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Ausgabe:

Juli/August/2007

Spalte:

777–780

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Tov, Emanuel [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Texts from the Judaean Desert. Indices and an Introduction to the Discoveries in the Judaean Desert Series. With Contributions by M. G. Abegg, Jr., A. Lange, U. Mittmann-Richert, S. J. Pfann, E. J. C. Tigchelaar, E. Ulrich, and B. Webster.

Verlag:

Oxford: Clarendon Press 2002. X, 452 S. 4° = Discoveries in the Judaean Desert, 39. Lw. £ 80,00. ISBN 0-19-924924-5.

Rezensent:

Siegfried Kreuzer

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Cross, Frank Moore, Parry, Donald W., Saley, Richard J., and Eu­gene Ulrich: Qumran Cave 4/XII. 1–2 Samuel. Oxford: Clarendon Press 2005. XX, 271 S. u. 27 Tafeln im Anhang. 4° = Discoveries in the Judaean Desert, 17. Lw. EUR 65,00. ISBN 0-19- 924923-7.


Mit diesen beiden Bänden der Discoveries in the Judaean Desert ist die Publikation der Qumran-Texte nach genau 50 Jahren zum Ab­schluss gekommen. In den 39 imposanten Bänden wurden ca. 800 Texte und Fragmente – davon ca. 200 biblische – ediert.
Die Geschichte der Diskussion und der Publikation der Qumran-Texte kann hier nur angedeutet werden. Bekannt ist die große Begeisterung über den Fund der Qumran-Texte: einerseits die Begeisterung über die biblischen Texte, wo etwa die Jesajarolle die Verlässlichkeit des massoretischen Textes zu bestätigen schien und man ihr in Jerusalem den Shrine of the Book errichtete, andererseits die Diskussion um die sog. Sekte von Qumran und ihren Ort im Judentum bis hin zur Frage des Verhältnisses Jesu zur Qumran-Gemeinschaft. Im Laufe der 70er Jahre des 20. Jh.s beruhigte sich nicht nur diese Diskussion, sondern die Qumran-Texte traten in den Hintergrund und erregten scheinbar nur mehr das Interesse weniger Spezialisten. Dies ging Hand in Hand damit, dass die Publikation der Texte nur langsam fortschritt und neue Texte nur langsam bekannt wurden.
Der wissenschaftliche Skandal, dass viele Bearbeiter jahrzehntelang auf ihren Texten saßen, wurde um 1990 begleitet von einer Skandalliteratur, in der die wohl primär in menschlichen Problemen begründete Verzögerung der Publikation auf Machenschaften des Vatikan oder andere dunkle Aktivitäten zurückgeführt wurde, wobei sehr spekulative Beziehungen zwischen Jesus, Paulus und anderen Personen der Urchristenheit einerseits und Personen der Qumran-Gemeinde andererseits hergestellt wurden. Diese Aufregungen führten immerhin dazu, dass nun ein engagierter Anlauf gemacht wurde, endlich auch die restlichen Texte zu publizieren. Dazu wurde das Bearbeiter- und Herausgeberkomitee restrukturiert, und Emanuel Tov übernahm die nicht einfache Aufgabe des Hauptherausgebers. Insofern ist neben den einzelnen Autoren vor allem Emanuel Tov zum Abschluss dieses Projektes zu gratulieren.
Die Schwierigkeit des Unternehmens zeigte sich zuletzt noch einmal darin, dass der abschließende Registerband (DJD 39) drei Jahre vor dem letzten Textband erschien. Dass gerade der für die biblischen Texte so wichtige Band mit den Manuskripten zu den Samuelbüchern als letzter erschien, ist insofern besonders bedauerlich und ein wissenschaftlicher Skandal, als die Texte seit den 1950er Jahren vorlagen und von F. M. Cross und E. Ulrich zwar vorläufig veröffentlicht, vor allem aber laufend für eigene Publikationen verwendet worden waren. Doch damit zu den beiden Bänden:
Der 452 Seiten umfassende Registerband erschließt die Bände der DJD in vielfacher Hinsicht in vorbildlicher Weise. So stellt Emanuel Tov die Geschichte und das System der Publikation vor, wobei nicht nur die Inhalte und die genauen bibliographischen Angaben der Bände genannt werden, sondern auch bereits gewisse Erschließungskategorien. So finden sich Hinweise auf ausführliche Dis­kussionen (Exkurse) in den einzelnen Bänden, weiter etwa eine Auflistung der Texte nach Fundorten, aber auch Ausführungen zur Archäologie der einzelnen Fundorte. Nicht zuletzt bildet die Liste der Autorinnen und Autoren einen interessanten Querschnitt zur Forschungsgeschichte an den Qumran-Texten. In den weiteren Kapiteln finden sich eine Liste aller Texte aus der judäischen Wüste, eine kommentierte Zusammenstellung der Texte nach Inhalt und Gattung, eine Liste der biblischen Texte samt einem Anhang mit den darin bezeugten Textpassagen, weiter eine Liste von speziellen Gruppen von Texten (Papyrustexte, Opistographen [beidseitig be­schriebene Texte], althebräische, griechische, aramäische, nabatäische Texte und Texte in Geheimschrift). Es folgen eine umfangreiche Konkordanz der in den nicht-biblischen Texten vorkommenden Eigennamen sowie eine kommentierte Zusammenstellung der Überlappungen und Parallelen in den nicht-biblischen Texten, schließlich eine Beschreibung und Analyse der in den Texten zu findenden Schreibernotizen sowie ein umfangreicher chronologischer Index zur Entstehungszeit der einzelnen Texte. – Insgesamt handelt es sich bei diesem abschließenden Registerband um den entscheidenden Schlüssel zur ganzen Edition dieser so wichtig ge­wordenen Texte, wobei zugleich auch eine Reihe wichtiger neuer Erkenntnisse aus dem Gesamtbild vermittelt wird.
Der Band zu den Samuelbüchern bietet die offizielle kritische Publikation zur 4Q51, 52 und 53, denen als 4Q51A ein nicht klassifizierbares Fragment, das aber zu 4Q51 gehört, hinzugefügt ist. Die Manuskripte 4Q51, 51A und 52 werden von F. M. Cross und seinen Schülern bzw. wissenschaftlichen »Enkeln« D. W. Parry und R. J. Saley präsentiert, während E. Ulrich 4Q53 bearbeitet hat.
Das wichtigste und umfangreichste dieser Manuskripte ist 4QSam51, was sich auch daran zeigt, dass dieses Manuskript auf über 250 Seiten erörtert wird, während 4Q52 und 53 auf je etwa 20 Seiten präsentiert werden. Wie üblich werden die Texte zunächst detailliert beschrieben, angefangen von ihrer Herkunft und ihrem Erhaltungszustand über ihren genauen Inhalt bis hin zu den Besonderheiten wie Rechtschreibung und orthographische Varianten, Paragraphen- bzw. Parascheneinteilung und bis hin zu einer Beschreibung des Charakters der Handschrift und spezieller Lesarten.
Diesen einleitenden Ausführungen folgt jeweils die genaue Edition des betreffenden Textes einschließlich einer umfangreichen Kommentierung und Analyse. Das lange, wenn auch nur vorläufige Bekanntsein der Manuskripte spiegelt sich nicht zuletzt in der umfangreichen Literaturliste. Es ist hier nicht möglich, einzelne Texte und Varianten zu diskutieren, sondern es können nur die wichtigsten Kennzeichen der Manuskripte genannt werden.
Das erste und umfangreichste Manuskript ist 4Q51 = 4QSama. Der Hauptteil dieses Manuskripts wurde bereits 1952 von den Beduinen in der Höhle 4 von Qumran gefunden. Später wurden bei den Ausgrabungen noch weitere Fragmente dieser Handschrift entdeckt. Diese Handschrift ist die umfangreichste der biblischen Handschriften aus der Höhle 4. Sie enthält Teile von fast allen Kapiteln des 1. Samuelbuches und von allen Kapiteln des 2. Samuelbuches. Offensichtlich war sie so intensiv verwendet worden, dass die Lederrolle zum Teil mit Papyrusstücken auf der Rückseite verstärkt wurde. Der Erhaltungszustand der Rolle ist allerdings schlecht, und sie ist schwer zu lesen. Während die erste Hälfte der Rolle sehr gleichmäßig geschrieben ist, sind in der zweiten Hälfte die Zeilen etwas ungleichmäßiger. Sowohl die paläographische Datierung als auch die C-14 Daten führen in die Zeit um 50–25 v. Chr. bzw. in die späthasmonäisch/frühherodianische Zeit. Das Besondere an diesem Manuskript ist, dass sich der Text an vielen Stellen vom massoretischen Text unterscheidet, aber bis auf Kleinigkeiten mit der Vorlage der Septuaginta übereinstimmt. Insbesondere ist dies der Fall beim Lied der Hanna (1Sam 2,1–10) und beim Psalm in 2Sam 22 (= Ps 18). In 1Sam 10,24–11,2 enthält die Rolle einige Verse, die sonst in der Textüberlieferung entfallen sind, die sich aber auch bei Josephus finden (Antiquitates 6,68–70) und wahrscheinlich ursprünglich sind. Mit diesen und anderen Besonderheiten hat die Rolle nicht nur Bedeutung für die innerhebräische Textkritik, sondern auch für die Geschichte der Septuaginta.
Das oben erwähnte Fragment Qumran 4Q51A war auf die Rück­seite der Rolle geklebt. Offensichtlich waren darauf sieben oder acht Zeilen Text. Diese sind aber nur sehr schwach zu erkennen und bisher nicht entzifferbar. Welcher Art dieser Text war, bleibt damit offen.
Das Fragment 4Q52 bzw. 4Q Samb ist wesentlich kürzer, aber es ist der älteste Samuel-Text aus Qumran. Wahrscheinlich wurde er bereits um 250 v. Chr. geschrieben, ist also möglicherweise außerhalb Qumrans entstanden und wurde erst später dorthin gebracht. Dementsprechend repräsentiert die Handschrift auch eine ältere orthographische Tradition, d. h. insbesondere mit weniger Plene-Schreibung als selbst im massoretischen Text.
Das Besondere an diesem Text ist, dass es sowohl häufige Übereinstimmung mit dem Haupttyp des Septuaginta-Textes gibt als auch mit dem massoretischen Text; und zwar besteht diese Übereinstimmung fast immer dann, wenn die jeweilige Lesart die offensichtlich bessere und ursprünglichere ist, d. h. 4QSam52 zeigt einen guten alten Text der Samuelbücher, demgegenüber sowohl der massoretische Text als auch die Vorlage der Septuaginta jünger sind und Überlieferungsfehler enthalten. Man kann sich nur dem Bedauern der Herausgeber anschließen, dass von dieser so wertvollen Rolle leider nicht mehr erhalten geblieben ist.
Die dritte Samuel-Rolle bzw. 4Q53 = 4QSamc umfasst nur Fragmente aus 2Sam 14,7–15,15 und 1Sam 25,30–32. Das Manuskript ist in das erste Viertel des 1. Jh.s v. Chr. zu datieren. Eine Besonderheit ist, dass diese Rolle offensichtlich von demselben Schreiber wie die Sektenregel (1QS mit 1QSA und 1QSB) und die Testimonia (4Q175) verfasst wurde. Damit wurde sie im Unterschied zu 4Q52 ziemlich sicher in Qumran selbst geschrieben. Die Schrift ist kräftig, aber etwas unregelmäßig. Eine schreibertechnische Besonderheit ist, dass an Stelle des Tetragramms vier Punkte verwendet werden, so wie auch in 1QS 8,14 und in 4QS 1 und 19. Die Handschrift hat außerdem viele sublineare Korrekturen, die vom Schreiber selbst gemacht wurden. Eine weitere Besonderheit ist, dass dieser Schreiber Finalbuchstaben verwendet. Diese Beobachtung lässt annehmen, dass die Finalbuchstaben gegen Ende des 2. Jh.s v. Chr. voll ausgebildet wurden. Auffallend ist weiter die intensive Plene-Schreibung, was aber ebenfalls in diese Zeit passt. Andererseits ist in dieser Handschrift offensichtlich keine Parascheneinteilung erfolgt. Die Zeilen sind von Anfang bis Ende vollgeschrieben. Auch die Textform von 4Q53 zeigt eine gewisse Eigenständigkeit gegenüber dem massoretischen Text, wie auch gegenüber dem Text der Septuaginta (der hier allerdings in Richtung auf den massoretischen Text bearbeitet ist). Dagegen steht dieses Manuskript dem lukianischen Text der Septuaginta nahe.
Die letzten Bemerkungen lassen ahnen, welche große Bedeutung die Samuel-Rollen aus Qumran für die alttestamentliche Textgeschichte haben. Auch in dieser Hinsicht bleibt den Bearbeitern und insbesondere dem Hauptherausgeber zu danken, dass diese Teile der großen Edition nunmehr vorliegen. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass inzwischen die Revision der älteren Bände der DJD-Serie geplant ist und wohl auch bereits begonnen wurde.