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Ausgabe:

Januar/1998

Spalte:

104 f

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Hanisch, Helmut u. Detlef Pollack

Titel/Untertitel:

Religion ­ ein neues Schulfach. Eine empirische Untersuchung zum religiösen Umfeld und zur Akzeptanz des Religionsunterrichts aus der Sicht von Schülerinnen und Schülern in den neuen Bundesländern.

Verlag:

Stuttgart: Calwer; Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 1997. 144 S. = Arbeiten zur Pädagogik, 28. Kart. DM 38,­. ISBN 3-7668-3518-1/3-374-01640-5.

Rezensent:

Christian Grethlein

Die z. T. in der Öffentlichkeit vehement geführte Diskussion um die Einführung des Religionsunterrichts an den Schulen der neuen Bundesländer war in vielen Beiträgen deutlich durch vorgefaßte Meinungen belastet. Nach einigen Jahren konkreten Unterrichts, zumindest an manchen Schulen, liegt mit diesem Buch erfreulicherweise ein erster empirischer Beitrag vor, der aus der Debatte der vergangenen Jahre herausführen kann.

Die gemeinsam von dem Leipziger Religionspädagogen Hanisch und dem früher in Leipzig, jetzt in Frankfurt/O. lehrenden Soziologen Pollack verfaßte Publikation soll zum einen der Bestandsaufnahme dienen: Wie wird das Fach von den Schülerinnen und Schülern angenommen? Nehmen in erster Linie konfessionell gebundene junge Menschen teil? Wie wird das Fach von denen akzeptiert, die sich dafür entschieden haben? Welche Gründe führen zur Teilnahme am Religionsunterricht? (7). Zum anderen will sie aber auch handlungsorientierend Hinweise dazu geben, wie dem Fach zu einer günstigen schulischen Ausgangsposition verholfen werden kann (8).

Der Bericht über eine 1994 nach Gesichtspunkten der Repräsentativität (für Sachsen) durchgeführte Umfrage unter knapp 1500 am Religionsunterricht teilnehmenden Schülerinnen und Schülern der 5./6. bzw. 9./10. Klasse wird eingeleitet durch ein sehr informationsdichtes Kapitel "Zur religiös-kirchlichen Lage in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung" (10-24) und eine knappe Skizze "Der Religionsunterricht vor dem Hintergrund sozialistischer und kirchlicher Bildung" (25-33).

Die durch die Auswertung der im Religionsunterricht ausgefüllten Fragebögen gewonnenen Ergebnisse zeigen deutlich die vielfachen Differenzierungen, die eine empirisch gegründete Reflexion der Einführung des Religionsunterrichts zu beachten hat. Der jeweilige Ort, die Klassenstufe und Schulart sind wichtige, eingehend an verschiedenen Fragestellungen herausgearbeitete Faktoren, die Akzeptanz bzw. Distanz zu dem neuen Unterrichtsfach beeinflussen.

Auf diesem differenzierten Hintergrund stellen die Verfasser eine interessante Typologie der Schülerinnen und Schüler, die ­ gemeinsam ­ am Religionsunterricht teilnehmen, vor: die religiös Orientierten und kirchlich Gebundenen, die in der Regel den Glauben an Gott stark akzeptieren, oft beten, getauft sind und zum Gottesdienst gehen; die religiös Orientierten und kirchlich Distanzierten, die in der Regel zwar nicht getauft sind und nicht am Gottesdienst teilnehmen, aber an Gott glauben und auch beten; die weder kirchlich Gebundenen noch religiös Orientierten, die nicht getauft sind, nicht zum Gottesdienst gehen und auch nicht an Gott glauben oder beten (75). Aus der Heterogenität dieser nebeneinanderstehenden Schülerpositionen ergeben sich, jeweils beim entsprechenden religionssoziologischen Befund angemerkt, erhebliche didaktische Aufgaben, vor allem die der Binnendifferenzierung des Religionsunterrichts. Die daraus für die Lehrkräfte erwachsenden Anforderungen werden ­ zu Recht mit einiger Skepsis angesichts der großen Zahl der bereits früher in der DDR tätigen Lehrerinnen und Lehrer und der anderen Ausbildung der Katechetinnen ­ benannt.

Daneben enthält die Untersuchung eine Reihe interessanter Einzelergebnisse, die eingehender religionspädagogischer Reflexion bedürfen: So ist z. B. für die nichtgetauften Schülerinnen und Schüler das Fernsehen die Hauptquelle, aus der sie etwas von Gott gehört haben (40). Wie lange kann sich die Religionspädagogik angesichts solch eines Befundes noch leisten, die Medienthematik auszublenden?

Abgeschlossen wird das Buch durch eine Zusammenfassung, die schon die sich aus der Untersuchung ergebenden Handlungsnotwendigkeiten für Lehrerweiterbildung, didaktische Struktur des Fachs u. ä. benennt. Der abrundende und abschließende Ausblick gerät angesichts der vielfältigen Hemmnisse und Behinderungen eher verhalten.

So konstatieren die Verfasser unter anderem: "Eine erste Bewährungsprobe wird auf es [sc. das neue Schulfach Religion, C. G.] zukommen, wenn der Reiz der Neuheit nachläßt. Falls es nicht gelingt, durch kompetente Unterrichtsarbeit die Schülerinnen und Schüler von der Bedeutsamkeit seiner Inhalte zu überzeugen, dann besteht die Gefahr, daß das empirisch erhobene Interesse nachhaltig zurückgehen wird. An manchen Orten deutet sich dieser Schrumpfungsprozeß bereits an" (131). Sie schließen mit der Forderung: "Um einer möglichen Marginalisierung des Faches im Schulalltag zu begegnen, ist ein gemeinsames Bemühen aller notwendig, die an der Organisation, der Planung und Durchführung des Religionsunterrichts beteiligt sind". Daß diese Bemühungen künftig mehr an der Schülerwirklichkeit orientiert und weniger ideologiebelastet sein können, dafür gibt diese Gemeinschaftsarbeit mit der weithin gelungenen Verbindung religionssoziologischer und -pädagogischer Perspektiven eine wichtige Grundlage.