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Ausgabe:

Dezember/1997

Spalte:

1100–1104

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Dohmen, Christoph, u. Thomas Söding [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Eine Bibel –­ zwei Testamente. Positionen Biblischer Theologie.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 1995. 318 S. kl.8° = UTB für Wissenschaft, Uni-Taschenbücher, 1893. Kart. DM 28,80. ISBN 3-8252-1893-7.

Rezensent:

Antje Labahn/Michael Labahn

Die letzten Jahre haben sowohl für die alttestamentliche als auch für die neutestamentliche Exegese eine reiche Ernte an theologischen Gesamtentwürfen erbracht (als Beispiele seien genannt: AT: O. Kaiser, H. D. Preuß; NT: J. Gnilka, G. Strecker [F.W. Horn], A. Weiser).(1) Neben diesen Entwürfen wurden aber auch eine Anzahl von Konzeptionen vorgelegt, die die vorangegangenen Diskussionen um das Recht und die Möglichkeiten einer Biblischen Theologie (= BT) zu einem konkreten Modell verdichten (z. B. die gesamtbiblische Theologie von B. S Childs; siehe auch G. Kittel; als systematischer Theologe: F. Mildenberger [Biblische Dogmatik als Biblische Theologie in dogmatischer Perspektive]; dezidiert als Biblische Theologien des Neuen Testaments: P. Stuhlmacher und H. Hübner).

Solcher Fundierung stehen Entwürfe entgegen, die angesichts der theologischen Spannungen in den beiden Testamenten selbst stattdessen eine alttestamentliche Religionsgeschichte (R. Albertz(2)) oder eine neutestamentliche Theologiegeschichte (K. Berger; s. a. H. Räisänen) bieten wollen. Alles in allem ergibt die Durchsicht dieser Entwürfe ein sehr differentes Bild. So überrascht es nicht, daß besonders die Frage nach der Einheit der beiden Testamente zwar als ein für die christliche Theologie insgesamt drängendes Problem anerkannt wird, aber sehr differente Antworten erhält. Schon die dezidiert als BT entworfenen Ansätze von Stuhlmacher und Hübner unterscheiden sich signifikant. In dieser Situation ist es ein wünschenswertes Unterfangen, wenn die Herausgeber des zu besprechenden Sammelbandes, der Osnabrücker Alttestamentler Christoph Dohmen und der Münsteraner Neutestamentler Thomas Söding, einen Themenband präsentieren, der Konzeptionen dieser fundamentalen theologischen Fragestellung vorstellt.

Der auch die internationale Diskussion repräsentierende Sammelband bietet 21 programmatische Beiträge aus der Feder römisch-katholischer wie auch evangelischer Exegeten. Die Herausgeber geben kenntnisreiche Einleitungen zu dem alttestamentlichen und neutestamentlichen Abschnitt bei, die sich selbst zu Beiträgen für die Fragestellung des Sammelbandes entwickeln. Zur Weiterarbeit werden den Aufsätzen kurze Bibliographien der jeweiligen Autoren nachgestellt, die erkennen lassen, wie sehr diese in die Diskussion um die BT eingebunden sind. Zugleich belegt dies die glückliche Hand, die die Hgg. bei ihrer Auswahl der Autoren bewiesen haben.

Wenn allerdings der Untertitel des Sammelbandes das Ziel näher als eine Darstellung von "Positionen Biblischer Theologie" erklärt, so ist anzumerken, daß sich nicht jeder der Verfasser das Signet einer "Biblischen Theologie" im Sinne eines Plädoyers für die ­ wie im einzelnen auch immer näher zu bestimmende ­ Einheit der beiden Testamente anheften lassen wird (z.B. G. Strecker, H. Räisänen und O. Merk). Diese Beobachtung zeigt aber bereits, daß es den Herausgebern gelungen ist, Verfasser mit genuin unterschiedlichen Positionen zu gewinnen und so ein differenziertes Bild der gegenwärtigen Fragestellung zu vermitteln.

Die einzelnen Autoren erneuern in ihren Beiträgen teilweise von ihnen bereits entwickelte Thesen und suchen diese fortzuführen; dies geschieht bisweilen sehr grundsätzlich. Die Ernte des Sammelbandes läßt sich daher in einer kurzen Rezension nicht wirklich einbringen. Eine Kritik müßte sich jedem Beitrag im einzelnen widmen; dies würde aber den Raum dieser Rezension sprengen. Wir beschränken uns daher auf eine kurze Darstellung der leitenden Thesen in den einzelnen Beiträgen, um schließlich zu einem problemorientierten Ausblick auf das Gesamtwerk zu kommen:

Joachim Becker, Christologische Deutung des Alten Testaments, 17-28: In sechs Thesen sucht B. eine christologische Deutung des AT zu begründen, indem die Erkenntnis um die geschichtlich gewachsene alttestamentliche Überlieferung zugunsten einer christusbezogenen Interpretation der alttestamentlichen Aussagen als einer Suche nach dem "verborgenen Christus" preisgegeben wird.

Brevard S. Childs, Die Beziehung von Altem und Neuem Testament aus kanonischer Sicht, 29-34: Das AT ist zusammen mit dem NT so zur Sprache zu bringen, daß die Eigenart der Bibel, ihr Hauptgegenstand, ihre res deutlich wird, nämlich die göttliche Realität, "die im christlichen Bekenntnis der Gott und Vater Jesu Christi ist" (33). Das die beiden Testamente Verbindende ist also der in der Bibel gemeinsam bezeugte eine Gott.

Hartmut Gese, Über die biblische Einheit, 35-44: G. modifiziert seine These von einem "zusammenhängenden Traditionsbildungsprozeß" (38), der mit der Zions- und Davidtradition beginnt und über die göttlichen Heilsgaben an die davidische Dynastie und einer Erwartung ihrer Restitution in nachexilischer Zeit bis zu einer Messiashoffnung reicht und schließlich mit der Erfüllung der messianischen Weissagungen im NT endet. G. betont nunmehr, daß das Traditionskontinuum auf die christliche Tradition beschränkt ist, da das Judentum bei den unter Esra geschehenen Kanonisierungsbestrebungen stehengeblieben sei, während das Christentum allein eine Weiterentwicklung hervorgebracht habe.

Otto Kaiser, Die Botschaft der beiden Testamente, 45-58: Anknüpfend an die in seiner alttestamentliche Theologie(3) entwickelten Gedanken betont K. "ein grundlegendes Existenz- und Gottesverständnis", das den beiden Testamenten gemeinsam ist (48). Die Alleinverehrung Jahwes als Grundbeziehung wie auch die Tora als schriftlich fixierten Ausdruck des göttlichen Willens betrachtet K. als Mitte der Schrift, wobei das NT schließlich über diese alttestamentliche Aussagen hinausgeht, indem es Jesus Christus als den gekommenen Messias bezeugt und die Tora zur Erfüllung bringt.

Hans Joachim Kraus, Der Erste und der Neue Bund, 59-69: K. bietet in seinem Beitrag eine Untersuchung zu Jer 31,31-34, dessen neuen Bund er als eine anthropologische Veränderung versteht und sich gegen jede Erfüllung der Verheißung in Jesus Christus ausspricht; dabei bleibt K. leider eine Antwort auf die Fragestellung einer Einheit der BT schuldig.

Norbert Lohfink, Eine Bibel ­ zwei Testamente, 71-81: L. gibt eine vielschichtige Antwort auf die Frage nach der Einheit der Testamente. Da das NT von Anfang an auf das AT angelegt ist, fordert er eine "gesamtbiblische Intertextualität". Eine weitergehende Entsprechung der einzelnen Teile zueinander erkennt er in "literarischen Verstrebungen" innerhalb und zwischen den einzelnen Büchergruppen beider Testamente (z. B. das unterschiedliche Verständnis von Tora).

Manfred Oeming, Biblische Theologie als Dauerreflexion im Raum des Kanons, 83-95: Für O. ist BT ein Ausdruck dafür, daß jede einzelne Schrift in ihrer eigenen Entstehungsgeschichte zu begreifen ist. In den Fortschreibungsprozessen ringen so Positionen und Gegenpositionen der Schrift um das rechte Verständnis der Sache auf der Grundlage der Einheit Gottes.

Rolf Rendtorff, Die Bibel Israels als Buch der Christen, 97-113: Das AT ist zunächst die heilige Schrift des Judentums; als solche ist sie ernstzunehmen und in ihren historischen Dimensionen zu verstehen. Dennoch kommt gegenüber dem diachronen Verstehen der synchronen Betrachtungsweise ein Prae zu, das erst danach nach Veränderungen beim Gebrauch der Bibel in neuen Lebenskontexten fragen läßt.

Henning Graf Reventlow, Zwischen Bundestheologie und Christologie, 115-130: R. zeigt exemplarisch auf, wie das NT die Traditionen des AT in Kontinuität und Diskontinuität rezipiert (am Beispiel Bund, Tora und der Messiasgestalt). Die Urgemeinde ist so tief im religiösen Denken des AT verwurzelt, daß sie das Kreuzesgeschehen aus dem ihr vertrauten Motivgehalt um die Versöhnung mit Gott zu erklären sucht und gerade darin eine Neuaussage der ihr überkommenen alttestamentliche Aussagen vornehmen muß.

Horst Seebass, Über die innere Einheit von Altem und Neuem Testament, 131-142: Für S. ist das entscheidende Band zwischen Altem und Neuem Testament die Selbigkeit Gottes. Hat das Gottesverständnis bereits im AT in verschiedenen theologischen Strömungen zu unterschiedlichen Zeiten Veränderungen erfahren, so reihen sich die neutestamentliche Autoren hier ein, insofern das im AT an anthropologischen Vorstellungen entwickelte Gottesbild weitergedacht wird und zu einer universalen Offenbarung hindrängt.

Erich Zenger, Thesen zu einer Hermeneutik des Ersten Testaments nach Auschwitz, 143-158: Z. differenziert eine dreifache Verwendung des AT, von ihm dezidiert ’Erstes Testament’ genannt, indem er ein christliches Lesen, ein jüdisches Lesen und ein historisch-kritisches Lesen der Texte unterscheidet. Hieraus folgert Z. vier Richtlinien, wie "die Kirche ihr erstes Testament Š lesen" soll: "als Gottes-Wahrheit über die Juden", "als Zeugnis vom Neuen Bund", "als Gottes-Botschaft, die im Zweiten Testament nicht oder so nicht enthalten ist", "als Einübung in die messianische Geschwisterlichkeit mit den Juden" (156 f.).

James D. G. Dunn, Das Problem "Biblische Theologie", 179-193: Die Texte, die den Gegenstand einer BT bilden, sind die Bibel zweier Religionsgemeinschaften; so führt die BT hinein in das Gespräch zwischen Judentum und Christentum. Insofern stellt BT die Frage nach der Identität dieser Gruppen. Es geht also um die ’diachronische’ Leitfrage, ob die frühchristlichen Gruppen noch in der Kontinuität der vielfältigen jüdischen Gruppen stehen, die in ihren Schriften zu erkennen sind. Das entscheidende Interesse gilt der Zeit, da der Schriftenkanon dieser Gruppen noch unabgeschlossen war und die neutestamentlichen Schriften Teil der einen Schrift hätten werden können. Als identitätsgründende Schlüsselthemen sind die ’Einzigartikeit Gottes’, ’Israel’ und das ’Gesetz’ daraufhin zu befragen, ob hier gegenüber den jüdischen Schriften eine entscheidende Diskontinuität in der Verkündigung Jesu oder der Verkündigung von Jesus zu finden ist.

Otfried Hofius, Das apostolische Christuszeugnis und das Alte Testament. Thesen zur Biblischen Theologie, 195-208: Ausgehend von Hebr 1,1.2a ist die Offenbarung Gottes an die Väter im hebräischen wie im griechischen AT und die Selbstbekundung desselben Gottes in Person und Werk Jesu Christi im NT zu unterscheiden; dieser Jesus Christus, in dem Gottes Wort zu den Propheten sich im Kommen Gottes erfüllt, ist "Mitte" des NT und "Schlüssel" des AT. Bezeugt letzteres das "abschließende und endgültige Reden Gottes zu ’uns’", so liegt zwischen den Testamenten "ein gewichtiger Unterschied" vor (196). BT als kritische Fragestellung hat nach H. eine das AT auf Christus beziehende und auch neu interpretierende Diskontinuität in dem sühnegewährenden Handeln Gottes in Jesus Christus für alle Menschen zu bedenken; ebenso ist sie der Kontinuität in der Selbigkeit des im AT und NT bezeugten, in seinem Worte treuen Gottes gewahr.

Hans Hübner, Was ist Biblische Theologie?, 209-223: Im Nachdenken über das Wesen von Theologie als das menschlich vernehmbare und daher reflektierbare Sich-Selbst-Offenbaren Gottes plädiert H. für eine historisch-kritische Interpretation des Geschichte gewordenen Gottes. Durch die Unterscheidung zwischen Tradition und Rezeption sucht er dem Faktum unterschiedlicher Interpretationen gerecht zu werden und betont erneut die Unterscheidung zwischen Vetus Testamentum und Vetus Testamentum in Novo receptum; allerdings sei letzteres nicht notwendig von ersterem essentiell verschieden.

Otto Merk, Gesamtbiblische Theologie. Eine offene Diskussion, 225- 236: M. erneuert durch eine Kritik verschiedener Modelle seine Vorbehalte gegen eine BT, indem er das Novum des neutestamentliche Kerygmas allein durch die Unterscheidung zwischen alttestamentlicher und neutestamentlicher Theologie gewährleistet findet. Vor allem sieht M. die Relevanz historisch-kritischer Forschung in Frage gestellt, was er zugleich als Gefahr für die kirchliche Praxis benennt, und fordert eine differenzierte religionsgeschichtliche Orientierung.

Franz Mußner, Kommende Schwerpunkte Biblischer Theologie, 237- 251: In Auseinandersetzung mit der klassischen Exegese, der er auch eine stärkere Beachtung der Welthaftigkeit der Bibel abfordert, mahnt M. die Beachtung der semantischen Fragestellung, vor allem des ’semantischen Universums’ des Literaturwerkes ’Bibel’ an. Das AT ist in dieser Perspektive (als Beispiel fungiert Lk 1,26-38) eine unaufgebbare Voraussetzung des NT, das seinerseits vom AT her ausgelegt werden muß. Eine christliche Theologie, die das AT aufgibt, gerät in die Gefahr des Antisemitismus; dabei fordert M. für eine "Exegese nach Auschwitz" eine bewußte Auseinandersetzung mit den neutestamentlichen Antijudaismen und Diskreditierungen des Judentums.

Heikki Räisänen, Die frühchristliche Gedankenwelt. Eine religionswissenschaftliche Alternative zur "neutestamentlichen Theologie", 253-265: Das Erbe der Religionsgeschichtlichen Schule aufnehmend, fordert R. programmatisch eine unparteiliche Religionsgeschichte des NT. Im Gegenüber zur neutestamentliche Theologie als Funktion der Kirche gehe es ihr um Objektivität und Neutralität gegenüber den konkurrierenden frühchristlichen Gruppen. Die Beschränkung auf den neutestamentliche Kanon wird dabei grundsätzlich bestritten. Die Wechselwirkungen von Tradition, Erfahrung und Interpretation werden als Leitlinien für die Erfassung der frühchristlichen Gedankenwelt herausgestellt.

Georg Strecker, "Biblische Theologie" oder "Theologie des Neuen Testaments"?, 267-273: In diesem noch kurz vor seinem zu frühen Tode entstandenen Beitrag,(4) begründet S. erneut seine Kritik an einer BT. Die Neuheit des im urchristlichen Kerygma bezeugten Christusgeschehens bricht nach S. den Sachzusammenhang zwischen Altem und Neuem Testament auf. Gegenüber der alttestamentlich-jüdischen Überlieferung und der Literatur des Hellenismus sei als Aufgabe der neutestamentlichen Theologie die Eigenheit des neutestamentlichen Christuskerygmas zu erschließen.

Peter Stuhlmacher, Biblische Theologie des Neuen Testaments ­ eine Skizze, 275-289: S. betont die Bedeutung des Kanonisierungsprozesses als einem komplexem Vorgang, der hebräische Bibel, Septuaginta und NT zusammenschließt. Neben der Betonung der Einheit Gottes in beiden Testamenten sind es einmal mehr die kritische Empathie mit der biblischen Botschaft und das historische Zutrauen in die Jesusbotschaft, die in S.s Auseinandersetzung mit der historisch-kritischen Auslegung auffallen.

Wilhelm Thüsing, Perspektiven für eine Biblische Theologie des Alten und des Neuen Testaments, 291-306: T. sucht der Eigenbedeutung der Testamente wie der in ihnen enthaltenen Schriften und Texte gerecht zu werden, indem er als Aufgabe der ’BT des Alten und Neuen Testaments’ die Suche nach der "spannungsvolle(n) ’Ganzheitlichkeit’" bestimmt. Im Respekt gegenüber dem je eigenen Wesenszug der Testamente sucht die BT die Verbindungslinien und Strukturanalogien zu erfassen und schließlich zu einem zusammenfassenden Nachdenken zu kommen, das das "beide ’Testamente’ verbindende Handeln des einzigen Gottes" zu beachten haben wird, und zwar als Handeln Gottes an Israel und nachösterlich durch den auferweckten und erhöhten Jesus Christus. Als Angelpunkt zwischen den Testamenten ist der Jude Jesus von Nazareth in personaler und intentionaler Identität zu sehen.

Nikolaus Walter, Zum Problem einer "Biblischen Theologie", 307-318: W. definiert BT als ein beide Testamente umfassendes Unternehmen christlicher Theologie. Historisch gesehen ist das christliche AT die Septuaginta. Zwischen den Testamenten liegt ein "Paradigmenwechsel", der mit Jesus Christus als dem gekreuzigten und auferweckten Gottessohn verbunden ist; dies ist einer christologischen Vereinnahmung des AT, beispielsweise auch in der christlichen Predigt, entgegenzuhalten. BT hat beim Christuszeugnis des NT einzusetzen im Wissen um die Identität des sich im AT offenbarenden Gott mit dem im Christusgeschehen zum Heil für alle Welt werdenden Gott und Vater Jesu Christi.

Die Entwürfe stellen sich mehrheitlich der Aufgabe, das eschatologisch Neue des Handelns Gottes in Jesus Christus zu erfassen. So ist, soweit das Problem thematisiert wird, ein relativer Konsens darin zu erkennen, daß die Neuheit und Einzigkeit dieses Geschehens für die christlich-theologische Bewertung des Verhältnisses der beiden Schriftenkorpora ein signifikantes Datum ist. Gerade dieses Grundmoment des christlichen Glaubens ist auch das entschiedene Movens der meisten Entwürfe der BT. Besonders anerkennenswert ist es, daß das Verhältnis und Gespräch zwischen Juden und Christen, zwischen jüdischer Exegese und christlicher Exegese, in der Mehrzahl der Beiträge angesprochen oder ausdrücklich thematisiert wird. Indem sie jeder Form des Antisemitismus ablehnend begegnet, nimmt sie zugleich theologisch wie gesellschaflich eine wichtige Funktion wahr. Dabei wird deutlich, daß BT ebenso das besondere Verhältnis der jüdischen Exegese zur hebräischen Bibel anzuerkennen sucht, wie sie auch die historische Lektüre des ­ christlich gesprochen ­ Alten Testaments zu beachten bemüht ist, indem sie zwischen dieser und der Lektüre des AT durch die neutestamentlichen Verfasser unterscheidet. Allerdings findet diese These, insbesondere in der Form, die Hübner vorträgt (die Differenzierung Vetus Testamentum in seipso und Vetus Testamentum in Novo receptum), auch entschiedenen Widerspruch. Doch sollte u. E. nicht wirklich betritten werden, daß die neutestamentlichen Verfasser ihre Bibel, d. h. zunächst die LXX, vom Christusgeschehen herkommend, wiederum auf dieses Geschehen hin lesen. Der Einwand, daß diese Sicht eine moderne Deutung des Sachverhaltes darstellt, läßt das diesen Schriften immanente hermeneutische Signal außer acht, mit dem die frühchristlichen Schriftsteller ihre Schriftlektüre als vom Christusgeschehen initiierte Lektüre vorstellen (vgl. die mt. u. die joh. Erfüllungszitate). Dieses Novum wird aber als Erfüllung biblischer Texte gelesen. Daß hier von einem hermeneutischen Prinzip gesprochen werden kann, ist durchaus sachgemäß, wenngleich jeder Verfasser in seinem eigenen theologischen, historischen und sozialen Kontext zu beachten ist. Wie auch immer man dieser Differenzierung gegenübersteht, so bleibt doch die wesentliche Beobachtung, daß die Bedeutung der LXX für die BT zunehmend anerkannt wird.

Nach der Lektüre dieses Sammelbandes wird aber auch ein weiteres deutlich: In der gegenwärtigen Forschungslage kann nur von "Biblischen Theologien" gesprochen werden. Die Vielzahl der Positionen, die bisweilen in einem heftigen Disput miteinander liegen, läßt die Verwendung des Singulars nicht zu. Allerdings wird erfreulicherweise erkennbar, daß sich in den unterschiedlichen Entwürfen ein gemeinsamer Fragekontext ergibt, den die Diskussionsteilnehmer als relevant erachten. Die Vielzahl der Antworten auf das Problem einer BT zeigt zugleich, daß dieses Unternehmen gewillt ist, aufgrund des Schriftbefundes differenzierte Antworten zu geben und sich der gegenwärtigen exegetischen Diskussion insgesamt zu stellen. So nehmen die Positionen Biblischer Theologie auch Anteil an der gegenwärtigen Methodendiskussion um die Rolle der historisch-kritischen Methode sowie die Bedeutung literaturwissenschaftlicher Arbeitsweisen für die biblische Exegese. Zugleich zeigt sich eine Relevanz der BT für Theologie und Praxis der Kirche, die von den Autoren bedacht und kritisch reflektiert wird.

Kommen in diesem Sammelwerk differente Standpunkte zu Wort, so hätte der eine oder andere Autor das Bild noch weiter vervollständigen können. Doch die Auswahl ist insgesamt als geglückt zu bewerten, und der Leser darf versichert sein, über die wesentlichen Auffassungen informiert zu werden. In formaler Hinsicht wäre ein Register zu wünschen gewesen, was, wenn eine diesem Werk zu erhoffende zweite Auflage erscheinen würde, ergänzt werden sollte. Den Herausgebern ist ebenso wie den Autoren zu danken und dem Werk eine große Leserzahl zu wünschen.

Fussnoten:

(1) Ein verspäteter Gruß zum 65. Geburtstag von Prof. Dr. Nikolaus Walter
(2) Zur Diskussion um diesen Entwurf vgl. JBTh 10: Religionsgeschichte Israels oder Theologie des Alten Testaments?, Neukirchen-Vluyn 1995.
(3) O. Kaiser, Der Gott des Alten Testaments: Theologie des Alten Testaments 1. Grundlegung, UTB 1747, Göttingen 1993.
(4) Der Beitrag entspricht dem zweiten Abschnitt der Einleitung seiner inzwischen posthum erschienenen neutestamentlichen Theologie: Theologie des Neuen Testaments. Bearb., erg. u. hrsg. von F. W. Horn, GLB, Berlin-New York 1996, 4-9.