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Ausgabe:

Januar/2007

Spalte:

88-93

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Behm, Britta L.:

Titel/Untertitel:

Moses Mendelssohn und die Transformation der jüdischen Erziehung in Berlin. Eine bildungsgeschichtliche Analyse zur jüdischen Aufklärung im 18. Jahrhundert.

Verlag:

Münster-New York-München-Berlin: Waxmann 2002. 309 S. gr. 8° = Jüdische Bildungsgeschichte in Deutschland, 4. Kart. EUR 29,80. ISBN 3-8309-1135-1.

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Lohmann, Ingrid [Hrsg.]: Chevrat Chinuch Nearim. Die jüdische Freischule in Berlin (1778­1825) im Umfeld preußischer Bildungspolitik und jüdischer Kultusreform. Eine Quellensammlung. Mithrsg. v. U. Lohmann unter Mitarbeit v. B. L. Behm, P. Dietrich u. Ch. Bahnsen. 2 Teilbde. Münster-New York-München-Berlin: Waxmann 2001. X, 680 S. u. S. 681­1491 m. Abb. gr. 8° = Jüdische Bildungsgeschichte in Deutschland, 1/1 u. 1/2. Geb. EUR 105,00. ISBN 3-89325-780-2.

Eliav, Mordechai: Jüdische Erziehung in Deutschland im Zeitalter der Aufklärung und der Emanzipation. Geschlechtsdifferente Erziehung von Knaben und Mädchen der Hamburger jüdisch-liberalen Oberschicht, 1848­1942. Erstausgabe: Jerusalem 1960. Für die deutschsprachige Ausgabe v. Autor überarbeitet u. ergänzt. Aus d. Hebräischen übers. v. M. Strobel. Münster-New York-München-Berlin: Waxmann 2001. XVII, 472 S. gr. 8° = Jüdische Bildungsgeschichte in Deutschland, 2. Geb. EUR 45,50. ISBN 3-89325-894-9.

Hoffmann, Andreas: Schule und Akkulturation. Geschlechtsdifferente Erziehung von Knaben und Mädchen der Hamburger jüdisch-liberalen Oberschicht, 1848–1942. Münster-New York-München-Berlin: Waxmann 2001. 276 S. gr. 8° = Jüdische Bildungsgeschichte in Deutschland, 3. Kart. EUR 25,50. ISBN 3-89325-902-3.

Behm, Britta L., Lohmann, Uta, u. Ingrid Lohmann [Hrsg.]: Jüdische Aufklärung und preußische Schulreform. Analysen zum späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Münster-New York-München-Berlin: Waxmann 2002. 398 S. m. Abb. gr. 8° = Jüdische Bildungsgeschichte in Deutschland, 5. Kart. EUR 34,90. ISBN 3-8309-1194-7.

Lohmann, Uta, u. Ingrid Lohmann [Hrsg.]: »Lerne Vernunft!« Jüdische Erziehungsprogramme zwischen Tradition und Modernisierung. Quellentexte aus der Zeit der Haskala, 1760–­1811. Hrsg. unter Mitarbeit v. P. Dietrich. Münster-New York-München-Berlin: Waxmann 2005. 582 S. m. Abb. gr. 8° = Jüdische Bildungsgeschichte in Deutschland, 6. Geb. EUR 49,90. ISBN 3-8309-1504-7.


Vorzustellen ist in dieser Sammelrezension eine seit dem Jahr 2001 publizierte Buchreihe zur »Jüdische[n] Bildungsgeschichte in Deutschland« (ISSN 1616-0037), die gleichermaßen von judaistischem wie (schul-)historischem, erziehungswissenschaftlichem wie religionspädagogischem Interesse ist. Die Herausgeberinnen, Ingrid Lohmann (Erziehungswissenschaftlerin), Britta L. Behm (Erziehungswissenschaftlerin) und Uta Lohmann (Judaistin), sind bzw. waren bei Gründung der Reihe allesamt an der Universität Hamburg tätig. Sie lassen sich bei dieser Edition von einem 25-köpfigen, multidisziplinär und international besetzten »wissenschaftlichen Beirat« unterstützen.

Ausweislich der Themen der bisherigen sechs Bände liegt der Fokus auf »Schulen und Bildung der Juden im Übergang zur Moderne, in der Epoche der Aufklärung und der preußischen Reformen um 1800« (Bd. 1, 13). Die Initiierung eines solchen Forums für historische Fragen jüdischer Bildung ist ohne jeden Zweifel begrüßenswert, haben doch die oben angesprochenen Disziplinen die deutsch-jüdische Schul- und Bildungsgeschichte sowie die damit verbundenen Theorien jüdischen Lernens bisher kaum einmal als einen wesentlichen Gegenstand in den Blick genommen. Hier nun sollen verschiedene Forschungsperspektiven zusammengeführt werden, um sowohl das Bild deutscher Schulgeschichte als auch das Bild der Transformation des deutschen Judentums auf dem Weg in die Moderne zu komplettieren.

Allerdings nimmt es angesichts der forschungssystematischen Bedeutung dieser Reihe Wunder, dass eine Einleitung oder auch nur ein die Reihe betreffendes Vorwort fehlt. So sind die Arbeitszusammenhänge, aus denen diese Reihe erwächst, sowie ihr (zeitlicher, methodischer und thematischer) Zuschnitt für die Leserinnen und Leser implizit aus den vorgelegten Bänden zu erschließen.

Der erste Band dokumentiert den Ertrag eines DFG-geförderten Projektes »Jüdische Dialogkultur und das Problem der Interkulturalität ­ Historische Rekonstruktion am Beispiel der jüdischen Freischule in Berlin, 1778­1825«, für das insbesondere Ingrid Lohmann verantwortlich zeichnete. Das voluminöse Werk besteht aus einer gut 1200 Seiten starken Quellensammlung, der eine 80-seitige »Einführung« der Herausgeberin nebst Vorworten von Michael A. Meyer und Shmuel Feiner vorangestellt ist und in deren Anhang Auszüge aus historischer Sekundärliteratur (1313­1360) sowie u. a. ein Glossar hebräischer Begriffe, Verzeichnisse der Schüler, Lehrer und Kontribuenten der Freischule (1381­1393), Personen-, Sach- und Ortsregister (1394­1464) und nicht zuletzt ein Literaturverzeichnis (1467­1482) geboten werden. ­ Gegenstand ist mit der »jüdischen Freischule«, die von 1778­1825 in Berlin bestand, eine der ersten aus dem Geist der jüdischen Aufklärung (Haskala) gegründeten Schulen in Deutschland. Zwar waren dieser Schule weder eine lange Existenz noch große Erfolge beschieden, doch gewann sie wegen ihrer strikten Öffnung für weltliche Unterrichtsstoffe bei gleichzeitiger Marginalisierung sowohl des Hebräischen wie der rabbinischen Literatur exemplarische Bedeutung für die Implementierung aufklärerisch-jüdischer Bildungsideale.

Die hier aus 15 Archiven kompilierten und in ihrer Mehrzahl erstmals publizierten, zum Teil transkribierten und übersetzten Quellen erhellen neben der knapp 50-jährigen (Vor-)Geschichte, der Konzeption sowie dem unterrichtlichen und ökonomischen Leben der Schule vor allem auch die Konflikte innerhalb der jüdischen Gemeinde, die diese ðliberaleÐ Schule auslöste, und die Reaktionen der nicht-jüdischen Umwelt, namentlich der preußischen Schulverwaltung (zu den editorischen Rahmensetzungen vgl. S. 17­20; Verzeichnis der Dokumente, 87­113). Die in chronologischer Abfolge präsentierten Texte gewinnen durch die Breite ihrer Gegenstände eine bemerkenswerte Kontextualität.

Allerdings läuft diese Form der Präsentation Gefahr, den roten Faden verloren gehen zu lassen. Diese Gefahr ist schon durch die Fülle des Materials gegeben; verstärkt wird sie vor allem durch den bedauerlichen Umstand, dass die »Einführung« kaum systematisierende Lesehilfen oder auch nur Gewichtungen der Quellen anbietet.

Sie beschränkt sich vielmehr auf einen historischen Abriss der äußeren Schulentwicklung und die (Re-)Formulierung einiger Thesen: Die Freischule sei (entgegen der Auffassung Sh. Feiners) ein originäres Projekt der Haskala gewesen, ihr vornehmster Zweck habe in der Verbreitung der Mendelssohnschen Bibelübersetzung gelegen, die Freischule sei eng mit der »Gesellschaft der Freunde« verbunden gewesen (33.36.39.48). Bei der historischen Einordnung fehlen insbesondere Hinweise auf geistesgeschichtliche (judaistische) Zusammenhänge.

Die Lesenden bekommen diese Quellen gleichsam ungefiltert präsentiert: ungekürzt, ggf. zuverlässig transkribiert oder übersetzt, aber leider auch weitestgehend ohne Erläuterungen oder Kommentierungen der einzelnen Quellen. Querverweise und Zusammenhänge sind somit über die ebenso hilfreichen wie unentbehrlichen Register oder einschlägige Sekundärliteratur allererst von den Nutzerinnen und Nutzern zu erarbeiten.

Gleichwohl gilt: »Viele bislang ungeklärte Fragen lassen sich auf der Basis dieser Dokumentation beantworten, andere werden mit ihr erst aufgeworfen oder erscheinen in neuem Licht.« (81) Die Grundlagen für solche Anregungen bereitgestellt zu haben, ist das Verdienst dieser Quellensammlung, durch die das Bild der jüdischen Freischule ungleich facettenreicher als bislang wird. Vor allem die unterrichtsgeschichtlichen Hinweise, die jeweils unter der Rubrik »Aus dem Alltag der Freischule« geboten werden und zum Teil mit den jährlichen Rechenschaftsberichten der Schulleiter (sog. Programm der Freischule) korrelieren, stellen eine bemerkenswerte Bereicherung dar.

Der zweite Band der Reihe ist die Übersetzung eines Klassikers der Erforschung deutsch-jüdischer Schul- und Erziehungsgeschichte. Mordechai Eliavs bereits 1960 in hebräischer Sprache publizierte, sachlich bis heute in wesentlichen Teilen nicht überholte Dissertation wurde von Maike Strobel übersetzt und vom Autor selbst (!) »überarbeitet und ergänzt«. Ausweislich seiner »Danksagung« wurden Textpassagen gekürzt, Details ergänzt bzw. korrigiert und die Bibliographie aktualisiert (XVI).

Diese Aktualisierung ist freilich nicht konsequent erfolgt. So fehlen etwa Hinweise auf einige mittlerweile [wieder] in deutscher Sprache vorliegende Texte (z. B. wird auf S. 292 in einer eigens eingefügten Anm. 6 auf die Ausgabe der »Neunzehn Briefe« Hirschs von 1836, nicht auf den Neudruck von 1987 verwiesen) oder auch auf einschlägige Sekundärliteratur (z. B. wird zu David Friedländer S. 77 ff. keine, zu Moses Mendelssohn S. 31 ff. nur sporadisch neue Literatur angegeben).

Der Sache nach beschreibt Eliavs Studie in umfassender Weise das »von den Maskilim [sc. den jüdischen Aufklärern] begründete Erziehungswerk« (16): Zeitlich gesehen greift seine Beschreibung von der Ära Moses Mendelssohns bis zum Ende des 19. Jh.s aus ­ dabei unterscheidet er zwei Epochen, nämlich das »Zeitalter der Aufklärung« (Teil I; 17­226) und das »Zeitalter des Kampfes um die Emanzipation« (Teil II; 227­444). Inhaltlich bietet er sowohl eine chronologisch orientierte Darstellung als auch ­ insbesondere in Teil II ­ themenzentrierte Abschnitte, etwa zu »Religionsunterricht und Religionsschulen« (Kapitel 9), zur »Konfirmation« (Kapitel 10), zur »Mädchenerziehung« (Kapitel 11) und zur »Ausbildung der Lehrer, ihr[em] Status und [den] ersten Verbände[n]« (Kapitel 13).

Eliav differenziert so klar wie möglich zwischen theoretischen Konzeptionen und praktischen Reformen. Er bettet zahllose Details in eine klare Gedankenführung ein und verliert über seinem Interesse an aufklärerischen Unterrichtsbemühungen nicht die traditionsgeleiteten bzw. neo-orthodoxen Schulen aus dem Blick. Nicht zuletzt vermag zu überzeugen, in welchem Maße Eliav regionale bzw. lokale Differenzen zur Darstellung bringt. Zwar konnten in dieser Hinsicht die in den vergangenen 20 Jahren erschienenen Arbeiten zum Thema (etwa Prestel 1989 zu Bayern, Schimpf 1994 zu Hessen, Berg 2003 zu Niedersachsen u. a.) in methodischer und sachlicher Hinsicht für größere Präzision sorgen, doch die von Eliav ausgezogenen Linien blieben im Wesentlichen gewahrt.

Angesichts dessen gebührt den Herausgeberinnen der Reihe Dank dafür, diese grundlegende Arbeit (noch zu Lebzeiten ihres Autors) nun in deutscher Sprache zugänglich gemacht zu haben; die Übersetzung ist gut lesbar und zugleich genau geraten.

Beim dritten Band der Reihe handelt es sich um eine erziehungswissenschaftliche Dissertation aus der Feder von Andreas Hoffmann, die das Schulwahlverhalten der Hamburger jüdischen Oberschicht von der Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jh.s untersucht. Methodisch umsichtig konzipiert verbindet sie vor allem zwei Zugangsweisen: die lokale Schulgeschichtsforschung und die gender-orientierte Analyse historisch rekonstruierbarer Verhaltensmuster, hier bei der Schulwahl und der Ausgestaltung von Akkulturation (vgl. i. E. 15­19).

Der Aufbau der Studie ist ebenso schlicht wie einleuchtend: Auf die »Einleitung« mit ihrer Entfaltung der Leitfragen (15­27) folgen Hinweise »zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Hamburg« (28­46) sowie in drei gesonderten Kapiteln die aus Archivalien gespeiste Rekonstruktion der Geschichte dreier Privatschulen: der Bertram- und Wahnschaff-Schule (für Jungen; 47­100 und 100­114) sowie der Delbanco-Schule (für Mädchen; 114­142). Der sechste Abschnitt entwickelt unter der Überschrift »Soziokulturelle Dimensionen jüdisch-liberaler Schulbildung« (142­169) die zentralen Thesen, die im abschließenden »Resümee« (169­172) pointiert werden. Sie lauten: Die jüdisch-liberale Mittel- und Oberschicht Hamburgs hat für ihre Söhne und Töchter mit Bedacht unterschiedliche Bildungsstrategien gewählt ­ mit Bedacht im Blick auf deren spätere sozio-ökonomische Rollen, aber eben auch auf die »Konstituierung einer Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern .. im Bereich der Religion« (170). Während im Falle der Schulwahl für Jungen »jüdische[.] kulturell-religiöse[.] Interessen« keine Berücksichtigung fanden (169), wurde für Mädchen eine Schule bevorzugt, »an der jüdisch-religiöses Wissen durch spezifischen Religionsunterricht vermittelt wurde« (170). Dieses »komplementäre Konzept der Schulbildung« gestattete es, »einen an die Mehrheitskultur assimilierten Habitus« von Jungen und Männern mit Weitergabe und »Wahrung der jüdischen Religion« durch Mädchen und Frauen zu verbinden (171)!.

Trifft dies zu ­ und Hoffmann plausibilisiert dies (nur) für die Stadt Hamburg bis zum Vorabend des Ersten Weltkriegs ­, dann kann in der Tat kaum mehr »von einer vollständigen Assimilation des jüdisch-liberalen Bürgertums an die christliche Mehrheitskultur« gesprochen werden (171). Die Weitergabe jüdischer bzw. jüdisch-religiöser Identität wurde allerdings konsequent feminisiert. ­ Hoffmann ist eine ebenso knappe wie klare, methodisch innovative und inhaltlich pointierte Studie gelungen, deren Thesen nach Validierung anhand anderer Regionen verlangen.

Als vierter Band liegt die hervorragende erziehungswissenschaftliche Hamburger Dissertation einer der Reihen-Herausgeberinnen vor. Britta Behm untersucht »Mendelssohns Anteil an der Transformation der traditionellen jüdischen Erziehung« (13); erstmals liest sie seine Werke und sein Leben konsequent als Quellorte, wenn nicht einer »Bildungstheorie«, so doch eines jüdischen »Beitrag[s] zum zeitgenössischen Bildungsdenken« (266). Die klaren methodischen Grundsätze dieser Studie (21 f.), ihre leitenden Thesen, die u. a. darauf zielen, Erziehungsreform nicht als Nebenschauplatz, sondern als »Kernanliegen« der Haskala zu begreifen (15), und der chronologische, gleichermaßen quellenorientierte wie systematisch interessierte Aufbau lassen ein gut lesbares Buch entstehen. In der Sache fügt es dem herkömmlichen Mendelssohn-Bild, in dem sein Beitrag zur Theorie jüdischer Erziehung eigentümlich unterbelichtet blieb, wichtige Aspekte hinzu: etwa den Entwurf des »(Erziehungs-)Ideal[s] des frommen Bürgers« im Qohelet Musar von 1758 (124 u. ö.), die Beschreibung der »Erziehung im Hause Mendelssohn« (165 ff.), die Würdigung des Umstandes, dass Mendelssohn ab 1784 dem Begriff »Bildung« einen zentralen Stellenwert in seinem Denken einräumt (254 u. ö.).

Dank ihrer Qualitäten sollte diese Arbeit Anlass geben, Mendelssohn und andere jüdische Stimmen in den historischen Bildungsdiskurs (wie in die Diskussion unserer Tage) einzubeziehen.

Der fünfte Band ist eine Aufsatzsammlung, die in ihrem ersten Teil unter der Überschrift »Moderne jüdische Schulen in der Spätaufklärung« (67­266) Fallstudien zu einzelnen Schulen der jüdischen Aufklärer präsentiert: zur Jüdischen Freischule Berlin (aus der Feder von Shmuel Feiner, Britta L. Brehm, Uta Lohmann und Peter Dietrich), zur Königlichen Wilhelmsschule Breslau (von Peter Dietrich), zur Deutsch-jüdischen Schulanstalt Prag (von Louise Hecht) sowie zur Jacobson-Schule Seesen (von Meike Berg). Der zweite Teil »Reformansätze und Erziehungsprogramme jüdischer Aufklärer« (267­391) bietet einen ­ nicht auf pädagogische Reformen zentrierten ­ Beitrag zu »Moses Mendelssohn und .. [der] Frage der ðbürgerlichen VerbesserungÐ der Juden« (von Britta L. Brehm) sowie ideengeschichtliche Skizzen zu den Maskilim der Generation nach Moses Mendelssohn, namentlich zu David Friedländer (von Uta Lohmann), Aaron Halle-Wolfssohn (von Jutta Strauß), Herz Homberg (von Rainer Wenzel), Lazarus Bendavid (von Dominique Bourel) und zur Zeitschrift Sulamith (von Michaela Will). Vorangestellt ist dem Ganzen die erstmalige deutsche Übersetzung eines berühmten Aufsatzes von Ernst Akiba Simon mit dem Titel »Der pädagogische Philanthropinismus und die jüdische Erziehung« (zuerst 1953).

Die Beiträge sind von sehr unterschiedlicher Qualität und Innovationskraft: Nicht wenige stellen lediglich anderswo bereits gebotene Einsichten in leichter Variation dar; andere Beiträge ­ etwa diejenigen von Louise Hecht, Jutta Strauß, Rainer Wenzel und Michaela Will ­ beleuchten verdienstvollerweise neue bzw. bisher unbeachtete Aspekte jüdischer Bildungsgeschichte der Haskala.

Der sechste Band ist erneut eine Quellensammlung: Sie vereint 55 Texte bzw. Textauszüge jüdischer Aufklärer zum Verhältnis von »Tora und Vernunft«, zur Bildungskonzeption, zur Bildungspolitik sowie Schulreden und Auftaktkapitel von Unterrichtsbüchern. 35 dieser Texte wurden (erstmals) aus dem Hebräischen ins Deutsche übersetzt (und zwar von Rainer Wenzel, Andrea Schatz, Lucie Renner und Emily Link); alle diese Texte waren bislang nur äußerst schwer zugänglich.

Die gut 500 Textseiten, die durch Biogramme der Maskilim und ein Sachregister erschlossen werden, eröffnen somit eine wunderbare Gelegenheit, sich ohne Mühe mit den Ideen jüdischer Reformpädagogen von Simon Baras bis zu Aaron Wolfssohn bekannt zu machen. Da kommentierende Einführungen in die Texte fehlen und auch die 10-seitige »Einleitung« von Ingrid Lohmann kaum Lesehilfen bietet, ist die Sammlung allerdings als Ruf zu interpretatorischen Anstrengungen zu hören.

Summa: Die Reihe lenkt mit Recht die Aufmerksamkeit ihrer Leserinnen und Leser auf die bislang vernachlässigte Geschichte jüdischer Schulen und Erziehungskonzeptionen in Deutschland. Sie bietet dankenswerterweise klassische Texte in deutscher Übersetzung, Quellen und einschlägige Studien ­ die sich allerdings bislang, wenn ich recht sehe, vor allem aus einem Forschungsprojekt speisen. In dieser Abkunft liegt eine Grenze dieser Buchreihe; eine zweite, wichtigere (aber wohl damit zusammenhängende) besteht darin, dass jüdische Bildungsgeschichte in Deutschland hier implizit zu einer Geschichte der Schulen und pädagogischen Konzeptionen jüdischer Aufklärung schrumpft ­ traditionelle, neo-orthodoxe und selbst im engeren Sinne ðmoderneÐ Konzeptionen und Schulen (aus der zweiten Hälfte des 19. und vom Anfang des 20. Jh.s), auch gemeindliche und familiale Erziehungsbemühungen kommen bislang leider nicht in den Blick.

Um dem Reihentitel gerecht zu werden, bedürfte es somit deutlicher Horizonterweiterungen ­ dies Desiderat schmälert allerdings nicht den Gewinn an Einsichten, den die bisherigen Bände ermöglichen.