Sache betrifft, so hat auch van der Woude die von Martin Noth begründete und in der Folgezeit auf mannigfache Weise modifizierte Hypothese von einem von Dtn 1–2Kön 25 reichenden Deuterono­mis­tischen Geschichtswerk aufgegeben. Dagegen hält er an der neueren Ur­kun­denhypothese in der Form fest, dass es zwar einerseits unmöglich sei, die zusam­menhängenden Quellen J, E, P und D zu rekonstruieren, sich aber andererseits nur mit ihrer Annahme die Herkunft der von den Deuteronomisten benutzten Quellen erklären lasse (173). Im Blick auf die Datierungen sucht er den Ursprung der zwischen Gen 2,4b und 1Kön 2 begegnenden J-Texte unter Berufung auf Gen 12,1–3 in der salomonischen Epoche (174, vgl. 197), während er die Ansetzung des ältesten Deuteronomiums in der Zeit des Königs Josia für wahrscheinlich hält und seinen Ursprung im Nordreich sucht (176–177; vgl. 180). Über die Herkunft des vor 622 datierten Elohisten wird nur mitgeteilt, dass er nach der klassischen Form der Urkundenhypothese aus dem Nordreich stamme (171), aber kein eigenes Urteil gefällt. Wenn man mit einer Quellenschrift E rechne, müsse man eingestehen, dass von ihr nur Fragmente erhalten seien (175).
Die Josephsnovelle wird dagegen als eine ursprünglich selbständige und im Nordreich zirkulierende Geschichte betrachtet, wobei die in ihr konkurrierende Rolle Judas mit der Rubens auf eine judäische Überarbeitung verweise (210). Die im Anschluss an Rudolf Smend abgegrenzte Priesterliche Grundschrift setzt er im 7. Jh. und ihre Ergänzungen vor dem Exil an (177–178, vgl. auch 196–197: »If P made use of existing temple archives then we must date the literary layers ascribed thereto prior to the Babylonien exile in the late period of the kings«). Wenn man P für eine Quelle halte, so sei sie nachträglich mit Texten aus JE verbunden worden (178). Ähnlich wie die Prophetenbücher seien auch JE, P und D fortlaufend fortgeschrieben worden (178) und jedenfalls nicht als von einzelnen Autoren verfasste Schriften zu betrachten (174). In den Büchern Deuteronomium bis Könige habe man es nicht mit einem in sich geschlossenen Deuteronomistischen Geschichtswerk zu tun, sondern mit Schriften, die in unterschiedlicher Weise von Deuteronomisten geschaffen (Dtn, Jos) bzw. bearbeitet worden seien (Jud, Sam). Die große, von Gen 1 bis 2Kön 25 reichende Geschichte sei durch eine Amalgamierung der JE-, D- und P-Überlieferungen mit denen von der Landnahme und den verwandten Berichten über die Richter- und die Davidisch-Salomonische Zeit entstanden (181). Aber auch die hinter diesem Ergebnis stehenden Analysen seien lediglich hypothetisch: »The genesis and evolution of the Pentateuch and the books of Joshua – 2 Kings can no longer be established with any degree of certainty« (181–182).