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Ausgabe:

Dezember/1997

Spalte:

1109–1112

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Dietrich, Walter, u. Martin A. Klopfenstein [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Ein Gott allein? JHWH-Verehrung und biblischer Monotheismus im Kontext der israelitischen und altorientalischen Religionsgeschichte.

Verlag:

Freiburg/Schweiz: Universitätsverlag; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1994. 608 S. gr.8° = Orbis Biblicus et Orientalis, 139. Geb. sFr 125,­. ISBN 3-7278-0962-0 u. 3-525-53774-3.

Rezensent:

Manfred Weippert

Der Sammelband enthält 28 Beiträge. Er präsentiert die Vorträge eines internationalen Forschungssymposions ("JHWH unter den Göttinnen und Göttern des Alten Orients"), das im Januar 1993 in Bern stattfand.

Nach einer Einführung von W. Dietrich (Über Werden und Wesen des biblischen Monotheismus: Religionsgeschichtliche und theologische Perspektiven, 13-30) folgen unter der Überschrift "Der religionsgeschichtliche und geschichtliche Rahmen" Abhandlungen von F. Stolz (Der Monotheismus Israels im Kontext der altorientalischen Religionsgeschichte ­ Tendenzen neuerer Forschung, 33-50(1)), A. Michaelis (Monotheismus und Fundamentalismus: Eine These und ihre Gegenthese, 51-57), N. P. Lemche (Kann von einer "israelitischen Religion" noch weiterhin die Rede sein? Perspektiven eines Historikers, 59-75), R. Albertz (Der Ort des Monotheismus in der israelitischen Religionsgeschichte, 77-96). "Der archäologische und epigraphische Befund" wird behandelt von Z. Meshel (Two Aspects in the Excavation of Kuntillet cAgrrud, 99-104), W. G. Dever (Ancient Israelite Religion: How to Reconcile the Differing Textual and Artifactual Portraits?, 105-125), A. Lemaire (Déesses et dieux de Syrie-Palestine d’après les inscriptions [c. 1000-500 av. n.è.], 127-158), T. N. D. Mettinger (Aniconism ­ a West Semitic Context for the Israelite Phenomenon?, 159-178(2)).

Zum Thema "JHWH und die Götterwelt Kanaans" lieferten Beiträge J. Day (Yahweh and the Gods and Goddesses of Canaan, 181-196), M. S. Smith (Yahweh and Other Deities in Ancient Israel: Observations on Old Problems and Recent Trends, 197-234), J. M. Hadley (Yahweh and "His Asherah": Archaeological and Textual Evidence for the Cult of the Goddess(3), 235-268), O. Keel und Chr. Uehlinger (Jahwe und die Sonnengottheit von Jerusalem, 269-306), H. Niehr (JHWH in der Rolle des Baalsamem, 307-326).

Unter der Überschrift "Der Eine und die weibliche Religiosität" stehen Abhandlungen von M.-Th. Wacker (Spuren der Göttin im Hoseabuch, 329-348), E. S. Gerstenberger (Weibliche Spiritualität in Psalmen und Hauskult, 349-363), H.-W. Jüngling ("Was anders ist Gott für den Menschen, wenn nicht sein Vater und seine Mutter?" Zu einer Doppelmetapher der religiösen Sprache, 365-386), B. Becking (A Task for Theology?, 387-390) und M. L. Frettlöh (Brauchen oder gebrauchen wir die Göttin? Diskussionsanregung aus feministisch-theologischer Perspektive, 391-399).

"Schritte von den Vielen zu dem Einen" rekonstruieren V. Fritz (Die Bedeutung der vorpriesterschriftlichen Vätererzählungen für die Religionsgeschichte der Königszeit, 403-411), A. de Pury (Erwägungen zu einem vorexilischen Stämmejahwismus: Hos 12 und die Auseinandersetzung um die Identität Israels und seines Gottes, 413-439), J. Jeremias (Der Begriff "Baal" im Hoseabuch und seine Wirkungsgeschichte, 441-462), W. Dietrich (Der Eine Gott als Symbol politischen Widerstands: Religion und Politik im Juda des 7. Jahrhunderts, 463-490), O. Loretz (Das "Ahnen- und Götterstatuen-Verbot" im Dekalog und die Einzigkeit Jahwes: Zum Begriff des Göttlichen in altorientalischen und alttestamentlichen Quellen, 491-527).

"Der Eine in vielfältiger Wahrnehmung" ist das Motto der Beiträge von M. A. Klopfenstein (Auferstehung der Göttin in der spätisraelitischen Weisheit von Prov 1-9?, 531-542), S. Schroer (Die personifizierte Sophia im Buch der Weisheit, 543-558), B. Lang (Der monarchische Monotheismus und die Konstellation zweier Götter im Frühjudentum: Ein neuer Versuch über Menschensohn, Sophia und Christologie, 559-564) und K. Koch (Mo-notheismus und Angelogie, 565-581).

Daß diesem in jeder Hinsicht gewichtigen Band Sach- und Stellenregister beigegeben sind (585-603), erleichtert seine Benutzung.

"Der ’Monotheismus’ kommt in Gestalt einer Heiligen Schrift zur Darstellung ...; die Polytheismen haben ihren fragmentarischen Niederschlag in archäologischen Quellen." In diesem von Stolz (39) formulierten Satz findet die Ausgangslage der gegenwärtigen Monotheismusdiskussion ihren prägnanten Ausdruck. Die Worte erklären auch, weshalb keiner der 28 Autoren mehr an der früher fast zum Allgemeingut gehörenden These festhält, dem Jahwismus seien von Anfang an monotheistischen Züge zu eigen gewesen. Durch archäologisches und epigraphisches Material ist die Existenz polytheistischer Religion im Palästina des 2. und 1. Jt.s v. Chr. so gut dokumentiert, daß der These eines uranfänglichen monotheistischen Jahwismus jede außerbiblische Stütze fehlt. Müssen wir also das Alte Testament, nachdem in den vergangenen Jahren bereits seinen Wert als Geschichtsquelle stark reduziert worden ist, auch als Quelle für eine Rekonstruktion der Religionsgeschichte Palästinas im 1. Jt. v. Chr. ad acta legen, wie es uns Lemche (59-75) empfiehlt? Ist die These eines von Beginn an monotheistischen Jahwismus nur noch in der reduzierten Form möglich, daß es in Israels Vor- und Frühgeschichte einzelne Elemente gab, die spätere monotheistische Tendenzen ermöglichten und förderten? Albertz findet ein solches Element in der "revolutionären Entstehungssituation" Israels (93 u. ö.), Mettinger (159-178) in al-ten westsemitischen anikonischen Traditionen. Das eine wie das andere habe aber erst in der späteren Eisenzeit bei der Entstehung des Monotheismus mitgewirkt. Viele der Autoren denken an Hosea, wenn es um die Anfänge des biblischen Monotheismus geht: "Bei Hosea finden wir die erste, vordeuteronomistische ... Inszenierung des Jahwe-Exklusivismus" (de Pury 418). Jeremias (443) bringt dies, mit allerdings kritischem Unterton, auf den Punkt, wenn er sagt, Hosea werde in der neueren Forschung "unter der Hand nahezu zum Religionsgründer, zu einem Mose der kritischen Wissenschaft".

Freilich, ganz so scharf, wie Stolz die Grenze zwischen schriftlicher und materieller Überlieferung zieht, und wie Lemche sie dann in der wissenschaftlichen Konsequenz verlängert sehen möchte, wird man nicht trennen und deshalb auch die Texte nicht gegen die materielle Hinterlassenschaft ausspielen dürfen. So charakterisiert Dever (105-125) diesen Gegensatz als einen vermeintlichen: Die Schriftüberlieferung sei zwar ein Produkt der (männlichen) Elite und der "Orthodoxie"; doch werde in ihr auch genau das kritisiert, was uns im archäologischen Befund als die kultische Praxis breiter Bevölkerungsschichten (auch der weiblichen) greifbar werde. Die Scheidungslinie verlaufe also nicht zwischen schriftlicher und archäologischer Überlieferung, sondern zwischen gesellschaftlichen Gruppen. Daß das Alte Testament in den Teilen, die auf den Monotheismus hinführen, weitgehend als "Oppositionsliteratur" einzustufen sei, findet entsprechend in einigen Beiträgen besonders deutlichen Ausdruck (de Pury 414 f.,432, 435; Dietrich 463-490). Eine die gesellschaftlichen Gruppen und Schichten im Blick behaltende Rekonstruktion der religiösen Verhältnisse sei deshalb erforderlich (so etwa Dever 114; Albertz 81; Keel/Uehlinger 270), bei der zumindest die Ebenen Familie, Ort und Staat zu unterscheiden seien. Smith (224-226) möchte diese Aufteilung noch weiter ­ lokal wie funktional ­ verfeinern, da wir sowohl in den Texten als auch im archäologischen Befund nur jeweils die Spitze eines Eisbergs vor uns hätten: Das religiöse Leben sei überaus differenziert gewesen, wie die große Zahl von Göttern und Dämonen belege, deren Verehrung sich noch erschließen lasse (197 f.). Wolle man die Religionsgeschichte Israels im 1. Jt. v. Chr. und damit Jahwes Aufstieg zum einzigen Gott rekonstruieren, dann, so die überwiegende Mehrheit der Verfasser, seien die biblischen Überlieferungen im Licht archäologischer und epigraphischer Befunde und vice versa zu interpretieren. Hadley (242) drückt das so aus, daß die außerbiblische Überlieferung eine große Hilfe bei dem Versuch sein könne, im Alten Testament "zwischen den Zeilen zu lesen" (vgl. etwa auch Loretz 520 im Hinblick auf das "erste" Gebot im Dekalog).

Auch wenn folglich über das allgemeine Vorgehen ein weitgehender Konsens besteht und methodisch die meisten Autoren so verfahren wie Stolz (33-50) dies programmatisch beschreibt, indem sie "inkludierende" und "exkludierende" Tendenzen in dem Prozeß beobachten, an dessen Ende Jahwe als der pantheios dasteht, der die pantheia hinter sich gelassen hat, so weichen die Ergebnisse im einzelnen doch erheblich voneinander ab. Day (181-196) gelangt etwa zu der Auffassung, Jahwe habe Züge von El und Baal sowie von deren Gefährtinnen Aschera, Anat und Astarte übernommen; eine Angleichung an den Sonnengott oder an Moloch sei aber unterblieben. Demgegenüber beschreiben Keel und Uehlinger (307-326), wie Jahwe den Sonnengott aus dem Jerusalemer Tempel zunächst verdrängt habe, später aber selbst solarisiert worden sei (vgl. Niehr 316-318). Ganz unterschiedlich fallen auch die Antworten auf die Frage aus, wo denn das Weibliche im Monotheismus bleibe. Für Gerstenberger (349-363) kommt es in den von ihm untersuchten Psalmentexten zu kurz, für Jüngling (365-386) hat gerade der einzige Gott auch weibliche Züge, für Schroer (543-558) rückt es erst in der Spätzeit in Gestalt der Sophia an seine Seite (vgl. Klopfenstein 531-542). Offen bleibt, ob dies als eine Komplementierung Jahwes zu verstehen ist oder eher im Rahmen des von Koch (565-581) beschriebenen Phänomens, daß der Monotheismus, je ausgeprägter er sei, um so mehr Zwischenwesen ­ in seinem Fall: Engel und Dämonen ­ verlange.

Notwendig bleibt auch in diesem, ein weites Meinungsspektrum umfassenden und die gegenwärtige Diskussion vorzüglich repräsentierenden Sammelband vieles unbeantwortet. Nur wenige Gesichtspunkte können hier ­ und auch das nur in Gestalt von Problemanzeigen ­ angesprochen werden; auf Einzelheiten kann schon aus Raumgründen nicht eingegangen werden.

So ist es schwierig, eindeutig zwischen Voraussetzungen und Folgen monotheistischer Tendenzen zu unterscheiden. Hierbei ist etwa an die unterschiedliche Struktur der Pantheia von Stadt- und Territorialstaaten zu denken (Lemaire 127-158) oder an die Ablehnung von Ahnen- oder Kultbildern ganz allgemein (Loretz 491-527; Mettinger 159-178). Der Ursprung und Charakter des "neuen" Gottes Bacl Samem bedarf trotz der weiterführenden Darstellung Niehrs (307-326) noch weiterer Klärung; für mich ist der Aufstieg Hadads/Baals in die Funktion des höchsten Gottes (= Bacl Samem) derselbe Vorgang, der auch Jahwe an die Spitze des Pantheions gebracht hat(4).

Undeutlich ist bislang auch, welche hermeneutischen Konsequenzen die erweiterte Kenntnis der religionsgeschichtlichen Verhältnisse im Israel des 1. Jahrtausends v. Chr. für die Gegenwart haben könnte (Michaelis 51-57; Becking 387-390; Frettlöh 391-399). Genauer sollte wohl zudem das Auseinanderklaffen der biblischen und der archäologischen Überlieferung bedacht werden. Wenn erstere, wie es manchen Autoren scheint, den Monotheismus, letztere den Polytheismus bezeugt, könnte dies nicht auch sachliche oder fachliche Gründe haben? Eine Analogie kann das vielleicht verdeutlichen: Wäre nicht auch jede katholische oder orthodoxe und gar manche protestantische Kirche, mit den Augen eines Archäologen betrachtet, ein Beleg für polytheistischen Kult? Trotzdem versteht das Christentum sich ausdrücklich als monotheistische Religion. Können aber Juden und Muslime diese Behauptung überhaupt nachvollziehen?

Fussnoten:

(1) Vgl. inzwischen ders., Einführung in den Monotheismus, Darmstadt 1996.
(2) Vgl. inzwischen ders., No Graven Image? Israelite Aniconism in its Near Eastern Context, Coniectanea Biblica, Old Testament Series 42, Stockholm 1995. Vgl. dazu die ausführliche Besprechung von Chr. Uehlinger, Biblica 77,1996, 540-543.
(3) Die von der Verfasserin als "forthcoming" angekündigte Monographie, Evidence for a Hebrew Goddess: The Cult of Asherah in Ancient Israel, ist mir noch nicht zu Gesicht gekommen. Siehe inzwischen auch C. Frevel, Aschera und der Ausschließlichkeitsanspruch YHWHs: Beiträge zu literarischen, religionsgeschichtlichen und ikonographischen Aspekten der Ascheradiskussion, Bonner Biblische Beiträge 94, Weinheim 1995.
(4) Inwieweit die Existenz eines kleinasiatischen "Wettergotts des Himmels" (E. Laroche, Recherches sur les noms des dieux hittites, Paris 1947, 109; E. v. Schuler in: H. W. Haussig [Hrsg.], Wörterbuch der Mythologie, I, Stuttgart 1965, 209 f.) vielleicht durch "syrohethitische" (luwische) Vermittlung (siehe M. Kalaç, Orientalia NS 34, 1965, 423) die Herausbildung der Gestalt des Bacl Samem/Samain beeinflußt hat, bleibt noch zu untersuchen. In Karatepe werden beide gleichgesetzt; siehe M. Weippert, Jahwe und die anderen Götter: Studien zur Religionsgeschichte des antiken Israel in ihrem syrisch-palästinischen Kontext, Forschungen zum Alten Testament 18, Tübingen 1997, 114 f.118.