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Ausgabe:

Juli/August/2007

Spalte:

774–777

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

McKinlay, Judith E.

Titel/Untertitel:

Reframing Her. Biblical Women in Postcolonial Focus.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Phoenix Press 2004. XIII, 195 S. gr.8° = The Bible in the Modern World, 1. Geb. £ 35,00. ISBN 1-905048-00-9.

Rezensent:

Stefan Alkier

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Moore, Stephen D., and Fernando F. Segovia [Eds.]: Postcolonial Biblical Criticism. Interdisciplinary Intersections. London-New York: T & T Clark International (Continuum) 2005. VII, 206 S. gr.8° = The Bible and Postcolonialism. Geb. £ 40,00. ISBN 0-567-08439-6.


Seit dem Themenheft »Postcolonialism and Scriptural Reading« der Zeitschrift Semeia (Nr. 75, 1996) erscheint regelmäßig und im­mer häufiger das Stichwort »Postcolonialism« im internationalen bibelwissenschaftlichen Diskurs. Der von zwei Protagonisten der bibelwissenschaftlichen Theoriebildung, Stephen D. Moore, Professor of New Testament at the Theological School, Drew Uni­versity, und Fernando F. Segovia, Professor of New Testament and Early Christianity at the Divinity School, Vanderbilt University, konzipierte und herausgegebene Band beabsichtigt, einen informativen, perspektivenreichen und selbstkritischen Grundstein zu legen, der diese noch junge Forschungsperspektive nachhaltig fördern will.
Der gemeinsam von Moore und Segovia verfasste Einleitungsartikel, »Postcolonial Biblical Criticism: Beginnings, Trajectories, In­tersections« (1–22), informiert über die Entstehungsgeschichte des Bandes, führt in das Thema ein und stellt die Beiträge vor. Moore und Segovia legen ihr Interesse offen, Postcolonial Biblical Stud­ies an das etablierte Arbeitsfeld Postcolonial Studies im Rahmen der Cultural Studies anzuschließen, um damit das Paradigma der Cultural Studies im Rahmen der Bibelwissenschaften zu verstärken. Postcolonial Biblical Criticism sehen sie zudem gespeist aus der Hermeneutik der Befreiung und der historischen Bibelwissenschaft. Moore and Segovia stellen klar heraus, dass Postcolonial Biblical Studies ein Regenschirm-Begriff ist, der vieles unter seinem Dach versammelt, ohne eine in sich geschlossene Theorie und schon gar nicht eine gemeinsame Methodologie anzustreben. Die Pluralität und Disparatheit gehören vielmehr zum Programm der postkolonialen Bearbeitung von institutionalisierten ungleichen Machtverhältnissen, da eine nicht auf ein einheitliches Konzept zu bringende Bewegung den angestrebten subversiven Relektüren förderlich sei. Dennoch bemühen sich Moore und Segovia um eine klare und verständlich geschriebene Beschreibung des Programms. Grundlegend wird ernstgenommen, dass die Bibel selbst zur imperialistischen Kolonialisierung beigetragen habe und dabei ein Buch der machtausübenden westlichen Kultur geworden ist.
Moore und Segovia benennen drei verschiedene Cluster, die unter dem Regenschirm-Begriff der Postcolonial Biblical Studies zu verorten seien: 1. Arbeiten, die vornehmlich der Hermeneutik der Befreiung zuzuordnen seien. 2. Die mit den Arbeiten von Richard Horsley verbundene historisch orientierte »x and Empire«-Forschung. 3. Vornehmlich an der Erforschung kolonialer und postkolonialer Literatur interessierte Arbeiten, wie z. B. der von der Anglistin Susan VanZanten Gallagher edierte Band »Postcolonial Literature and the Biblical Call for Justice« (1994).
Der sich anschließende umfangreichste Artikel des Bandes von Segovia, »Mapping the Postcolonial Optic in Biblical Criticism: Meaning and Scope« (23–78), informiert kenntnisreich, differenziert und kritisch über das kulturwissenschaftliche Paradigma der vornehmlich an Texten und Fragen der Identitätsbildung interessierten Postcolonial Studies und stellt dabei fest, dass darin das Thema der Ausbeutung und das Thema der Religion vernachlässigt worden seien. Postcolonial Biblical Criticism solle nun vornehmlich die Problematik von »domination and subordination in the geopolitical realm« (65) in das Blickfeld rücken und sich daher auch eindeutiger als »Imperial-Colonial-Stud­ies« bezeichnen. Dieses Programm müsse auch in angemessener Weise die Rolle der Religion ins Spiel bringen. Als definitorischen Ausgangspunkt schließt er sich an die Begriffsbildung Edward Saids an: »›imperialism‹ stands for the practice, theory, and attitudes of a dominating center over a distant theory, while ›colonialism‹ represents the implantation of settlements on distant territory, invariably a consequence of imperialism« (40).
Stephen D. Moores Artikel »Questions of Biblical Ambivalence and Author­ity under a Tree outside Delhi; or, the Postcolonial and the Postmodern« (79–96) versucht das Verhältnis von »Postcolonialism and Postmodernism« zu­nächst begrifflich zu bestimmen und dann durch die Interpretation eines Aufsatzes von Hommi K. Bhabba voranzubringen, dem neben Said und der Literaturwissenschaftlerin Gayatri Chakravorty Spivak einflussreichsten Theoretiker der Colonial Discourse Theory. Zog sich durch den Aufsatz von Segovia die Kritik an postmoderner Theoriebildung, die sich zu einseitig am Phänomen der Re­präsentation abarbeite und die politischen und ökonomischen Ausbeutungsrealitäten dabei vernachlässige, versucht Moore gerade die politische Kraft pos­tstrukturalistischer Interpretation aufzuzeigen.
Der einzige Beitrag des Bandes, der biblische Texte thematisiert, stammt von Laura E. Donaldson, die auch den eingangs erwähnten Semeia-Band ediert hat. In ihrem Beitrag »Gospel Hauntings: The Postcolonial Demons of New Testament Criticism« (97–113) kritisiert sie unter Bezug auf Spivak die Vernachlässigung der Gender-Perspektive in den Postcolonial Studies. Ihre postmoderne Lektürestrategie ist es, die Frage nach Spuren des Indigenen in die biblischen Texte einzulesen, unbeachtete Akteure wie das in Mk 7,24–30 geheilte Mädchen phantasievoll mit Bedeutung auszustatten und somit die eigene Ideologie gegen die vermeintliche Ideologie des Bibeltextes auszutauschen.
Der Beitrag von Tat-siong Benny Liew, »Margins and (Cutting-)Edges: On the (Il)Legitimacy and Intersections of Race, Ethnicity, and (Post)Colonialism« (114–165), warnt dagegen zu Recht vor der Romantisierung des Indigenen, die stets eine reine Identität favorisiere und damit einem Trugbild, aber nicht der Lebensrealität der Kolonialisierten verpflichtet sei. Wie Segovia kritisiert auch Liew die postmoderne Vorliebe für Textwelten. Er unterscheidet trefflich zwischen »reading the New Testament from a perspective of race/ethnicity/postcolonialism and reading race/ethnicity/(post)colonialism in the New Testament. There are also differences in critiquing racism, ethnocentrism, and colonialism on the basis of the New Testament, in the interpretation of the New Testament, and in the New Testament« (132). Sein Hauptinteresse besteht in »not reducing differences« (140), da er es mit Henry Louis Gates, Jr., für die Frage des 21. Jh.s ansieht, mit Unterschieden und Widersprüchen leben zu lernen. Er illustriert dieses Anliegen u. a. mit einer Interpretation von Mt 4,1–11, die er in Theresa Hak Kyungs »Cha’s Dicteé« gefunden hat.
Die beiden letzten Artikel kritisieren aus marxistischer Sicht das Unternehmen des Postcolonial Biblical Criticism als solches. Während Roland Boer in seinem Artikel »Marx, Postcolonialism, and the Bible« (166–183) der bisherigen postkolonialen Theoriebildung vorwirft, eine unhistorische, gutbürgerliche Variante wohlsituierter Befreiungstheologie zu sein, die alle revolutionären Ambitionen hinter sich gelassen habe, stellt er ihr Ernst Blochs Werk als Alternative gegenüber. David Jobling schließt sich in seinem Aufsatz »›Very Limited Ideological Options‹: Marxism and Biblical Studies in Postcolonial Scenes« dem Anliegen von Boer weitgehend an. Mit einem Zitat von Susan VanZanten Gallagher gibt er zu bedenken: »applying postcolonial theory to the Babylonian, Persian, or Roman conquests, the Johannine community’s ex­pan­sionist vision, or any biblical periscope is anachronistic and ahistorical« (194).

Zusammenfassend handelt es sich um einen informativen Band, dessen Beiträge die gegenwärtigen Bemühungen und kritischen Diskussionen innerhalb des Postcolonial Biblical Criticism engagiert und gut geschrieben darstellen. Die Literaturlisten am Ende jedes Beitrags regen zur Weiterarbeit an. Die sich durch den Band ziehende Kontroverse zwischen postmoderner Text-/Kulturtheorie und materialistischer Kapitalismuskritik zeugt von den ideologischen Kämpfen innerhalb des Postcolonial Biblical Criticism und darüber hinaus in der anglo-amerikanischen Theoriediskussion überhaupt. Was die Beiträge bei allen Unterschieden aber vereint, ist die Überzeugung, dass Bibelwissenschaft eine un­hintergehbare politische Dimension hat, die es bewusst zu machen und anzunehmen gilt. Die interpretationsethische Botschaft des Bandes besteht im Wissen davon, dass es keine neutrale Wissenschaft gibt und auch die Bibel und ihre Auslegungen in die Machtdiskurse und blutigen Machtkämpfe in Vergangenheit und Gegenwart eingebunden sind. Daraus resultiert die Aufforderung, mit der bibelwissenschaftlichen Arbeit einen Beitrag zu einer gerechteren Welt zu leisten.
Die religionsgeschichtliche Ausgangsthese des zweiten vorzustellenden Titels von Judith E. McKinlay vom Department of Theo­logy and Religious Studies, University of Otago, Dunedin, Neusee­land, begreift die Entstehung der Heiligen Texte Israels als Identitätsbildung Israels im Dienste der Abgrenzung vom Poly­theismus des Alten Orients. Kannte der Polytheismus männliche und weibliche Gottheiten, so wird die durch den Monotheismus bestimmte Differenz zu den anderen erkauft durch die Zurückdrängung des Weiblichen aus der nun männlich gekennzeichneten Gottheit. Allerdings habe diese Ausgrenzung Spuren hinterlassen wie etwa Frau Weisheit als Schöpfungsmittlerin. M.s innovative Idee ist es nun, die Spurensuche nach dem ausgegrenzten Femininen im Göttlichen durch die Thematisierung der Darstellung von Frauengestalten voranzubringen, die als »Ausländerinnen« gekennzeichnet sind: Sara in Kanaan und in Ägypten, Rahab, Ruth, Isebel, die Syrophönizierin aus Mk 7,26, die in Mt 15,22 zur kanaanäischen Frau wird. In der Perspektive des Postcolonial Criticism fragt sie nach den durch diese Texte etablierten Machtstrukturen zwischen Innen und Außen und liest die Darstellungen unter der Prämisse der feministischen Hermeneutik des Verdachts, Rahab, Ruth, Isebel und die anderen seien modellhafte Konstruktionen, die die ideologischen Werte der Verfasser dieser Texte im Umgang mit dem und spezifischer mit der Anderen transportieren. So ist Isebel das Modell der Anderen, die sich in keiner Weise assimilieren lässt und deshalb radikal ausgemerzt werden muss (vgl. Kapitel 5: Viewing the Death of Jezebel). Rahab stellt das Gegenmodel dazu dar: eine kanaanäische Frau, die es sogar in den Stammbaum Jesu schafft, weil sie nicht nur ihr eigenes Volk verraten, sondern auch ihre eigenen religiösen Überzeugungen zu Gunsten der Religion der Siegermacht aufgegeben habe.
Gegen die ideologischen Implikationen des biblischen Erzährahmens (der narrative frames) stellt M. mit Hilfe historischer, autobiographischer und intertextueller Verknüpfungen die thematisierten Frauengestalten in andere Rahmen ein, die sie in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen. So wird aus Isebel in postkolonialer Perspektive das Modell einer Frau, die sich nicht kolonialisieren lässt und Widerstand leistet. Die autobiographischen Rahmen ergeben sich aus der nicht nur offengelegten, sondern konstruktiv eingebrachten kolonialen Identität M.s, die Neuseeländerin mit schottischen Wurzeln ist und als solche gegen weiterhin wirksame koloniale Strukturen in ihrem Land kämpft. Dem Verfahren der Neurahmung verdankt sich der Titel der Arbeit: Refraiming Her.
Es sind aber weniger die neuen eingebrachten Rahmen, die das Buch zu einer wirklich lesenswerten und Erkenntnis gewinnenden wissenschaftlichen Monographie werden lassen. Doch auch hier ist manches interessant, wie die intertextuelle Verknüpfung der Sara-Hagar-Abraham Erzählung mit Briefen europäischer missionarischer Einwanderer anlässlich eines Dreiecksverhältnisses, anderes aber weniger gelungen, wie das 8. Kapitel, das die Johannesapokalypse intertextuell mit einem Roman des Maori Witi Ihimaera zusammenliest, aber nur wenige interessante Verknüpfungen er­zielt.
Die Stärke des Buches liegt vor allem in den Kapiteln 3 bis 5, die mit konziser analytischer Klarheit unter Beweis stellen, dass Postcolonial Criticism in Kombination mit der Aufmerksamkeit für Gender-Fragen dazu in der Lage ist, Konstruktionen von Machtstrukturen und Ausgrenzungsmechanismen in biblischen Texten aufzuspüren und zu kritisieren. Es ist beeindruckend, wie souverän M. den Theoriediskurs der letzten 20 Jahre aufgreift und ihn für ihre Interpretationen konsistent zu nutzen weiß. Man spürt beim Lesen nicht nur ihr theoretisches und ethisches Engagement, sondern wird durch die Kraft ihrer Interpretationen genötigt, die von ihr thematisierten biblischen Texte neu zu lesen.