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Ausgabe:

Juli/August/2007

Spalte:

763–770

Kategorie:

Aufsätze

Autor/Hrsg.:

Hans Hillerbrand

Titel/Untertitel:

Das Wagnis des ökumenischen Gespächs
Fallstudie Amerikanisches Luthertum

Vom frühen 19. Jh. – so schon bei Alexis de Toqueville, dem wohl einsichtsvollsten Beobachter amerikanischer Verhältnisse – bis in die Gegenwart haben europäische Beobachter immer wieder auf die erstaunliche Vielzahl der Kirchen (»denominations«) in den USA als das besondere Merkmal des amerikanischen Christentums verwiesen. Aus der vom europäischen Staatskirchentum geprägten Sicht war dies auch nicht verwunderlich, da sie dem europäischen Betrachter das Besondere der amerikanischen kirchlichen Verhältnisse vor Augen führte, also einen sonderbaren kirchlich-religiösen Pluralismus, in dem die in Europa vorherrschenden Kirchen keine besondere Rolle spielten: eine Vielzahl von mehr oder weniger kleinen Kirchen, die meistens auf amerikanischem oder zumindest angelsächsischem Boden aufblühten. Interessanterweise war diese Vielzahl amerikanischer »denominations« für Dietrich Bonhoeffer bei dessen erstem Amerikaaufenthalt in den Jahren 1931/32 ein be­sonderes Thema, das er in seinem Aufsatz »Protestantismus ohne Reformation« ausführlich zu beleuchten suchte. 1

Diese schillernde Vielzahl von Kirchen ist bis in die Gegenwart ein Hauptmerkmal amerikanischer Kirchlichkeit geblieben, wobei zu bemerken ist, dass es auch in den USA »Großkirchen« gibt – so z. B. bekanntlich die Baptisten und Methodisten im Süden der USA oder die Church of Jesus Christ of Latter Day Saints (Mormonen) im Staat Utah. In gewisser Hinsicht sind diese Kirchen »Volkskirchen« im europäischen Sinn. So haben die Baptisten in den USA insgesamt 16 und die Methodisten acht Millionen Kirchenglieder, denen rund fünf Millionen Lutheraner und zwei Millionen Anglikaner gegenüberstehen. In einer typischen Stadt des US-amerikanischen Südens sind Baptisten und Methodisten sowohl zahlenmäßig als auch gesellschaftlich tonangebend. Dennoch macht die Vielzahl verhältnismäßig kleinerer Kirchen die Eigenart des US-amerikanischen Christentums aus – so die Church of Christ oder die Disciples of Christ, verbunden mit den stetig anwachsenden, sich als »non-denominational« (also kirchlich ungebunden und unabhängig) bezeichnenden Großgemeinden (die sogenannten »mega-churches« oder auch neuerdings »giga churches« mit 1000–2000 Gläubigen im Sonntagsgottesdienst). Die in Europa immer noch vorherrschenden lutherischen, reformierten, katholischen und an­gli­ka­nischen Volkskirchen spielen im Vergleich zu den in Europa oft als »Sekten« bezeichneten amerikanischen Großkirchen in den USA nur eine bescheidene Rolle.

Die Vielzahl der Kirchen in den USA hat in der religionssoziologischen Forschung zahlreiche Deutungen gefunden. So ist sie u. a. als Erklärung für die trotz Moderne ungebrochene vitale amerikanische Kirchlichkeit gesehen worden, und zwar in der Weise, dass Kirchlichkeit kategorisch als Konsumentenverhalten im Sinne kapitalistischer Marktwirtschaft verstanden wird.2 In der US-amerikanischen Gesellschaft hat sich gezeigt, dass mit steigendem Angebot auch die Nachfrage steigt.

Unter den historischen Deutungen hat die des amerikanischen Theologen H. Richard Niebuhr – in seinem bereits 1929 veröffentlichten Buch The Social Sources of Denominationalism – die breiteste Zustimmung gefunden.3 Niebuhr sah den Ursprung der ameri­kanischen »denominations« in dem Bestreben der verschiedenen Einwanderungsgruppen aus Europa, ihr europäisch-heimatliches Brauchtum auch im kirchlichen Bereich aufrechtzuerhalten. Dies führte dann entsprechend zur Gründung von national geprägten Kirchen und Synoden. Das war besonders bei den skandinavischen lutherischen Einwanderern der Fall, die im nördlichen Mittelwes­ten (Minnesota, North und South Dakota) sesshaft wurden, aber sich streng in norwegische oder schwedische Gemeinden trennten. Mit Theologie und Kirchenordnung hatte dieser Gang der Dinge wenig zu tun. Bei der europäischen Besiedlung des nordamerikanischen Kontinents im 19. Jh. kam es durchwegs zu homogenen Siedlungsgründungen von Einwanderern, die bestrebt waren, Bräuche und Eigenarten ihrer europäischen Heimat auch in der neuen Heimat aufrechtzuerhalten. Das bedeutete, dass Gottesdienste in Sprache und Form so wie in der Heimat gefeiert wurden, was dann folgerichtig zur Gründung nationaler Synoden führte. Auch bot die kirchliche Neutralität des US-amerikanischen Staates, die auf Grund der immer schärfer werdenden Trennung von Staat und Kirche fordernde »non establishment clause« der US-amerikanischen Verfassung, den Kirchen von rechtlichen Beschränkungen (und Bevorzugungen) unabhängige Entfaltungsmöglichkeiten.

Auch darf die Bedeutung des amerikanischen Bürgerkrieges in dieser Hinsicht nicht übersehen werden, der nicht nur die Ver­einigten Staaten in Nord- und Südstaaten trennte, sondern auch zur Spaltung der großen, sich ursprünglich über das ganze Gebiet der Vereinigten Staaten ausdehnenden »denominations«, wie den Methodisten und Bap­tisten, führte. Diese Nord-Südspaltung währte bis Mitte des 20. Jh.s.

Zwei Strömungen bahnten im frühen 20. Jh. nun eine grundsätzliche Neubesinnung an, die auf zwei Auslöser zurückzuführen war: die sich langsam entfaltende ökumenische Bewegung und die in der zweiten Einwanderungsgeneration schwindende Heimatverbundenheit. Drei Entwicklungen sind dabei zu unterscheiden: Unionsbestrebungen konfessionsgleicher Kirchen; Unionsbestrebungen theologisch verwandter Kirchen; ökumenische Ge­spräche zwischen Kirchen verschiedener Konfession.

Die Unionsbestrebungen konfessionsgleicher Kirchen betrafen vor allem das nordamerikanische Luthertum. Während es zu An­fang des 20. Jh.s in den USA über ein Dutzend unabhängiger lu­therischer Synoden und Kirchen gab, bahnten sich nach der Jahr­hundertwende Zusammenschlüsse gleichgesinnter Synoden an. So vereinigten sich 1917 drei unabhängige norwegische Synoden zur Norwegian Lutheran Church of America (NLCA), und ein Jahr später erfolgte der Zusammenschluss dreier deutscher Synoden zur United Lutheran Church in America (ULCA). Der Zusammenschluss der Joint Synod of Ohio, der Evangelical Lutheran Synod of Iowa und der Buffalo Synod im Jahre 1930 führte zur American Lutheran Church (German), die sich ihrerseits 1960 mit der United Evangelical Lutheran Church (Danish) und der Evangelical Lutheran Church (Norwegian) zur American Lutheran Church (ALC) vereinigte. Die Lutheran Free Church (Norwegian), ursprünglich wegen ihrer streng-konfessionellen Einstellung an Einigungsgesprächen uninteressiert, schloss sich 1963 der ALC an. Im Jahr zuvor (1962), hatten sich die ULCA, die Augustana Evangelical Lutheran Church, die Finnish Evangelical Lutheran Church und die American Evangelical Luth­eran Church zur Lutheran Church in America (LCA) vereinigt. Damit gab es im US-amerikanischen Luthertum zwei aus zahlreichen Synoden zusammengeschlossene Kirchen – die ALC (American Lutheran Church) und die LCA (Lutheran Church in America) –, daneben aber zwei weitere, theologisch und konfessionell konservative lutherische Synoden, von Missouri und Wisconsin, die sich aus Bekenntnisgründen an Unionsgesprächen nicht beteiligt hatten und bis zum heutigen Tag ihre eigenen Wege gehen (und auch in der Lutheran World Federation nicht vertreten sind). Beide Synoden gehören weder dem National Council of Churches of Christ an noch beteiligen sich ihre Pfarrer an ökumenischen Gottesdiensten. So erhielt ein Pfarrer der Missouri Synode, der sich in New York an einem ökumenischen Trauergottesdienst für die Opfer des 11. September 2001 beteiligt hatte, vom Konsistorium seiner Synode einen Verweis.

Das letzte Kapitel dieser lutherischen Unionsbestrebungen wurde 1988 mit dem Zusammenschluss der Lutheran Church in America und der American Lutheran Church zur Evangelical Lutheran Church in America (ELCA) aufgeschlagen. An dieser Union war auch die kleinere Association of Evangelical Lutheran Churches (AELC) mit rund 300 Gemeinden und 110000 Kirchengliedern beteiligt. Die AELC war aus einer Protestbewegung innerhalb der Missouri Synode hervorgegangen. Mit über fünf Millionen Kirchengliedern wurde die ELCA zur größten lutherischen Kirche in Nordamerika, gefolgt von der ungefähr halb so großen Lutheran Church Missouri Synod und der Wisconsin Evangelical Lutheran Synod mit rund 400000 Kirchengliedern.

Im Gegensatz zur Haltung der beiden konservativen lutherischen Synoden von Missouri und Wisconsin, die sich von ökumenischen Gesprächen im Wesentlichen fernhielten, hat die ELCA in den letzten 20 Jahren mit zahlreichen protestantischen Kirchen, so z. B. der Reformierten Kirche und der Mennonitenkirche, ökumenische Gespräche geführt. Gerade den Gesprächen mit der Mennonite Church kann man den Kernpunkt des ELCA-Anliegens deutlich entnehmen, nämlich dem Gesprächspartner theologisch und ek­klesiologisch so weit wie möglich entgegenzukommen. In den Ge­sprächen mit der Mennonite Church USA z. B. erfolgte von lu­the­rischer Seite (ELCA) ein umfassendes Schuldbekenntnis über die lutherischen Verfolgungen der Täufer im 16. Jh., das wohl den Re­formatoren etwas zu viel Verantwortung für die Verfolgungen und die Todesstrafen von Täufern auferlegte.4 Dazu gesellte sich die Erklärung, dass die Verdammungsur­teile der Täufer in der Confessio Augustana und der Konkordienformel nicht auf die heutigen Mennoniten anzuwenden seien. Schließlich erklärten beide Seiten, also auch die Vertreter der ELCA, dass die unterschiedlichen Auffassungen der beiden Kirchen von der Taufe minimal seien.

Insgesamt führten die ökumenischen Gespräche der Evange­lical Lutheran Church in America weithin zur Beseitigung überkommener Vorurteile, wobei diese Thematik allerdings lediglich ge­standene Theologen, Pfarrer und kirchliche Amtsträger interessierte.

Das änderte sich schlagartig, als im Jahr 1997 die Ergebnisse einer dritten Gesprächsrunde zwischen der ELCA und der Episcopal Church USA (ECUSA) bekannt wurden. Unerwartet und überraschend kam es zu einer profilierten Opposition eines Teils des Kirchenvolkes der ELCA, das das Übereinkommen zwischen den beiden Kirchen kategorisch ablehnte. Was war geschehen?

Eine erste Runde von Gesprächen zwischen den beiden Kirchen hatte bereits 1966 begonnen.5 Wie bei allen ökumenischen Gesprächen ging es dabei zunächst darum, beiderseitige Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Dies war auch weithin erfolgreich. Sobald sich die Gesprächsteilnehmer allerdings substantiellen theologischen Themen zuwandten, kamen nicht nur die unterschiedlichen theologischen Positionen der beiden Kirchen, sondern auch unterschiedliche Haltungen innerhalb der beiden Kirchen zum Vorschein. Als von Seiten der ECUSA-Gesprächsteilnehmer das historische Episkopat zum articulus stantis et cadentis der Gespräche erklärt wurde, lehnte dies die Mehrzahl der lutherischen Gesprächsteilnehmer ab, sie zeigten aber Verständnis für den Standpunkt der Vertreter der Episcopal Church. Eine zweite, sich bis 1983 hinziehende Gesprächsrunde brachte in diesem Punkt keine Veränderung der beiderseitigen Positionen.

Erst in einer dritten Gesprächsrunde kam es zur Auflockerung der Fronten. Dies geschah in der Weise, dass von lutherischer Seite das historische Episkopat als eine mit den lutherischen Bekenntnisschriften durchaus vereinbare Tradition akzeptiert wurde. Der von den Gesprächsteilnehmern mehrheitlich (also keineswegs einstimmig) angenommene Entwurf eines »Konkordats« schloss die lutherische Anerkennung des historischen Episkopats mit ein, ob­wohl drei der acht lutherischen Gesprächsteilnehmer gegen den Entwurf stimmten.

Konkret besagte der Konkordatsentwurf, dass von lutherischer Seite das historische Episkopat in der Weise akzeptiert wurde, dass bei zukünftigen Ordinationen ein Bischof die Ordination zu vollziehen hat, während von Seiten der ECUSA den derzeit amtierenden lutherischen Bischöfen ein rechtmäßiges Bischofsamt zuerkannt wurde, in Zukunft aber neugewählte lutherische Bischöfe durch einen im historischen Episkopat stehenden episkopalen Bischof in das Amt eingeführt werden müssen. Das Konkordat war mithin ein Kompromiss. Von lutherischer Seite wurde die bislang bestehende Freiheit, die Ordination mit oder ohne Bischof zu vollziehen, aufgegeben, während von Seiten der Episkopalkirche die derzeitigen ELCA-Bischöfe als rechtmäßig, in historischer Sukzession stehend anerkannt wurden.

Allerdings ist der Kompromiss auf Seiten der ECUSA zeitlich begrenzt, da wegen der ebenfalls in dem Konkordat vorgesehenen Konsekration zukünftiger lutherischer Bischöfe durch Bischöfe der ECUSA über kurz oder lang alle lutherischen Bischöfe in der von ECUSA vorgegebenen historischen Sukzession stehen werden. Auf lutherischer Seite dagegen bedeutet die obligatorische Beteiligung eines Bischofs an der Ordination eine grundsätzliche Aufgabe des bisherigen lutherischen Amtsverständnisses.

Die Kirchenleitung der ELCA sah als Ziel des ökumenischen Ge­sprächs mit der ECUSA »Full Communion«, worunter vor allem Pfar­reraustausch und Abendmahlsgemeinschaft gemeint war. Des­halb war die Anerkennung des »Konkordats« durch die Generalsynode der ELCA (»churchwide assembly«) notwendig. Eine erste Abstimmung der im August 1997 in Philadelphia tagenden churchwide assembly erbrachte trotz Mehrheit nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Die Diskussion zeigte, dass die Synode zu­tiefst gespalten war. Auf der churchwide assembly in Denver im Jahre 1999 kam dann die erforderliche Zweidrittelmehrheit für das mittlerweile von einer Dreierkommission leicht veränderte und nun als Called to Common Mission (CCM) umbenannte »Konkordat« zu Stande.

In Denver wurde deutlich, wie viel der Kirchenleitung der ELCA an einem Einverständnis mit der ECUSA und der Verabschiedung des CCM lag. Dies änderte sich auch nicht, als aus den Reihen der Pfarrerschaft und des Kirchenvolkes laute und breite Kritik an dem CCM vernehmlich wurde. Theologisch bestand diese Kritik in der Weigerung, das in der Confessio Augustana, Artikel 7, verankerte Freiheitsprinzip in Sachen Kirchenordnung (»satis est …«) aufzugeben, sondern dieses Freiheitsprinzip wurde gerade als lutherischer status confessionis bezeichnet.

Gleichwohl kam in der Opposition auch ein seit langem unterschwellig angestautes Unbehagen über den von der Kirchenleitung der ELCA verfolgten allgemeinen liberalen Kurs zum Ausdruck. Die Opposition sah in der Kirchenleitung der ELCA eine sich selbständig machende Bürokratie, die ohne Bezug auf Gemeinden und Laien in Sachen Gesellschaftsordnung eine liberale und in Sachen Liturgie eine hochkirchlich, katholisierende Linie vertrat. Konkret wurde der Kirchenleitung vorgeworfen, dass negative Stimmen während der Diskussion in Denver kein Gehör fanden. So wurde einem Mitglied der Dreierkommission verwehrt, sein negatives Votum zu veröffentlichen. Die Sitzungen der Dreierkommission wurden auf Anweisung der Kirchenleitung der ELCA nicht protokolliert. Dagegen gelangte ein Brief des Vorsitzenden der Drei­erkommission, des bekannten amerikanischen Kirchenhistorikers Martin Marty, an seinen Pastor – angeblich ohne Einwilligung des Verfassers – an die Delegierten der churchwide assembly in Denver und übte großen Einfluss aus, in dem er die Zustimmung zum historischen Episkopat als rein formell bezeichnete.

Es ist nun für das Verständnis des ursprünglichen Konkordats­textes als auch des Revisionsdokumentes Called to Common Mission (und auch für die emotionale Opposition) von wesentlicher Be­deutung, dass sich diese Texte von entsprechenden europäischen ökumenischen Vereinbarungen (Porvoo, Meissen) grundsätzlich un­terschieden, da sie so gedeutet werden konnten, dass von luthe­rischer Seite eine prinzipielle Neubesinnung bzw. veränderte Kirchenordnung gefordert wurde. In den nordamerikanischen Ge­sprächen hatte sich das historische Episkopat als eine von Seiten der ECUSA grundsätzliche Prämisse erwiesen, die dem offeneren lu­therischen Freiheitsverständnis – man denke nur an die andersartigen Entwicklungen im 16. Jh. in Schweden und im Reich – entgegengesetzt wurde. Eine Übereinkunft war mithin ohne Nachgeben der einen oder der anderen Seite nicht möglich. Ein echter Kompromiss zwischen den beiden Seiten war allerdings schon deshalb ausgeschlossen, weil die Mehrheit der lutherischen Ge­sprächsteilnehmer ihrerseits dem historischen Episkopat positiv gegenüberstanden, eine Haltung, die allerdings in der ELCA mehrheitlich nicht geteilt wurde. Dazu kam, dass Called to Common Mission das Bischofsamt in historischer Sukzession als »a sign of the unity and apostolic continuity of the whole church« bezeich­nete. Gerade an diesem Satz mit seiner hohen Bewertung des Bischofsamtes entzündete sich die Opposition.

Die negative Reaktion innerhalb der ELCA auf den Konkordatsentwurf war scharf. So kam es im Februar 1999 zu einem ersten Treffen der Opposition in der Stadt Mahtomedi im Staat Minnesota. Eine Erklärung, die »Mahtomedi Resolution«, empfahl zunächst die Ablehnung des Konkordats, dann des revidierten Papiers Called to Common Mission. Die »Mahtomedi Erklärung« wurde später in Entschließungen zahlreicher ELCA-Synoden, die über die Hälfte der Mitglieder der ELCA ausmachten, befürwortet.

Die Opposition gegen das Dokument verständigte sich zu­nächst per e-mail listserve, obschon sich daraus schnell das Ziel einer organisatorischen Festigung der Oppositionskräfte ergab – das »WordAlone Network«, als innerkirchliche Reformbewegung von der ELCA-Kirchenleitung allerdings schnell als sektiererisch und kirchentrennend abgelehnt und bekämpft. Derartige kir­chentrennenden Tendenzen (und Drohungen) auf Seiten des Word

Alone Networks
hatte es in der ersten Phase der erhitzten Auseinandersetzung um die Annahme von Called to Common Mission durch die Kirchenversammlung gegeben; seither hat die Leitung des WordAlone Networks immer wieder betont, dass es sich bei der Bewegung um eine bewusst innerkirchliche Reformbewegung handele. Das Ziel des Networks sei die Erneuerung der Kirche (ELCA) auf der Grundlage der Schrift und der lutherischen Bekenntnisse, zum anderen aber auch die Ablehnung des zwangsmäßig eingeführten historischen Episkopats.

Der Widerstand gegen die Vereinbarung Called to Common Mission kam von einem großen Teil des Kirchenvolkes der ELCA. Obwohl genaue Zahlen fehlen, wird man annehmen dürfen, dass die Mehrheit des Kirchenvolkes und der Pfarrerschaft die Verabschiedung des Papiers ablehnte. Gleichwohl waren aber auch viele in der Opposition Stehende der Überzeugung, dass mit der Verabschiedung des Called to Common Mission durch das Mehrheitsvotum der Kirchenversammlung in Denver eine kirchenbindende Entscheidung gefallen war und sich deshalb weitere Proteste er­übrigten.

Gleichwohl hat die WordAlone-Bewegung ihre Opposition ge­gen die obligatorische Teilnahme eines Bischofs an Ordinationen bewusst weitergeführt und erreicht, dass auf der Kirchenversammlung im Jahre 2001 eine Ausnahmeregel (»exemption clause«) verabschiedet wurde, und zwar mit dem Inhalt, dass Ordinationskandidaten von ihren Bischöfen Befreiung (»exemption«) von der Ordina­tion durch einen Bischof beantragen können, wobei der zu­ständige Bischof dann einen Pfarrer mit der Ordination beauftragt. Mit dieser Klausel war sowohl für die Kirchenleitung als auch für die Bischöfe der ELCA die WordAlone-Protestbewegung gegenstandlos geworden.

Anstatt aber mit dieser Ausnahmeregel die WordAlone-Bewegung aufzulösen, hat sich die Protestbewegung in den letzten Jahren eher vertieft, vor allem auch weil argumentiert wurde, dass zahlreichen Ordinationskandidaten von ihren Bischöfen diese Aus­nahmeregelung nicht gewährt wurde. Darüber hinaus zeigte sich, dass die Vereinbarung mit der Episcopal Church USA nur der Auslöser einer latenten breiteren Unzufriedenheit mit dem als zu li­beral empfundenen Kurs der Kirchenleitung der ELCA war. Man muss daraus schließen, dass es sich bei WordAlone mithin um eine prinzipiell konservative Reformbewegung handelt, die sich zwar von anderen Reformgruppen in der ELCA, z. B. den »katholisierenden« Lu­theranern, die mit der Zeitschrift Lutheran Forum verbunden sind, distanziert, aber doch genau wie diese eine grundsätzliche Kursänderung der ELCA fordert.

Das zeigt sich auch an dem neuen Streitpunkt Homosexualität. Die ELCA-Kirchenleitung beschloss 2003, durch eine Experten­kommission die Problematik schwuler Pastoren und der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare klären zu lassen. Der Befund dieser Kommission wurde in drei Einzelvoten im Januar 2005 veröffentlicht: Er bestätigte sowohl die herkömmlichen Richtlinien für die Ordination von Pastoren, schlug aber gleichzeitig vor, etwaige Verletzungen dieser Richtlinien nicht weiter zu ahnden. Mithin konnte in den Voten eine innere Diskrepanz konstatiert werden, sich mithin die Opposition zum Teil moraltheologische, zum Teil aber auch kirchenpolitische Gründe zu eigen machen.

Jedenfalls zählte WordAlone zu den Opponenten der Voten. Obwohl diese nach heftiger Diskussion von der churchwide assembly abgelehnt wurden, machte diese Diskussion deutlich, dass sich sowohl die linke als auch die rechte Opposition in der Einschätzung der gegenwärtigen Situation der ELCA-Kirchenleitung einig war und es nur eine Frage der Zeit sein mag, bis sich die verschiedenen Oppositionsgruppen zusammenfinden. Im Herbst 2005 fand dann auch die Gründung eines oppositionellen Dachverbandes – Lutheran Churches of the Common Confession – statt.

Gegenwärtig sollen rund 200 Gemeinden mit über 100000 Gläubigen Mitglieder der WordAlone-Bewegung sein. Das wären zwar nur rund 2 % der Mitglieder der ELCA, es würde aber – sollten sich diese Gemeinden und Kirchenglieder schließlich von der ELCA trennen – nicht nur zu finanziellen Einbußen der ELCA, sondern auch zu einem weiteren Mitgliederschwund führen (die ELCA hat bereits – aus welchen Gründen auch immer – in den letzten 15 Jahren rund eine halbe Million Kirchenglieder verloren).

Mittlerweile kam es in der Episcopal Church USA (ECUSA) nach der Konsekration eines schwulen Pfarrers zum Bischof der Diözese von New Hampshire zu einer schweren und nachhaltigen Krise , in der es letzten Endes um die Mitgliedschaft der ECUSA in der weltweiten Anglikanischen Kirche ging, da von Seiten der konservativen anglikanischen Kirchen in Afrika und Südamerika scharfer Protest gegen die Konsekration eingelegt wurde. In der ELCA fanden diese Spannungen interessanterweise nur geringes Echo, und zwar vornehmlich von Seiten der Oppositionsgruppen, die darauf hinwiesen, dass die Konsekration des Bischofs einen Graben im beiderseitigen Amtsverständnis aufgerissen habe, die Voraussetzungen des Call to Common Mission mithin nicht mehr gegeben seien. Eine grundsätzliche Debatte in der ELCA über das Verhältnis zur Episcopal Church USA hat die Konsekration aber nicht ausgelöst.

Als Fazit wird man festhalten müssen, dass ökumenische Ge­spräche — sofern sie kirchenpolitisches oder theologisches Neuland beschreiten – ein Wagnis darstellen, und zwar deshalb, weil sie bislang unbeachtete Fragen und Themen in den Vordergrund schieben. Was die ELCA anbelangt, haben die ökumenischen Verein­barungen mit der United Methodist Church und der »Reformed Tradition« (die die betont liberale United Church of Christ mit einschließt) oder die Gespräche mit den Mennoniten (mit der Folgerung, dass im Bezug auf das Taufverständnis eine weitgehende Annäherung der beiderseitigen Standpunkte möglich sei) interessanterweise keineswegs den gleichen Sturm der Entrüstung hervorgerufen wie die Vereinbarung mit der ECUSA. Das mag damit zusammenhängen, dass zur Deutung theologischer Loci ein gewisses Sachverständnis notwendig ist (man denke nur an das Engagement der Theologen im Bezug auf die Gemeinsame Erklärung), während Themen der Kirchenordnung ein Konkretum (man denke hier an die interimistischen Streitigkeiten) darstellen, zu dem sich auch das breitere Kirchenvolk äußern kann. Auch zeigt sich hier, dass in den USA alle größeren »denominations« in einen konservativen und einen liberalen Flügel gespalten sind und diese zum Teil unterschwellige Spaltung dann in den Vordergrund rückt, wenn ökumenische Vereinbarungen herkömmliche Praxis zu be­drohen scheinen. Was die Evangelical Lutheran Church in America anbelangt, stellt sich gewiss die Frage, ob die Annahme des CCM-Dokumentes es wert gewesen ist, die ELCA in eine Krise zu stürzen, mag diese auch, was Krisen anbelangt, noch so bescheiden sein.

Fussnoten:

1) Dietrich Bonhoeffer: Barcelona, Berlin, Amerika, 1928–1931. Hrsg. von Reinhart Staats und Hans Christoph von Hase, in Zusammenarbeit mit Holger Roggelin und Matthias Wünsche, München 1991.
2) Sieh hier die Diskussion in Friedrich Wilhelm Graf: Die Wiederkehr der Götter. Religion in der modernen Kultur, München 2004, 28 ff.
3) H. Richard Niebuhr: The Social Sources of Denominationalism, New York 1929. Das Fazit der Diskussion über Niebuhrs Studie zieht der Sammelband Reimagining Denominationalism: Interpretive Essays. Edited by Robert Bruce Mullin and Russell E. Richey, New York 1994.
4) Der offizielle Bericht trägt den Titel Right Remembering in Anabaptist-Lutheran Relations, Chicago 2004.
5) Der Bericht über die ersten Gespräche der beiden Kirchen ist noch ganz von den Differenzen über das historische Episkopat geprägt: Siehe Lutheran Episcopal Dialog: A Progress Report, St. Louis 1972.